Aktuelle Notiz: Urteil über Bundes-Trojaner

von Petra Pau
Berlin, 2. März 2008

1. 

Am 27. Februar 2008 fällte das Bundesverfassungsgericht ein lang erwartetes Urteil. Es ging um die Frage, ob sich der Staat heimlich in Computer einschmuggeln und dort Daten auslesen darf. Gegen diese Absicht, immer wieder gefordert im so genannten Anti-Terror-Kampf, regte sich seit längerem zunehmender Protest. Die Rechtslage schien unklar, jedenfalls bis Mittwoch dieser Woche.

2. 

Das Land Nordrhein-Westfalen war vorgeprescht und hatte ein Gesetz erlassen, das „Online-Durchsuchungen“ legitimierte. Dagegen gab es mehrere Klagen. Nunmehr erklärte das Bundesverfassungsgericht das umstrittene Gesetz für Null und nichtig, für grundgesetzwidrig. Das war die gute Botschaft. Sie wurde von vielen Datenschützern und Bürgerrechtsorganisationen als großer Erfolg gefeiert.

3. 

Aber das Bundesverfassungsgericht goss auch einen bitteren Tropfen in den Freudenbecher. Es verwarf zwar das Überwachungsgesetz aus Nordrhein-Westfalen. Aber es schloss heimliche Online-Durchsuchungen nicht grundsätzlich aus. Das wiederum freut die Schäubles & Co. Und so feierte jede Seite das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf ihre Weise. Liegt die Wahrheit also in der Mitte? Ich finde Nein!

4. 

Das Bundesverfassungsgericht hat einmal mehr jenen das Rückrat gestärkt, die für den Erhalt von Freiheits- und Bürgerrechten streiten. Und es hat all jene „Staatsschützer“ in enge Schranken verwiesen, die es mit dem Grundgesetz nicht ganz so ernst nehmen. Es hat die Hürden für große Lauschangriffe im Internet-Zeitalter sehr hoch gehängt und damit den staatlichen Einbruch in die persönliche Datenwelt zur Ausnahme erklärt.

5. 

Das Bundeskriminalamt darf daher nicht, wie beabsichtigt, nach Gutdünken schalten und walten. Es muss begründen, warum es eine „außerordentliche Gefahr“ für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland sieht und warum es zur Abwehr einer „konkreten Gefahr“ die Online-Untersuchung für unverzichtbar hält. Das letzte Wort hat damit nicht das BKA, sondern ein zuständiger Richter. So weit, so gut.

6. 

Aber das ist keine Entwarnung. Jüngste Erfahrungen lehren: Je höher die Hürden stehen, desto größer ist die Neigung, sie zu unterlaufen. Rund um den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm wurden bei G8-Kritikern zahlreiche Razzien durchgeführt und etliche Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet. Sie alle waren rechtswidrig, wurde hernach festgestellt. Sie wurden trotzdem von Staats wegen forciert.

7. 

Hinzu kommt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Online-Überwachungen sind keine Haus-Durchsuchungen. Sie finden klammheimlich statt, ohne dass die Betroffenen davon etwas merken. Sie könnten folglich auch ohne richterliche Genehmigung durchgeführt werden. Das ist kein Vorwurf an das Bundesverfassungsgericht. Es kann nur regeln, was rechtsstaatlich regelbar ist. Das ist vielmehr eine Warnung vor zuviel Gutgläubigkeit.

8. 

Historisch an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist etwas anderes. Es hat sinngemäß festgestellt: Das Grundgesetz ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das sagen die Schäubles & Co. auch. Der Unterschied ist: Die Verfassungsrichter wollen das Grundgesetz modernisieren, um Grundrechte zu stärken. Die Schäubles & Co. wollen das Grundgesetz revidieren und Grundrechte schwächen.

9. 

Konkret verwiesen die Verfassungsrichter auf die Artikel 10 und 13 des Grundgesetzes. Diese schützen das Postgeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Aber sie umfassen nicht mehr die Realität des 21. Jahrhunderts. Ein datenintensiver, weltweit vernetzter Laptop hat nichts mehr mit dem Fernmeldewesen im vorigen Jahrhundert zu tun und er lässt sich auch nicht an eine geschützte Wohnung binden.

10. 

Das beschreibt die eigentliche Herausforderung für die Politik als Gesetzgeber. Und das ist zugleich die Ermutigung für alle, die sich für Bürger- und Freiheitsrechte einsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu einen eigenen Beitrag geleistet. Es hat ein neues Grundrecht „auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ gesetzt - ein vielleicht schwer verständliches, aber gutes Signal.

11. 

1983 hatte das Bundesverfassungsgericht im so genannten Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begründet und den Datenschutz gestärkt. Das war vor 25 Jahren zu Zeiten von Papier und Kugelschreiber. Nun hat das Gericht daran erinnert, dass wir inzwischen im Internet-Zeitalter leben und daher neue Regeln brauchen. Das Urteil ist eine kaum versteckte Rüge an den Bundestag.

12. 

Was Innenminister Schäuble kaum anficht. Er will, dass auch der Bundesverfassungsschutz online schnüffeln darf und die so ergaunerten Daten auch vor Gericht Bestand haben. Umso drängender brauchen wir ein modernes Datenschutzrecht. Und auch das Grundgesetz müsste auf die Höhe der Zeit gehievt werden. Dazu bedarf es im Bundestag allerdings einer 2/3-Mehrheit. Das wiederum verspricht politische Spannung.
 

 

 

2.3.2008
www.petra-pau.de

 

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