Ausbildungs-Umlage

Bundestag, 1. April 2004, Tagesordnungpunkt „Ausbildungsplatzabgabe“
Rede von Petra Pau

(es gilt das gesprochene Wort)

1.

Das „Berufsausbildungssicherungsgesetz“ oder kurz BerASichG ist allgemein unter Ausbildungs-Umlage bekannt.

Ihr Sinn ist übersichtlich: Wer nicht ausbildet, obwohl er es könnte, soll sich wenigstens finanziell an der Ausbildung beteiligen. Und wer ausbildet, obwohl es ihm schwer fällt, soll finanziell entlastet werden.

Eine solche Umlage ist nur recht und billig. Die PDS im Bundestag fordert sie seit langem und Rot-Grün steht im Wort.

2.

Das zu lösende Problem wird deutlich, sobald die Fakten sprechen. Seit Jahren ist die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze rückläufig. Nach Angaben des DGB bildet heute nur noch jeder vierte der 2,1 Millionen Betriebe in Deutschland aus.

Zugleich wächst die Zahl derjenigen, die vergebens eine Lehrstelle suchen. Nach Angaben der Bundesregierung waren es im Herbst 2003 ca. 35.000 Jugendliche. Die Zahlen des DGB sind wahrscheinlicher. Er spricht von 200.000 Betroffenen.

SPD und Grüne betonen das große Potential der Wirtschaft, das unausgebildet brachliegt. Ich betone das schlimme Signal für die Jugendlichen, die sich wert- und nutzlos fühlen. Das kann nicht gut gehen.

3.

Besonders dramatisch ist die Lage in den neuen Bundesländern. Immer mehr Jugendliche bleiben ohne Chance auf eine betriebliche Ausbildung. Sie werden in Ersatz-Maßnahmen geparkt oder sie werden außer Landes gedrängt.

Das hat Folgen für ganze Regionen. Ihnen kommt die Jugend abhanden und damit die Zukunft. Der „Spiegel“ schrieb sarkastisch: „Zurück bleiben Alte, Kranke und Dumme!“ Das ist ein Zusatz-Problem im Gesamt-Problem und darf nicht den neuen Ländern allein überlassen werden.

4.

Nun weht ein Sturm der Entrüstung, seit Rot-Grün mit einer Ausbildungs-Abgabe ernst macht. Ein Argument wird auf andere getürmt, um das Berufs-Ausbildungs-Sicherungs-Gesetz, wie es amtlich heißt, zu verhindern.

Unternehmer-Verbände malen Horror-Szenarien und drohen mit noch weniger Ausbildung. Die FDP warnt vor einer Buß-Steuer und die CDU/CSU sieht den Standort Deutschland bedroht.

Ist Ihnen noch nie aufgestoßen, dass andersherum ein Schuh draus wird? Hunderttausende Unternehmen bilden nicht aus, obwohl sie es könnten. Sie gefährden den Standort Deutschland. Sie bürden Anderen Lasten auf, anstatt sie zu teilen. Sie lassen immer mehr junge Menschen hängen. Und dagegen muss etwas getan werden.

5.

Das viel gelobte duale Ausbildungs-System hinkt seit langem. Immer weniger Jugendliche werden betrieblich und immer mehr - ersatzweise - außerbetrieblich ausgebildet. Das ist weder im Sinne des Erfinders, noch im Interesse der Jugendlichen.

Hinzu kommt:
Die Unternehmen, die nicht ausbilden, sparen Kosten. Stattdessen müssen die normalen Steuer-Zahlerinnen und Steuer-Zahler für die Ersatz-Maßnahmen aufkommen. Es ist dasselbe Trauerspiel, das wir auch auf anderen Gebieten erleben. Viele Unternehmen entziehen sich ihrer Sozialpflicht. Die Opposition zur Rechten findet das gut - die Opposition zur Linken nicht.

6.

Eine Ausbildungs-Umlage wäre nicht nur ein Gebot der Vernunft und der Moral. Beides ist der Marktwirtschaft nicht naturgegeben. Sie ist auch rechtlich geboten - spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungs-Gerichtes aus dem Jahre 1980.

In seinem Urteil hatte das Gericht allen Jugendlichen das Recht auf eine praxisbezogene Ausbildung eingeräumt. Es hat die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber verpflichtet, dafür zu sorgen. Und es hat dem Staat bedeutet - Zitat: „Das gilt auch, wenn das freie Spiel der Kräfte zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht mehr ausreichen sollte.“

Kurzum: Auch das Recht steht auf Seiten von Rot-Grün, wenn die Koalition endlich eine Umlage einführt.

7.

Nun wird der Ball zurück gespielt. Zum Beispiel mit dem Argument: Viele Unternehmen seien zwar ausbildungs-willig, aber immer mehr Jugendliche seien nicht ausbildungs-fähig.

Dem will ich im Einzel-Fall gar nicht widersprechen. Die Klagen über das Ausgangs-Niveau an deutschen Schulen sind nicht neu und nicht erst seit der PISA-Studie im internationalen Vergleich belegt.

Allerdings ist das ein gutes Argument für eine gründliche Bildungs-Reform, aber ein schlechtes Argument gegen die Ausbildungs-Misere. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Das ist der Punkt.

8.

Aus all diesen Gründen ist die PDS grundsätzlich für eine Ausbildungs-Umlage. Sie ist die zweitbeste Lösung. Besser wäre es, es gäbe auch ohne Umlage genügend betriebliche Lehrstellen.

Dieser Weg bleibt offen und gehbar. Aber bis dato und im Zweifel muss gehandelt werden. Zugunsten aller, die ausbilden wollen und vor allem aller, die ihre Lebenschance suchen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

1.4.2004
www.petra-pau.de

 

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