Aktuelle Notiz: Alarm im NSU-Skandal

von Petra Pau
Berlin, 12. Oktober 2012

1. 

Ein medialer Aufreger jagt den anderen. Mal sind es geschredderte Akten, mal verweigerte Akten, nun also zu offene Akten. Die Thüringer Landesregierung hat dem Bundestags-Untersuchungsausschuss Belege übergeben, die Licht ins Nazi-Dunkel bringen könnten. Ungeschwärzt und lückenlos, heißt es. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und anderer Länder laufen seither Amok. Und mit ihnen viele Kommentatoren.

2. 

Bemerkenswert ist folgende Offenbarung: Es sei völlig unüblich, sensible Akten an die Kontrollgremien zu übermitteln, ohne vorher zu prüfen, ob sie heikle Informationen enthielten - etwa die Klarnamen von Zuträgern, die Namen von V-Leute-Führern der Sicherheitsbehörden oder die Herkunft gewisser Hinweise aus anderen Behörden. Und weiter: „Dieses Verfahren ist eingespielt und hat in der Vergangenheit funktioniert.“

3. 

O-ha: Eingespielt war und funktioniert hat demnach ein übliches Verfahren, nämlich wichtige Informationen von parlamentarischen Kontrollgremien fernzuhalten und diese ins Leere laufen zu lassen. Das konnte man vorher wissen. Aber nun steht es Schwarz auf Weiß, nicht nur in der „Frankfurter Rundschau“. Die gern verbreitete Mär über die demokratische Kontrolle von Geheimdienste ist geplatzt: Knall und Fall!

4. 

Damit ist auch eine zweite Selbsttäuschung (oder Volks-Verdummung) in der Bundesrepublik Deutschland passé: die über angeblich demokratische Geheimdienste. Plötzlich ist Gefahr im Verzug! Nahezu alle „unabhängigen“ Medien, ob SPD-nah oder CDU-treu, schlagen wie auf Bestellung Alarm. Ihre unheilige Botschaft: Der Untersuchungsausschuss des Bundestages ist ein Sicherheits-Risiko. Bingo!

5. 

Man müsse V-Leute, überhaupt Quellen, vor aufklärungsgeilen Abgeordneten schützen. Sie könnten lebensgefährliche Verräter sein - die Parlamentarier. Vor zwei Wochen versuchte es die „Magdeburger Volksstimme“ in diesem Un-Sinne - gezielt gegen mich. Inzwischen zogen große Medien nach - gegen den Untersuchungsausschuss an sich. Zuvor soll es jeweils „Spezialgespräche“ in Ministerien gegeben haben.

6. 

Worum ging und geht es ursprünglich und eigentlich? Eine Nazi-Bande namens „NSU“ zog über ein Jahrzehnt mordend und raubend durch Deutschland, angeblich unerkannt und mit Sicherheit unbehelligt. „Ein Skandal!“, titelte der Boulevard anfangs und Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach im Februar 2012 den Hinterbliebenen der zehn Opfer „bedingungslose Aufklärung“. Damals.

7. 

Inzwischen wirft der NSU-Skandal viel weitergehende Fragen auf. Darf der „Verfassungsschutz“ weiterhin unkontrolliert im demokratischen Jenseits agieren? Was wiegt schwerer: Die Aufklärung einer Nazi-Mordserie oder der Schutz von „Quellen“, die zugleich Nazi-Täter sind? Stehen Minister, also die Exekutive, über Parlamentariern, also der Legislative? Ich sage: drei mal Nein!

8. 

Nach allem, was ich bisher weiß, agierten alle Ämter für Verfassungsschutz im Zentrum des Sicherheitsversagens beim NSU-Mord-Skandal, aktiv, passiv oder beides. Hätten sie nichts gewusst, dann wären sie ohnehin überflüssig, trotz V-Leuten. Haben sie etwas gewusst, dann sind sie obendrein gefährlich, mit V-Leuten: für Menschen, für die Gesellschaft, für die Demokratie.

9. 

„Wer Geheimdienste aufstört, muss damit rechnen, dass sie um sich schlagen“, fasste eine Tageszeitung die aktuellen Rüpeleien zusammen. Ein Grund mehr, die Ämter für Verfassungsschutz endlich aufzulösen, alle. Schritt 1: Sofort alle V-Leute abschalten. Schritt 2: Alle Geheimdienstbefugnisse entziehen. Schritt 3: Überführung in eine wissenschaftliche Politikberatung. Falls sie dazu taugen.

 

 

12.10.2012
www.petra-pau.de

 

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