Der CSD muss politisch sein

Grußwort von Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin, zum Christopher-Street-Day in Stuttgart, 19. 08. 2006

Berlin ist bekannt für seine rege, einfallsreiche und engagierte Lesben- und Schwulen-Community. Erst vorigen Sonnabend war ich bei einem großen und bunten Fest im Volkspark Friedrichshain. Und wie immer auf solchen Festen oder auf Demonstrationen traf ich auch auf die Aktiven vom Verein Lesben und Schwule in der Polizei. Ich kenne sie seit Jahren.

Dass sie mit ihren Forderungen die Öffentlichkeit suchen und Gehör finden, gehört zur Berliner Normalität. Aber sie vereinen und engagieren sich natürlich auch, weil ihre Lebens- und Liebesweisen eben nicht überall zur Normalität gehören, auch nicht in Deutschland. Deshalb halte ich es für richtig und wichtig, dass Veranstaltungen - wie der CSD - nicht nur bunt, sondern immer auch politisch sind.

Ich finde übrigens auch, man muss die Maßstäbe hoch halten. Es wird gern und zu recht auf Osteuropäische Länder verwiesen. Und es ist in der Tat ein Unding aus dem Mittelalter, wenn die Polizei in Moskau eine Demonstration von Lesben und Schwulen nieder knüppelt. Und es nicht hinnehmbar, wenn in Polen Schwule und Lesben höchst offiziell als Unmenschen gebrandmarkt werden. Da ist unser aller Solidarität gefragt. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Deutschland nicht alles zum Besten steht, dass auch hier noch viel zu tun ist und dass manch Errungenes sogar in Gefahr ist.

Nehmen wir das Beispiel Anti-Diskriminierungsgesetz. Rot-Grün hatte es vorangetrieben. Ich wollte mehr und habe das im Bundestag auch deutlich gesagt. Den Unionsparteien wiederum ging das Ganze zu weit. Und da wir inzwischen eine große Koalition haben, bekommen wir ein Anti-Diskriminierungsgesetz light.

Bemerkenswert finde ich die Begründung: Ein deutsches Gesetz dürfe nicht über EU-Niveau liegen, sagt die Union. Deshalb dürfe nur 1 : 1 umgesetzt werden, was in Brüssel vorgegeben wird. Und genau dieses Argument teile ich nicht. Ich halte es für falsch und verlogen. Überall, in der ganzen Welt, will die Bundesrepublik die Nr. 1 sein. Nur wenn es darum geht, Anti-Diskriminierung zurückzudrängen, dann wird Mittelmaß gepredigt. Deshalb meine Frage nach den Maßstäben. Wir sollten sie gemeinsam hoch halten, gerade wenn es um Menschen- und Bürgerrechte geht.

Ich habe mit Berlin begonnen und will nun gern über Stuttgart sprechen. Ich bin übrigens gerne hier her kommen. Baden-Württemberg ist ein schönes Land. Außerdem geschehen hier höchst seltsame Dinge. Zuweilen sind sie so grotesk, dass kein Kabarett da mithalten kann. Nehmen wir nur den Fragebogen, mit dem Migrantinnen und Migranten hierzulande getestet werden sollen, ob sie deutschtauglich sind.

Demnach sollen muslimische Mütter es prima finden, wenn ihr Sohn schwul ist. Und muslimische Männer sollen sich freuen, wenn sie endlich eine Frau als Chefin kriegen. Als ich das las, da habe ich mich gefragt: Was hat ausgerechnet Baden-Württemberg gegen den Papst aus Bayern. Denn Benedikt der XVI. würde nie eine Frau über sich dulden und über eine lesbische Tochter darf er sich auch nicht freuen.

Und schon sind wir wieder bei Maßstäben und Vorgaben. Ich bin eine erklärte Gegnerin der immer wieder kehrenden Debatte über eine deutsche Leitkultur. Mir konnte auch noch niemand erklären, was dies wirklich sein soll. Unterm Strich bleibt bestenfalls: Wer hier lebt, sollte Deutsch sprechen und schreiben können. Und wer hier leben will, muss natürlich das Grundgesetz respektieren. Dafür bin ich auch.

Aber dafür braucht man nicht so hehre und zugleich nebulöse Begriffe wie „deutsche Leitkultur“. Für mich gilt Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wohl bemerkt: Aller Menschen, nicht nur die der Deutschen, nicht nur die erlauchter Katholiken, nicht nur die von Heteros.
 

 

 

19.8.2006
www.petra-pau.de

 

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