Marathon der Demokraten - für unser Land

Kundgebung „Tag der Demokraten“
Halbe, 18. November 2006
Rede von Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

1. 

Ich habe genau vor einer Woche mit Hunderten Berlinerinnen und Berlinern in Reinickendorf demonstriert. Dort hatte die NPD ihren Bundesparteitag eröffnet. Den ersten in der „Reichshauptstadt“, wie ihr Vorsitzender meinte.
Ich hatte für mich und für viele klar gestellt: Der Berliner Bedarf an „Reichshauptstadt“ ist für immer gedeckt. Berlin ist weltoffen, demokratisch und tolerant. Berlin ist bunt und nicht braun.

2. 

Und ich sage heute: Ich habe auch keinerlei Bedarf an „Heldengedenken“: nicht in Wunsiedel, nicht in Seelow und auch nicht in Halbe.
Der 2. Weltkrieg, der von Deutschland ausging und der nach Deutschland heimkehrte, war kein deutsches Heldenepos. Es war ein Vernichtungskrieg, der 50 Millionen Menschen das Leben kostete.
Und viele, die ihn und die faschistischen Konzentrationslager überlebten, schworen danach: „Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus!“
Dieser Schwur lebt fort. Und das gebe ich zu bedenken.

3. 

Es nicht hinnehmbar, dass alte und neue Kameraden - buchstäblich - auf dem Rücken Tausender Toter, Faschismus und Krieg verherrlichen.
Die Toten können sich nicht wehren. Auch deshalb sind wir heute hier, um zu demonstrieren: Wir wehren uns, wir nehmen das nicht hin!

4. 

Als ich vorige Woche zur Kundgebung ging, sprach mich ein erregter Berliner an. „Sie, Frau Pau, können doch nachher reden“, sagte er.
„Warum sagt nicht endlich mal einer die Wahrheit?“, drängte er: „Die Nazis haben mir die Jugend genommen, nun wollen sie mir auch noch das Alter nehmen. Das können Sie doch nicht zulassen.“
WIR können das nicht zulassen. Denn es geht um UNSER Leben, es geht um UNSER Land, es geht um UNSERE Demokratie. Deswegen finde ich es richtig, dass ein sehr breites Bündnis zu diesem „Tag der Demokraten“ aufgerufen hat. Und noch wichtiger ist, dass viele teilhaben.

5. 

Ich sage aber auch: Ein Aufstand der Anständigen reicht nicht mehr. Denn Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus haben sich längst inmitten der Gesellschaft eingenistet. Und Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind längst ein Alltagsproblem.
Deshalb ist es auch falsch, den Rechtsextremismus als Jugend-, Ost- oder Randphänomen zu behandeln. Die Zivilgesellschaft ist gefragt, mit Courage und langem Atem, und zwar in Ost und West, bundesweit.

6. 

Seit Jahren frage ich Monat für Monat die Bundesregierung, wie viele rechtsextremistische Straftaten und wie viele rechtsextremistische Gewalttaten registriert wurden. Der Befund ist alarmierend.
Allein seit 2004 haben die Straf- und Gewalttaten um 50 Prozent zugenommen. Die offiziellen Zahlen sind vorläufig, die realen sind weit höher und damit auch die Zahl der Opfer.
Im statistischen Bundesschnitt werden jede Stunde 1 ½ Straftaten und Tag für Tag 2 ½ Gewalttaten registriert. Rechtsextremismus ist auch hierzulande längst wieder eine alltägliche Gefahr für Leib und Leben.

7. 

Nun kenne ich ja auch die einschlägigen Losungen. Zum Beispiel: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ Ja, Faschismus ist ein Verbrechen! Aber machen wir es uns bitte nicht zu leicht.
Auch Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus beginnen im Kopf, erst als Gedanke, dann als Meinung. Wer also das Verbrechen verhindern will, muss eingreifen, bevor sich krude Gedanken zur braunen Meinung verfestigen. Das ignoriert die Losung.
Das aber ist keine Aufgabe der Innenpolitik, sondern eine Herausforderung für die ganzen Gesellschaft: in der Kneipe, im Gottesdienst, in der Schule, im Stadion, in der Talkshow, im Bundestag.

8. 

Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht missverständliche Signale setzten. Zum Beispiel durch das Recht und durch die Justiz.
Für mich ist es jedenfalls ein Unding, dass Rechtsextreme ungestraft „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ skandieren dürfen und dass zugleich Antifaschisten für durchgestrichene Hakenkreuze belangt werden.

9. 

Und weil ich weiß, dass Andere anders darüber denken, will ich auch das noch sagen. Die deutsche Sprache ist unverzichtbar und das Grundgesetz gilt für jede und jeden, natürlich auch für Migrantinnen und Migranten.
Aber um das zu sagen, muss man nicht eine „deutsche Leitkultur“ erfinden, die ein gefährliches Eigenleben entfalten kann und sich dann einen Teufel um Artikel 1 Grundgesetzes schert. Und der besagt zu Recht: Die Würde des Menschen ist unantastbar und zwar aller Menschen!

10. 

Übrigens, ich bin durchaus für eine neue Werte-Debatte. Wobei meine Vorzugs-Werte Gerechtigkeit, Toleranz und Solidarität sind. Wo diese nämlich verloren gehen, wittern Rechtsextremisten ein Einfallstor. Und genau das müssen wir schließen - moralisch, politisch, praktisch.
Auch deshalb ist es gut, dass wir heute hier sind. Deshalb ist es wichtig, dass es nicht bei einem „Tag der Demokraten“ bleibt. Und deshalb werbe ich: Wir brauchen einen Marathon der Demokraten - für unser Land!
 

 

 

18.11.2006
www.petra-pau.de

 

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