Antisemitismus bleibt eine spezielle Herausforderung

Internationale Antisemitismus-Konferenz der OSZE
Berlin, 13. November 2014
Podiumsdiskussion, Statement von Petra Pau

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1. 

Ich bin Mitglied des Deutschen Bundestages und Innenpolitikerin. Meine Pro-Themen sind Bürgerrechte und Demokratie, meine Kontra-Themen heißen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Anfangs hatte ich Antisemitismus als Unterpunkt von Rechtsextremismus betrachtet. Das war natürlich falsch, denn Antisemitismus gibt es inmitten der Gesellschaft, in allen Schichten, nicht nur am rechten Rand.
Der Hass auf Jüdinnen und Juden, nur weil sie Jüdinnen und Juden sind, bleibt eine spezielle Herausforderung. Deshalb ist es gut und wichtig, dass sich die OSZE erneut international damit befasst.

2. 

In Deutschland beobachte ich 2014 drei Entwicklungen.
Erstens: Das historische Tabu gegen antisemitische Ausfälle bröckelt.
Zweitens: Die Zahl registrierter antisemitischer Straftaten nimmt zu.
Drittens: Es scheint überhaupt einen politischen Rechtsruck zu geben.
Das alles ist nicht typisch Deutsch, sondern EU-weit zu beobachten.
Das macht es nicht besser, sondern lässt meine Alarmglocken läuten.
Sie schrillen bereits in vielen europäischen Jüdischen Gemeinden.

3. 

Antisemitismus braucht keinen Anlass, findet aber immer einen. 2014 war es nachweisbar der aktuelle Gaza-Krieg. Die Kritik an der Politik Israels entlud sich auch antisemitisch, nicht nur unter Palästinensern.
Ich merke hier nur an, was mir engagierte Leute gegen Antisemitismus im internationalen Berlin berichten. Hass gegen Juden und gegen Muslime wird gegenseitig hochgeschaukelt, auch durch oberflächliche Medien.

4. 

Der Deutsche Bundestag hatte 2009 eine externe Expertenkommission berufen und einen Bericht zum Thema Antisemitismus erbeten. Den gibt es seit 2011. Er ist sehr umfangreich und anregend.
Bei allen Widersprüchen mündet er in dem Fazit: Es gibt bislang kein schlüssiges Konzept gegen Antisemitismus. Dieses Manko teile ich. Aber vielleicht ist es auch gar nicht einlösbar, das Gesamtkonzept.

5. 

Wir müssen Antisemitismus all überall entgegen treten, aus historischen, noch mehr aus menschlichen Gründen. Wer Juden attackiert, weil sie Juden sind, greift letztlich Menschen an, weil sie Mensch sein wollen.
Dasselbe trifft übrigens im „modernen“ Europa auf Sinti und Roma zu, auf Homosexuelle oder auf Menschen mit Behinderungen. Sie alle waren in der Nazi-Zeit dem Tode geweiht und werden schon wieder missachtet.

6. 

Es gibt eine Langzeitstudie mit dem Titel „Deutsche Zustände“. Sie umfasst Analysen von Prof. Heitmeyer und Team und kommt zu dem Befund: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu.
Die Ursachen knapp zusammengefasst meint Prof. Heitmeyer: Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie wird entleert. Auftrieb erhält so auch Antisemitismus, also ideeller oder tätiger Hass gegen Juden.

7. 

Das nimmt der „Berliner Erklärung“ der OSZE gegen Antisemitismus von 2004 nichts von seiner Bedeutung und Aktualität. Sie besagt allerdings: Es gibt Entwicklungen, die unseren Bemühungen widerstreben.
Für die Bundesrepublik Deutschland muss ich zudem sagen: Die Bundespolitik hatte die OSZE-Erklärung sehr wohl aufgegriffen. Aber mein Fazit bisher heißt leider: zu zaghaft, zu unstet, zu folgenlos.

8. 

Abschließend ein aktuelles Beispiel: Es gab jüngst in Berlin eine wichtige Kundgebung „Nie wieder Judenhass!“. Es sprachen die Bundeskanzlerin, sowie christliche und jüdische Repräsentanten.
Aufgerufen dazu hatte der Zentralrat der Juden. 8.000 Teilnehmer in einer Millionen-Metropole waren fast Nichts. Kurzum: Der Antisemitismus wird von der Gesellschaft offenbar kaum als ihr Problem angesehen.
Ich weiß, dass es in anderen Ländern ähnlich ist, in manchen noch schlimmer. Deshalb will ich als Vizepräsidentin des Bundestags uns alle ermutigen, nicht nachzulassen. So viel von mir vorab, Danke.
 

 

 

13.11.2014
www.petra-pau.de

 

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