Aktuelle Notiz: Kurnaz, Steinmeier, Widersprüche

von Petra Pau
Berlin, 27. Januar 2007

1. 

„Steinmeier kommt unter Druck“, titelte gestern eine Zeitung. Gemeint ist Frank-Walter Steinmeier (SPD), heute Bundesaußenminister. Unter Rot-Grün war er Chef im Bundeskanzleramt und damit auch zuständig für die Koordinierung der Deutschen Geheimdienste. „Unter Druck“ kam er, seitdem der Bremer Murat Kurnaz im so genannten BND-Ausschuss ausgesagt hatte. Hinzu kamen neue Medien-Berichte, die das rot-grüne Bundeskanzleramt in den Focus des öffentlichen Interesses brachten.

2. 

Zum Verständnis dessen, was ich vorsichtig „Widersprüche“ nenne, erinnere ich in Kurzform an die Geschichte, um die es aktuell geht: Der Bremer Murat Kurnaz flog im Spätherbst 2001 nach Pakistan. Dort wurde er aufgegriffen und für ein Kopfgeld an US-Truppen verkauft, die ihn in Afghanistan internierten. Später überstellten sie in nach Guantanamo, wo er, wie Hunderte andere auch, rechtlos und unter Folter interniert wurde. Bis 2006, dann entließen die USA Murat Kurnaz nach Deutschland.

3. 

Was aber hat nun Frank-Walter Steinmeier mit alledem zu tun? Nichts! Das war jedenfalls der Eindruck, den die Bundesregierung und die SPD lange Zeit verbreiteten. Und das ist auch der Eindruck, den Frank-Walter Steinmeier heute in einem Exklusiv-Interview für BILD bekräftigen wollte. Mit wenig Erfolg, wie die Kommentare verschiedenster Medien zeigen. Vielmehr hat er die Widersprüche, die seit langem im Raum schweben, erst richtig aufgerufen, aus Leichtsinn oder mit Kalkül.

4. 

Der Punkt, um den sich derzeit alles dreht, ist die Frage: Konnte Murat Kurnaz schon 2002 aus Guantanamo entlassen werden, wenn es die Deutsche Regierung nur gewollt hätte? Es habe zu keiner Zeit ein entsprechendes Angebot der USA gegeben und die Bundesregierung habe sich jeder Zeit intensiv um Murat Kurnaz gekümmert. Das waren die zwei zentralen Botschaften, die Frank-Walter Steinmeier heute im BILD-Interview vermitteln wollte, genau so, wie es die SPD seit Tagen versucht.

5. 

Beide Sätze kommen selbstbewusst daher. Sie stoßen sich aber an Fakten, die seit Tagen unwidersprochen veröffentlicht und belegt werden. Demnach hat sich die Bundesregierung im Früh-Herbst 2002 sehr „intensiv darum gekümmert“, dass Murat Kurnaz weder nach Deutschland, noch in die EU einreisen konnte. In Bremen wurde seine Aufenthaltserlaubnis gelöscht, weil er sich nicht rechtzeitig gemeldet habe, und EU-weit wurde er wegen ungültiger Papiere als unerwünscht ausgeschrieben.

6. 

Ich habe das als „zynisch und menschenverachtend“ bezeichnet. Aber darum geht es jetzt weniger. Die simple Frage lautet doch: Warum hat die Bundesregierung 2002 so hektisch agiert und Vorkehrungen getroffen, um eine Heimkehr Kurnaz' nach Bremen zu verhindern, wenn es doch angeblich zu keiner Zeit ein entsprechendes Entlassungs-Angebot der USA gegeben hat? Und auch das wurde heute publik und bestätigt: Bei der entscheidenden Sitzung im Bundeskanzleramt war Frank-Walter Steinmeier dabei.

7. 

Im Laufe des Tages versuchte die SPD, medial eine neue Sprachregelung zu platzieren: Dass Kurnaz nicht nach Deutschland einreisen konnte, bedeute ja mitnichten, dass er nicht in die Türkei hätte entlassen werden können. Schließlich hat Kurnaz zwar in Bremen gelebt, aber mit türkischer Staatsbürgerschaft. Diese „Haltet den Dieb!“ ist nun wahrlich kein starkes Argument, sondern ein starkes Stück. Ich weiß nicht, ob die Türkei je eine Chance hatte. Rot-Grün in Deutschland hatte sie.

8. 

Das Lager in Guantanamo gilt weltweit als völkerrechtswidrig und Folter-Hölle. Die Verantwortung dafür trägt die US-Administration. Ausrufezeichen. Aber so, wie es sich aktuell darstellt, hat die rot-grüne Bundesregierung einen Bürger aus Bremen vier Jahre länger den Guantanamo-Qualen ausgesetzt, als nötig. Sie hat die Freilassung von Murat Kurnaz aktiv hintertrieben. Frank-Walter Steinmeier war daran beteiligt. Und das war nur eine „Episode“ aus der Geschichte „Kurnaz, Steinmeier, Widersprüche“.

PS 1: Frank-Walter Steinmeier argumentiert: Nach dem 11. 9. 2001 haben er und alle Sicherheitsdienste mit Hochspannung daran gearbeitet, Terroranschläge abzuwenden und die Sicherheit von 80 Millionen Deutsche bestmöglich zu gewährleisten. Das ist nachvollziehbar, egal, ob man die Methoden teilt. Ebenso nachvollziehbar wäre es, wenn im „Eifer des Gefechts“ Fehler unterlaufen wären. Die kann man ein- und ausräumen. Aber genau das passiert nicht. Stattdessen wird verklärt, vertuscht und verheimlicht.

PS 2: Vieles von dem, was aktuell publik wurde, kam über die Medien. Uns, den Mitgliedern des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sind in doppelter Hinsicht die Hände gebunden. Alles, was im Bundeskanzleramt beraten, koordiniert und verfügt wurde, wird uns vorenthalten. Und fast alles, was wir Drumherum aufklären, gilt als „geheim“. Wir dürfen nicht drüber sprechen. Insofern habe ich diese Aktuelle Notiz auch so geschrieben, als wüsste ich nicht mehr. Ich konnte das, dank Pressefreiheit.

PS 3: Ich erhalte Fragen, ob es denn nicht unangemessen wäre, einen Bremer Türken gegen einen deutschen Minister aufzuwiegen. Ich kenne niemanden, der das tut. Ich halte mich strikt an Artikel 1, Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ Aller Menschen, nicht nur der Deutschen. Bevor Frank-Walter Steinmeier der BILD-Zeitung sein Exklusiv-Interview gab, hatte diese eine typische BILD-Kampagne nach dem Motto gestartet: „Was geht uns eigentlich dieser Türke an?“ So tief kann man sinken!
 

 

 

27.1.2007
www.petra-pau.de

 

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