Gemeinsam gegen rechts

ddp „Kolumne der Woche“
von Petra Pau, 20. September 2008

„Zwei Tote nebenbei“ war unlängst ein Artikel in einem großen Nachrichtenmagazin überschrieben. Und weiter: „Binnen weniger Tage wurden in Magdeburg zwei Menschen umgebracht. Unter Tatverdacht: einschlägig vorbestrafte Neonazis. Doch von den Fällen nimmt kaum jemand Notiz.“ Warum? Sind zwei Morde inzwischen zu alltäglich?

Vor Jahresfrist gab es bundesweite Schlagzeilen. Bei einem Volksfest in einer sächsischen Kleinstadt bliesen „Einheimische“ plötzlich zur Jagd auf drei Inder. Später wiegelte der damalige Ministerpräsident Milbradt ab: „Es gab keine Hatz in Mügeln, es gab eine Hatz auf Mügeln!“ Das war typisch. Viele Politiker blenden aus, was ihrem Image schaden könnte.

Seit Jahren frage ich die Regierung, wie viele rechtsextreme Straf- und Gewalttaten sie registriert hat. Der Befund ist alarmierend. Allein die offiziellen Angaben weisen im statistischen Schnitt Stunde für Stunde 2 Straftaten und Tag für Tag 2 Gewalttaten aus. Tendenz steigend, bundesweit. Entsprechend groß und größer ist die Zahl der Opfer.

Rechtsextremismus ist hierzulande also längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Und kaum jemand nimmt Notiz. Die letzte große Empörung fegte anno 2000 übers Land. Damals gab es in Düsseldorf einen Anschlag auf eine Synagoge. Es war die Nacht vor dem „Tag der deutschen Einheit“. Bundeskanzler Schröder rief daraufhin einen „Aufstand der Anständigen“ aus. Der große „Aufstand der Anständigen“ verhallte allerdings schnell, weil ihm alsbald die Zuständigen abhanden kamen. Sie hinterließen noch ein paar Spuren. Die letzten werden derzeit geschleift. „Exit“ zum Beispiel, ein Programm, das Neonazis hilft, aus der rechtsextremistischen Szene auszusteigen. „Exit“-Mentor Bernd Wagner funkte kürzlich SOS: die Bundesförderung werde gekappt.

„Exit“ fehlen aktuell 80 000 Euro, um das Projekt in bewährter Qualität fortzuführen. 80 000 Euro? Im Juli fand ein aufwendiges Gelöbnis der Bundeswehr vor dem Reichstag statt. Allein für Logis und Betreuung der Ehrengäste dieser Ein-Stunden-Show gab die Regierung 200 000 Euro aus. Die politischen Relationen tanzen Kobolz.

Überhaupt erlebe ich bei alledem ein dreifaches Manko der Politik: Sie verdrängt gern, was ist. Sie versäumt oft, was Not tut. Und sie reagiert häufig, anstatt zu agieren. Jene aber, die sich vor Ort couragiert gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Wieder klaffen Sonntagsreden und Alltagsleben auseinander.

Es gibt kein größeres Einfallstor für rechtsextreme Kameraden und ihre menschenverachtenden Parolen, als diese Kluft. Demokratieverdruss grassiert. Der wiederum ist ein bitter-böser Nektar, an dem Rechtsextreme genüsslich saugen. Und an ihrer Verharmlosung. Etwa, wenn Die Linke mit der NPD gleichgesetzt wird oder linke Politiker in die Nähe von Hitler gerückt werden.

Statt dümmlich-politischer Hektik ist viel mehr ein Marathon der Demokraten gefragt. Denn Rechtsextremismus und Rassismus sind weder ein Rand-, noch ein Jugend-, noch ein Ost-Problem. Sie nisten inmitten der Gesellschaft. Sie sind auch kein Fall für Zwei: die Innen- und Justizpolitik. Alle politischen Ressorts und alle Ebenen müssen ihren gesellschaftlichen Beitrag dagegen leisten.

Drei Dinge könnten Besseres bewirken. Eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, die ohne politische Sperren analysiert, was wirklich ist - bundesweit und regional. Eine Beauftragte für Demokratie und Toleranz des Bundestags, die alle Ressourcen der Ministerien gegen Rechtsextremismus koordiniert.

Schließlich eine Überprüfung aller Bundesprogramme. Sie laufen zu oft ins Leere, anstatt engagierte Initiativen zu stützen. Drei einfache Vorschläge, keine Allheilmittel, aber allemal klüger als Lamentieren. Und hilfreicher, als folgenlose Debatten über ein NPD-Verbot. Nicht gedacht für Schlagzeilen, sondern für eine tolerante Gesellschaft - eben ohne „zwei Tote nebenbei“.

(Petra Pau (45) ist Vizepräsidentin des Bundestages und Bürgerrechtsexpertin der Linksfraktion)

ddp

201030 Sep 08

Meldung vom 2008-09-20 10:30:00
Gemeinsam gegen rechts --Von Petra Pau--
Kolumne/Rechtsextremismus/Pau/
 

 

 

20.9.2008
www.petra-pau.de

 

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