Zwei Tote nebenbei war unlängst ein Artikel in einem großen
Nachrichtenmagazin überschrieben. Und weiter: Binnen weniger Tage
wurden in Magdeburg zwei Menschen umgebracht. Unter Tatverdacht:
einschlägig vorbestrafte Neonazis. Doch von den Fällen nimmt kaum
jemand Notiz. Warum? Sind zwei Morde inzwischen zu alltäglich?
Vor Jahresfrist gab es bundesweite Schlagzeilen. Bei einem
Volksfest in einer sächsischen Kleinstadt bliesen Einheimische
plötzlich zur Jagd auf drei Inder. Später wiegelte der damalige
Ministerpräsident Milbradt ab: Es gab keine Hatz in Mügeln, es gab
eine Hatz auf Mügeln! Das war typisch. Viele Politiker blenden aus,
was ihrem Image schaden könnte.
Seit Jahren frage ich die Regierung, wie viele rechtsextreme
Straf- und Gewalttaten sie registriert hat. Der Befund ist
alarmierend. Allein die offiziellen Angaben weisen im statistischen
Schnitt Stunde für Stunde 2 Straftaten und Tag für Tag 2 Gewalttaten
aus. Tendenz steigend, bundesweit. Entsprechend groß und größer ist
die Zahl der Opfer.
Rechtsextremismus ist hierzulande also längst wieder eine Gefahr
für Leib und Leben. Und kaum jemand nimmt Notiz. Die letzte große
Empörung fegte anno 2000 übers Land. Damals gab es in Düsseldorf
einen Anschlag auf eine Synagoge. Es war die Nacht vor dem Tag der
deutschen Einheit. Bundeskanzler Schröder rief daraufhin einen
Aufstand der Anständigen aus. Der große Aufstand der Anständigen
verhallte allerdings schnell, weil ihm alsbald die Zuständigen
abhanden kamen. Sie hinterließen noch ein paar Spuren. Die letzten
werden derzeit geschleift. Exit zum Beispiel, ein Programm, das
Neonazis hilft, aus der rechtsextremistischen Szene auszusteigen.
Exit-Mentor Bernd Wagner funkte kürzlich SOS: die Bundesförderung
werde gekappt.
Exit fehlen aktuell 80 000 Euro, um das Projekt in bewährter
Qualität fortzuführen. 80 000 Euro? Im Juli fand ein aufwendiges
Gelöbnis der Bundeswehr vor dem Reichstag statt. Allein für Logis und
Betreuung der Ehrengäste dieser Ein-Stunden-Show gab die Regierung
200 000 Euro aus. Die politischen Relationen tanzen Kobolz.
Überhaupt erlebe ich bei alledem ein dreifaches Manko der Politik:
Sie verdrängt gern, was ist. Sie versäumt oft, was Not tut. Und sie
reagiert häufig, anstatt zu agieren. Jene aber, die sich vor Ort
couragiert gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, fühlen
sich von der Politik im Stich gelassen. Wieder klaffen Sonntagsreden
und Alltagsleben auseinander.
Es gibt kein größeres Einfallstor für rechtsextreme Kameraden und
ihre menschenverachtenden Parolen, als diese Kluft.
Demokratieverdruss grassiert. Der wiederum ist ein bitter-böser
Nektar, an dem Rechtsextreme genüsslich saugen. Und an ihrer
Verharmlosung. Etwa, wenn Die Linke mit der NPD gleichgesetzt wird
oder linke Politiker in die Nähe von Hitler gerückt werden.
Statt dümmlich-politischer Hektik ist viel mehr ein Marathon der
Demokraten gefragt. Denn Rechtsextremismus und Rassismus sind weder
ein Rand-, noch ein Jugend-, noch ein Ost-Problem. Sie nisten
inmitten der Gesellschaft. Sie sind auch kein Fall für Zwei: die
Innen- und Justizpolitik. Alle politischen Ressorts und alle Ebenen
müssen ihren gesellschaftlichen Beitrag dagegen leisten.
Drei Dinge könnten Besseres bewirken. Eine unabhängige
Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus, die ohne politische Sperren analysiert, was wirklich
ist - bundesweit und regional. Eine Beauftragte für Demokratie und
Toleranz des Bundestags, die alle Ressourcen der Ministerien gegen
Rechtsextremismus koordiniert.
Schließlich eine Überprüfung aller Bundesprogramme. Sie laufen zu
oft ins Leere, anstatt engagierte Initiativen zu stützen. Drei
einfache Vorschläge, keine Allheilmittel, aber allemal klüger als
Lamentieren. Und hilfreicher, als folgenlose Debatten über ein
NPD-Verbot. Nicht gedacht für Schlagzeilen, sondern für eine
tolerante Gesellschaft - eben ohne zwei Tote nebenbei.
(Petra Pau (45) ist Vizepräsidentin des Bundestages und
Bürgerrechtsexpertin der Linksfraktion)
ddp
201030 Sep 08
Meldung vom 2008-09-20 10:30:00
Gemeinsam gegen rechts --Von Petra Pau--
Kolumne/Rechtsextremismus/Pau/
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