Mehr Demokratie und Bürgerrechte

Bundestag, 30. November 2005, Aussprache zum Koalitionsvertrag/Innenpolitik
Rede von Petra Pau

1. 

Grundgesetz verteidigen
Wenn wir über Innenpolitik reden, über innere Sicherheit, über Kriminalitäts-Bekämpfung, über Polizei-Befugnisse und so weiter, dann reden wir zugleich immer auch über Demokratie und Bürgerrechte. Das ist jedenfalls der Generalansatz der Linksfraktion.
Beide Seiten bilden zuweilen ein Spannungspaar. Wir haben in den vergangenen Jahren am Beispiel der „Otto-Pakete“ erlebt, wie Bürgerrechte einer vermeintlichen Sicherheit geopfert wurden. Die große Koalition will diesen falschen Kurs weiterführen. Damit werden sie auf den Widerstand der Linksfraktion stoßen.

2. 

Verstöße aufklären
Zum Koalitionsvertrag komme ich gleich. Vorher spreche ich noch über zwei Hängepartien, die das Ausmaß der Bürgerrechtsverletzungen hierzulande illustrieren.
Ich meine die Spitzelaktionen des BND gegen Journalisten und ein renomiertes Friedensforschungsinstitut. Die BND-Spitze hat das selbst eingeräumt und als Fehler benannt. Das ist aber kein Fehler, das ist ein klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit und damit gegen das Grundgesetz!
Ich meine weiterhin das Agieren der CIA auf europäischem und deutschem Territorium. Auch das sind Verstöße gegen allgemeine Menschenrechte und gegen unser Grundgesetz. Auch dafür gibt es hierzulande politisch Verantwortliche. Und ich will, dass das hier im Bundestag geklärt wird und nicht in verschlossenen Amtsstuben.

3. 

Lauschangriffe zurücknehmen
Schon in den zurückliegenden Jahren gab es kaum ein Politikfeld, beim dem sich SPD und CDU so einig waren, wie in der Innenpolitik. Schily und Beckstein waren als siamesische Zwillinge legendär, und zwar nicht zum Guten.
Zählen sie selbst nach, wie viele Gesetze und wie oft ihre Sicherheits-Praxis vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet ist und dort gerügt wurde. Ich erinnere nur an den großen Lauschangriff. Das alles hat aber in der großen Koalition offenbar nicht zum Umdenken geführt.
Ich nehme nur den neuesten Coup: Demnach will Innenminister Schäuble das bundesdeutsche Maut-System zum Fahndungs- und damit zum Überwachungs-System ausbauen. Die Linksfraktion lehnt das ab.

4. 

Keine Bundeswehr im Innern
Ebenso den Einsatz der Bundeswehr im Innern. CDU und CSU wollen das ausdrücklich und dafür das Grundgesetz ändern. Bis vor kurzem war auch die SPD dagegen. Schaut man nun aber in den Koalitions-Vertrag, dann klingt das Nein der SPD bereits stark nach einem Jein.
Und einen großen Schritt zum Einsatz der Bundeswehr im Innern war Rot-Grün ja auch schon gegangen, als es das so genannte Luftverkehrssicherheitsgesetz beschloss. Kritiker haben es als „Lizenz zum Töten“ bezeichnet. Ich teile diese Einschätzung. Auch dieses Gesetz wird derzeit vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Ich begrüße das.

5. 

Mehr Demokratie
Wir wollen etwas anderes: Wir wollen mehr direkte Demokratie auch auf Bundesebene. Das Thema ist nicht neu. Aber es drängt, auch angesichts der zunehmenden Parlaments-Verdrossenheit.
Seit 1990, seit der Vereinigung, wurden zwei historische Chancen verspielt, Volksabstimmungen ins Grundgesetz aufzunehmen. Die erste lag auf der Hand, als es darum ging, das provisorische Grundgesetz zu einer Verfassung zu erheben, die von der Bevölkerung angenommen wird.
Die zweite gab es zuletzt, als es um die EU-Verfassung ging. In nahezu jedem EU-Land kann die Bevölkerung direkt mitbestimmen. Spätestens hier wird offenbar: In Sachen direkter Demokratie ist die Bundesrepublik Deutschland ein EU-Entwicklungsland. Das muss sich endlich ändern.

6. 

Übergreifende Integration
Es gab in der Koalition ein kurzes Kompetenzgerangel, in welchem Ressort die Beauftragte für Migration und Integration angesiedelt wird. Es ist ein ungemein wichtiges Amt. Das wissen wir nicht erst seit den gewalttätigen Eruptionen in Frankreich vor wenigen Wochen.
Ich bin erleichtert, dass die Wahl auf das Bundeskanzleramt fiel und nicht auf das Innenministerium. Denn die Themen Migration und Integration sind mehr denn je Querschnittsaufgaben. Genau dieser Anspruch findet sich aber im Koalitionsvertrag nicht wieder. Dort werden Menschen mit Migrations- Hintergrund weiterhin vorwiegend als Störfaktoren und Kriminelle betrachtet. Diese Sicht muss endlich überwunden werden.

7. 

Beamtenrecht stärken
Ein weiteres Thema: Sie wissen, wir haben als Linke ein kritisches Verhältnis zum deutschen Beamtentum. Aber wir sind dagegen, dass der Staat sein Mütchen ausgerechnet an Beamtinnen und Beamten kühlt.
Deshalb wiederhole ich gern mein Standard-Bild: Ich bin prinzipiell gegen Prostitution. Aber so lange es sie gibt, werde ich mich dafür einsetzen, dass es den Prostituierten so gerecht wie möglich ergeht.
Die große Koalition ist mit einer Attacke gegen Beamtinnen und Beamten gestartet. Sie sollen länger arbeiten und dafür auf Bezüge verzichten. Zugleich werden ihnen alle Ansprüche auf mehr Mitsprache verwehrt.
Das ist nicht klug. Das ist auch nicht gerecht. Die Linksfraktion verschließt sich nicht, wenn es um ein modernes Beamtenrecht geht. Aber wenn, dann immer mit den Betroffenen, nicht ohne und nicht gegen sie.
Dazu gehört, dass auch die neue Koalition bislang keine Perspektive für Beamtinnen und Beamte in den Neuen Bundesländern eröffnet, die gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen weiterhin benachteiligt werden. Das ist ein Armutszeugnis, Frau Merkel.

8. 

Appell an den Innenminister
Nun noch eine Bitte an Innenminister Schäuble. Sie haben 1996 laut FAZ gesagt, man müsse endlich weniger Demokratie wagen. Und sie haben gemeint, die Verfassung verkomme zur Fessel der Politik.
Ich appelliere:
Widerrufen Sie jetzt, öffentlich und glaubhaft. Das wäre auch ein unverzichtbarer Beitrag gegen den grassierenden Rechtsextremismus. Und wenigstens im Kampf gegen Rassismus, Nationalismus und Neofaschismus sollten wir uns als demokratische Parteien - über alle Fraktionsgrenzen hinweg - einig werden und aktiv sein.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

30.11.2005
www.petra-pau.de

 

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