Scheitern als Chance

Bundestag, 6. Mai 2004, Tagesordnungspunkt „Keine Kürzungen von Integrationsmaßnahmen“
Rede von Petra Pau

(zu Protokoll gegeben)

Das Zuwanderungsgesetz ist nun hoffentlich in der Gestalt, wie es zuletzt in den Beratungen auf dem Tisch lag, endgültig Geschichte. Worüber Koalition und bürgerliche Opposition noch diskutiert haben, hatte mit einem liberalen Recht oder gar mit Integ-ration schon lange nichts mehr zu tun. Vielmehr drohte der Rückfall in längst über-wunden geglaubte Denkweisen des Polizeirechts, nach dem ein Ausländer grund-sätzlich als eine Bedrohung der Sicherheit und Ordnung angesehen wird.

Die Integration von Menschen aus anderen Ländern in die deutsche Gesellschaft bedeutet dagegen für die PDS die vollständige Partizipation am politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in der neuen Heimat. Dazu gehört auch die Möglichkeit, die Sprache der Mehrheitsgesellschaft zu erlernen. Insoweit ist es tatsächlich unverständlich, wenn die staatlichen Mittel für Deutschkurse nicht aufgestockt, sondern vielmehr reduziert werden sollen.

Aber der Antrag der Union streift nur das eigentliche Problem: Betroffen sind nicht „nur“ Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler sowie ausländische Asylberechtigte, sondern Probleme haben viele andere Gruppen in noch höherem Maße: Ausländische Studierende können Deutschkurse an den Universitäten beziehungsweise Studienkollegs belegen. Auch für Dozenten gibt es solche Angebote. Firmenmanager, Diplomaten und Menschen mit viel Geld können Lehrgänge an privaten Instituten besuchen. Die „normalen“ ausländischen ArbeitnehmerInnen kommen hier allerdings nicht vor, von Asylsuchenden und AussiedlerInnen ganz zu schweigen.
Im Auftrag des Bundes (und von ihm bezahlt) bietet der Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer zusätzliche Deutschkurse an. Doch auch hier ist der „Kundenkreis“ von vornherein eingeschränkt: Gefördert werden nur ArbeitnehmerInnen und ihre Familienangehörigen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie aus den früheren Gastarbeiter-Anwerbestaaten Türkei, Marokko, Tunesien und dem ehemaligen Jugoslawien. Hinzu kommen Menschen, die als VertragsarbeitnehmerInnen aus Angola, Mosambik und Vietnam in die damalige DDR gekommen sind.
Schön. Nur: Was ist mit dem Flüchtling aus Togo, der Deutsch lernen möchte? Oder mit der chinesischen Frau, die hier arbeitet und ebenfalls Deutschkenntnisse braucht?
Diese wenden sich möglicherweise an die Volkshochschule vor Ort, denn die bietet ja oft auch Sprachkurse an. Dort wartet jedoch wieder eine Enttäuschung: Die Kurse bei der VHS werden häufig von den Arbeitsämtern finanziert. Und deren Richtlinien schreiben vor, dass solche Fördermaßnahmen Asylberechtigten und Spätaussiedlern vorbehalten bleiben sollen. Also auch hier wieder Fehlanzeige für die asylsuchende Frau oder den zwar als Flüchtling, nicht aber als Asylberechtigten anerkannten Mann.

Zu dieser Realität steht die Position der CDU/CSU, aber auch von Teilen der Regierungskoalition, in krassem Gegensatz. Im Streit um das Zuwanderungsgesetz haben Sie gefordert, den Besuch von Deutschkursen zur Pflicht zu machen und die Nichtteilnahme zu bestrafen. Einen Rechtsanspruch darauf, einen Deutschkurs überhaupt besuchen zu können, wollten Sie dagegen nicht einräumen.

Integration darf vor allem nicht zur Assimilation werden: Menschen ausländischer Herkunft dürfen nicht gezwungen werden, ihre Muttersprache und ihre eigenen Traditionen und Kulturen aufzugeben. Integration ist keine „Einbahnstraße“, sondern erfordert Leistungen sowohl der Zuwandernden als auch der Aufnahmegesellschaft. Deshalb fordern auch die Wohlfahrtsverbände, dass der Förderung der Mehrsprachigkeit zukünftig besondere Bedeutung zugemessen werden solle. Dies schließt die stärkere Anerkennung und Förderung der Muttersprachen der Migrantinnen und Migranten als Fremdsprache mit ein.

Die PDS fordert an Stelle eines polizeirechtlichen Einwanderungsverhinderungsgesetzes eine wirksame Integrationspolitik mit dem Ziel der sozialen und politischen Gleichstellung der Migrantinnen und Migranten und des friedlichen Zusammenlebens von Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher ethnisch-kultureller und religiöser Herkunft. Unter anderem ist die Chancengleichheit von Menschen nichtdeutscher Herkunftssprache beim Zugang zu allen Bildungsstufen durch gesonderte Maßnahmen, die die Integration in die Gesellschaft erleichtern, zu gewährleisten. Dazu gehören auch Sprachlehrgänge in ausreichendem Umfang, denn das Erlernen der Sprache ist eine der wichtigsten Integrationsvoraussetzungen. Die PDS will andererseits, dass die MigrantInnen ihre eigene Kultur und Sprache nicht aufgeben müssen. Deshalb treten wir für das Recht auf Förderung der Muttersprache ein. Dazu gehört auch die Förderung der interkulturellen Erziehung und Bildung.

Integration hört aber nicht mit Spracherwerb und Bildung auf. Im Gegenteil: ALLE Rahmenbedingungen müssen dazu führen, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Pass in Deutschland gleichberechtigt leben können. Das schließt die Herstellung des Wahlrechts für Eingewanderte auf allen Ebenen ein, aber auch den umfassenden Schutz für Verfolgte und Flüchtlinge aus Notsituationen, die Angleichung der sozialen Standards (zum Beispiel durch die Abschaffung des berüchtigten Asylbewerberleistungsgesetzes), das Ermöglichen des Familiennachzugs für alle Angehörigen und die Angleichung des deutschen Rechts an die Standards der UN-Kinderrechts- und der UN-Wanderarbeiterkonvention. Das bedeutet zudem Schutz für „Illegalisierte“ vor Ausbeutung und unmenschlichen Lebensverhältnissen.

Das Scheitern des Zuwanderungsgesetzes gibt die Gelegenheit, von der Diskussion über noch mehr Polizeirecht im Ausländerrecht endlich wegzukommen und sich mit den wirklichen Problemen zu beschäftigen. Wir fordern die Koalition auf, diese Chance endlich wahrzunehmen.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

6.5.2004
www.petra-pau.de

 

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