Aktuelle Notiz: Taktischer Aussetzer oder strategischer Ausstieg?

von Petra Pau
Berlin, 31. Mai 2004

1. Die FDP hat im Bundestag erneut eine Volksabstimmung zur EU-Verfassung beantragt - erfolglos. CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen. Wir - die PDS im Bundestag - waren dafür, wie im Herbst 2003, als schon einmal ein Vorstoß an denselben Mehrheiten scheiterte.

2. Die CDU/CSU ist für ihre Ablehnung bekannt. Sie ist prinzipiell gegen direkte Demokratie auf Bundesebene. Ihre Argumente sind schwach, aber zäh. Volksabstimmungen würden den Parlamentarismus schwächen, heißt das eine. Politik sei für Volkes Stimme zu komplex, lautet das andere.

3. Die SPD ist programmatisch für Plebiszite. Praktisch gehört sie zur Verhinderungs-Front. 2002 brachte sie einen Pro-Antrag in den Bundestag ein. Als pures Alibi, spät genug, um sicher zu sein, dass er vor den Neuwahlen keine Zweidrittel-Mehrheit bekommt. Eine EU-Abstimmung lehnt sie kategorisch ab.

4. Die Grünen sind als Demokratie-Bewegung groß geworden und als Partei noch immer für Volksabstimmungen. Aber sie spielt doppelt. Ihr heimlicher Vorsitzender, Joseph Fischer, ist gegen ein EU-Plebiszit, ihr EU-Spitzenmann, Cohn-Bendit dafür. Die Partei beschloss Ja, die Fraktion stimmt mit Nein.

5. Die FDP folgt ihren bürgerrechts-liberalen Rest-Grundsätzen. Das schließt Populismus nicht aus. Aber es waren FDP-Politiker (nicht die Partei), die den großen Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall brachten. Und aktuell opponiert die FDP-Fraktion gegen den Daten-Handel-Deal: USA-EU.

6. Für die PDS war „mehr Demokratie“ konstituierend. Das prägte die erste Erneuerung von der SED zur PDS. Das galt während der Verfassungs-Debatte nach der Vereinigung 1990. Das Ja zur EU-Volksabstimmung ist grundsätzlich - unabhängig davon, ob wir die Verfassung gut oder schlecht finden.

7. Themen, wie „mehr Demokratie“ oder gar „Verfassungsfragen“ sind zumeist abstrakt, sie berühren selten. Gerade deshalb bietet die EU-Verfassung eine Doppelchance. Eine Volksabstimmung könnte eine weit reichende Debatte über die EU eröffnen. Sie wäre zugleich ein Einstieg für mehr Demokratie im Lande.

8. Bis 1998 versprachen SPD und Grüne „mehr Demokratie“. Seither blockieren sie die Einlösung. „Das liegt am Regieren“, höre ich und vermute: das greift viel zu kurz. Die „Agenda 2010“ zum Beispiel schreibt ein Drittel der Bevölkerung sozial ab. Ein solches Programm lässt sich schwer vom Volk absegnen.

9. Die EU-Politik drängt ins Militärische. Die Innenpolitik bricht Bürgerrechte. Die Steuerpolitik enterbt den Sozialstaat. Die Bürgerinnen und Bürger werden entmündigt. Das Grundgesetz wird unterspült. All das ist reale Praxis und steht natürlich im Kontra zur Vision Willi-Brandts: „Mehr Demokratie wagen!“

10. Ich bin weit vom leichten Sinn entfernt, „Volkes Stimme spreche a priori gut und recht. Zuweilen gruselt es mich, wenn ich Stammtisch-Gespräche höre. Politik und Medien tragen das ihre zur Kulturlosigkeit bei. Das spricht gegen beide. Aber das alles sind keine ernsthaften Argumente gegen mehr Demokratie.
 

 

 

31.5.2004
www.petra-pau.de

 

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