Nationalismus und Rassismus fluten das Land

Luxemburg-Liebknecht-Ehrung in Falkenstein im Vogtland am 21. Januar 2017
Rede von Petra Pau

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Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Genossinnen und Genossen,

0. 

Vergangenen Sonntag war ich bei der traditionellen Luxemburg-Liebknecht-Ehrung auf dem „Friedhof der Sozialisten“ in Berlin.
 
Gestern und heute bin ich gern zu Ihnen ins Vogtland gekommen.
 
Zwischendurch, konkret Dienstag, war ich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
 
Und da es bei der Ehrung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen Sozialisten nicht nur um die Erinnerung an damals, sondern immer auch um Verantwortung heute geht, biete ich Ihnen ein paar Gedanken an.

1. 

Das Urteil zum NPD-Verbot erscheint widersprüchlich und ist höchst umstritten.
 
Die NPD sei eine faschistische Partei, urteilte das BVG.
Aber zugleich kaum relevant und mithin keine wirkliche Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Mithin rechtfertige das Recht auf freie Meinungsäußerung kein Verbot.
Soweit von mir verkürzt das Urteil.
 
Heribert Prantl, ein von mir sehr geschätzter Redakteur der Süddeutschen Zeitung geißelte dies scharf. Gerade der vermeintlich kleinen NPD hätte man mit einem Verbot ein rechtsstaatliches Zeichen setzen müssen, beispielgebend für alle, die national-sozialistisch unterwegs sind.
 
Einen gegenteiligen Kommentar hatte vordem Prof. Wilhelm Heitmeyer (Uni Bielefeldt) abgegeben. Er nannte das NPD-Verbotsverfahren das größte Ablenkungsmanöver von den wirklichen aktuellen Gefahren für die Demokratie und den Rechtsstaat.
 
Noch andere werteten das jahrelange Verbotsverfahren als Versuch, die NSU-diskreditierten Ämter für Verfassungsschutz wieder aufzurichten, aufzuwerten und als Kronzeugen gegen Rassismus und Rechtsextremismus hochzurüsten.

2. 

Ich bewerte das jetzt nicht. Aber natürlich habe ich Gründe, Prof. Heitmeyer einerseits und die Ämter für Verfassungsschutz andererseits hier aufzurufen.
 
Das NSU-Nazi-Trio war am 04.11.2011 in Eisenach aufgeflogen.
Vordem waren sie über zehn Jahre lang raubend und mordend durch Deutschland gezogen. Unerkannt und unbehelligt, heißt die offizielle Erzählung.
 
Eine Woche später, am 11.11.2011, wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz die Schredder angeworfen und massenhaft Akten vernichtet, die etwas mit dem NSU-Komplex zu tun hatten.
 
Wie wir inzwischen wissen: mit Vorsatz, um die Ermittlungen und Untersuchungen zum Staatsversagen im NSU-Komplex zu verhindern. Wohl bemerkt: von Staats wegen und bislang ungeahndet.
 
Und wir wissen inzwischen auch: Im Kampf gegen militante Nazis a' la NSU sind die Ämter für Verfassungsschutz keine Lösung, sondern Teil des Problems.

3. 

Dieser 11.11.2011 ist mir aus einem zweiten Grund in Erinnerung geblieben. An diesem Tag stellten Prof. Heitmeyer und sein Wissenschaftsteam die Ergebnisse einer Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ vor. Sie lief Jahr für Jahr, von 2002 bis 2011.
 
Ihr Fazit: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit inmitten der Gesellschaft nimmt zu. Ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz. Sie sagten aus ihrer Sicht auch etwas zu den Ursachen dieser gefährlichen Entwicklungen. Ich kürze das hier ab: Die NPD war es nicht, sondern die große Politik.
 
Nun wird seit zwei, drei Jahren landauf, landab gerätselt, was es mit der AfD und PEGIDA so auf sich hat und mit dem Zulauf, den beide erfahren.
Noch mal Prof. Heitmeyer vor wenigen Wochen: Das alles war voraussehbar, aber es wollte ja niemand hören.

4. 

Seit PEGIDA und all die Idas im Aufwind sind, ebenso die AfD, ist die Zahl rechtsextremer und rassistischer Gewalttaten bundesweit explodiert, auf Menschen und Gebäude.
 
Artikel 1 Grundgesetz, „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, und zwar aller Menschen, wird Tag für Tag außer Kraft gesetzt.
Nationalismus und Rassismus feiern Urständ.
Es herrscht Rechtsterrorismus!
 
Gewiss, bei alledem versucht auch die NPD mitzumischen, und sie ist regional auch durchaus präsent.
Aber sie ist dabei nicht prägend. Das sind längst andere.

5. 

In meiner Erklärung zum NPD-Urteil habe ich unter anderem gesagt:
 
„Drohen Banken Gefahren, dann gegen im Kanzleramt alle Lichter an, dann jagt ein Krisengipfel den nächsten.
Drohen rechtsterroristische Gefahren, dann nicht.
Das ist verantwortungslos.“
 
Und weiter:
„Eine Welle von Nationalismus und Rassismus flutet das Land.
Dagegen müssen alle aufbegehren,
denen Menschenwürde und Bürgerrechte wichtig sind.
Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen
und endlich mehr Anstand der Zuständigen.“
 
Ich füge hinzu:
Beides kann durch kein Gerichtsurteil ersetzt werden, nicht der Anstand, nicht der Aufstand.

6. 

Daher schließe ich meine Gedanken mit zwei Erinnerungen.
 
Die erste:
Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten so zerstritten waren.
Diese Lehre sollte uns mahnen, so schwer es zuweilen auch ist.
 
Die zweite:
Der bekannte Schriftsteller Erich Kästner befand 1956 rückblickend:
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf ...“
 

 

 

21.1.2017
www.petra-pau.de

 

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