Bundestag als Erinnerungsstätte

Seit 1969 lädt der Senat ehemalige Berliner aus aller Welt ein, die in der Zeit nationalsozialistischer Verfolgung emigrieren mussten und konnten. Im Rahmen ihres Besuchs-Programms empfing Petra Pau heute als Vize-Präsidentin rund 40 dieser Gäste im Bundestag. Sie hatten seinerzeit in Argentinien, England, Frankreich, Niederlande, Schweden und Israel Zuflucht gefunden.

Begrüßung aus Berlin Emigrierter in Berlin,
von Petra Pau, Bundestagvizepräsidentin

Berlin, 13. Oktober 2006

1. 

Ich begrüße Sie in meiner Heimatstadt. Mein Name ist Petra Pau. Hier, im Parlaments-Viertel, heiße ich Sie allerdings weniger als Berlinerin Willkommen, sondern vor allem als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und damit der derzeit 613 Abgeordneten aus allen 16 Bundesländern im höchsten Parlament der Bundesrepublik Deutschland.

2. 

Wir sind hier an einer modernen und zugleich an einer sehr historischen Stätte. Im Haupt-Gebäude residierte von 1894 bis 1933 der Reichstag. Er wurde nach der Machtübernahme durch Hitler aufgelöst. 1945 wehte auf dem schwer beschädigten Gebäude die Fahne der Roten Armee, als Zeichen für den Sieg der Alliierten über den Faschismus.

3. 

Nach der Teilung Deutschlands galt das Reichstagsgebäude dem Bundestag als symbolische Außenstelle. Der Bundestag selbst konstituierte sich am 7. September 1949 in Bonn, wo er rund 50 Jahre bleiben sollte. Daher wird die „Bundesrepublik alt“ auch häufig als „Bonner Republik“ bezeichnet.

4. 

Knapp ein Jahr nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland fand im Bundestag eine große, historische Debatte statt. Das war am 20. Juni 1991. Es ging um die Frage, ob der Bundestag nach Berlin an die Spree umziehen sollte oder ob er in Bonn am Rhein bleiben soll. Eine knappe Mehrheit von 338 Abgeordneten gegen 320 Stimmen entschied sich damals für Berlin, der offiziellen Hauptstadt.

5. 

Dann schlug hier die große Stunde der Architekten und Bauherren. Wobei der oberste Bauherr eine Frau war, die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth. Was damals geplant wurde, können Sie inzwischen besichtigen. Das taten übrigens seit dem Parlamentsumzug 1999 rund 13 Millionen Besucherinnen und Besucher aus aller Welt. Das Bundestags-Ensemble gilt seither als das am meisten besuchte Parlament weltweit.

6. 

Das Herzstück des Parlaments-Viertels bilden vier große Gebäude, allen voran natürlich das Reichstagsgebäude mit seinem Plenarsaal und der neu geschaffenen gläsernen Kuppel. Sie soll die Transparenz der Demokratie symbolisieren und sie ist ein beliebtes Ausflugsziel mit einem herrlichen Panorama-Blick über die Innenstadt. (Leider keine Sitzungs-Woche und obendrein wird die Kuppel gerade turnusmäßig gereinigt.)

7. 

Das Äußere des Reichstagsgebäudes entspricht weitgehend seinem alten Vorbild. Innen wurde es natürlich für einen modernen Parlamentsbetrieb hergerichtet. Wenn Sie die Zeit und Muße haben, dann werden sie zugleich überall auf historische Zeugnisse oder auf künstlerische Zitate stoßen. Sie sollen erinnern, mahnen oder zum Denken animieren. So wurden z. B. für die von 1933 bis 1945 verfolgten, verfemten oder ermordeten Abgeordneten zwei Denkmale gestaltet.

8. 

Am West-Giebel des Reichtagsgebäudes finden Sie die alte Inschrift: „Dem deutschen Volke“. Die wiederum wird durch ein Kunstwerk im Innenhof in Frage gestellt. Auf Erde aus der ganzen Bundesrepublik steht dort der Schriftzug: „Der Bevölkerung“. Das ist etwas anderes und soll daran erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland viel mehr und bunter ist, als das deutsche Volk.

9. 

Wie gesagt: Der Bundestag zog 1999 von Bonn nach Berlin. Im selben Jahr, konkret am 25. Juni, fand auch hier eine historische Debatte statt. Und es wurde beschlossen, im Herzen Berlins ein Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden zu errichten. Ich hatte mich, wie andere auch, seit Jahren dafür eingesetzt. Seit 1 ½ Jahren ist es eröffnet und findet seither außerordentlich großen Zuspruch.

10. 

Es ist übrigens kein Denkmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden. Dagegen würden auch der Zentralrat der Juden in Deutschland protestieren und sicher ebenso die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Es ist ein Mahnmal, das im Land der Täter an die einmalige Tat erinnern soll, an den Holocaust. Und es steht im Kontext zu weiteren Gedenkstätten, etwa der „Topografie des Terrors“ oder zum Haus der „Wannsee-Konferenz“.

11. 

Mit alledem will ich keinesfalls sagen, dass wir hier in Berlin oder in der Bundsrepublik Deutschland eine hohe Erinnerungskultur pflegen, die ohne Widersprüche sei. Aber ich will Sie anregen, den Bundestag nicht nur als Parlament oder Gebäude zu sehen, sondern zugleich auch als vielfältige Erinnerungsstätte an eine sehr wechselvolle Geschichte.

12. 

Über die drei anderen Hauptgebäude - die modernen - habe ich nun gar nichts gesagt. Aber Sie werden diese bei ihrer kurzen Führung kennen lernen. Und außerdem steht auf ihrem Programm ja auch noch eine Schiffsfahrt durch die historische Innenstadt. Und dabei werden Sie das Parlaments- und Regierungsviertel von seiner schönsten Seite sehen.
 

 

 

13.10.2006
www.petra-pau.de

 

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