Die Datensammelwut muss beschränkt und beendet werden

Bundestag, 4. Juni 2008, Debatte zur Telekom-Affäre
Rede von Petra Pau

1. 

Die Telekom soll über einen längeren Zeitraum Mitarbeiter, Führungskräfte und Journalisten ausgespäht, abgehorcht und überwacht haben. Von einer „Spitzel-Affäre“ ist die Rede. Andere vergleichen sie bereits mit der „Spiegel-Affäre“ rund um den CSU-Vorsitzenden Franz-Joseph Strauß in der Alt-Bundesrepublik in den 1960er Jahren.
Inzwischen ist auch die Bahn AG in ähnliche Schlagzeilen geraten. Einige Kollegen vermuten sogar öffentlich, dass auch sie und weitere Abgeordnete im Visier Mehdorns waren. Sollte das stimmen, dann hat der Bundestag ein sehr ernstes Problem: Denn für beide, für die Telekom und für die Bahn, hat die Bundesregierung eine besondere Verantwortung.

2. 

Zurück zur Telekom: Von einer „Affäre“ ist die Rede. Ich finde: So schreibt man einen Skandal klein. Denn nach Lage der Dinge geht es um Verfassungsbruch, und zwar mit Vorsatz und das mindestens drei-fach. Persönlichkeitsrechte wurde ausgehebelt, das Post- und Fernmelde-Geheimnis wurde gebrochen und die Pressefreiheit wurde attackiert.
Umso erstaunter vernahm ich die ersten Reaktionen der Bundesregierung: Die Telekom und weitere Telekommunikations-Unternehmen sollten nach Berlin kommen und eine Selbstverpflichtung abgeben. Ja, was sollten diese denn sagen? „Wir wollen das Grundgesetz wieder lieb haben?“ Das ist doch Bundes-Kabarett der schlechtesten Art!

3. 

Inzwischen wurden weitere Stellungnahmen ausgetauscht. Von „krimineller Energie“ ist die Rede und vom berühmten „Einzelfall“. Aufklärung wird gefordert und vor Schnellschlüssen gewarnt. Die einen wollen schärfere Gesetze. Andere wollen härtere Strafen. Und wieder andere fordern mehr Datenschutz-Kontrollen. Das mag alles sinnvoll sein.
Aber das alles geht am eigentlichen Problem vorbei. Der Datenschutz-Beauftragte des Bundes, Peter Schaar, hat übrigens vorgestern gesagt, er habe fünf Mitarbeiter für 5.000 Telekommunikations-Unternehmen. Er hat also gar keine Chance, großflächig zu kontrollieren. Und folglich ist die Gefahr, beim Daten-Missbrauch erwischt zu werden, auch sehr klein.

4. 

Sie wäre übrigens auch kaum größer, wenn Schaar 50 Mitarbeiter hätte, die sich um die Telekommunikations-Betriebe kümmern. Ich will ihnen dazu eine kleine Rechnung präsentieren. Nehmen wir mal an, an einem Tag telefonieren in Deutschland nur 50 Millionen Bürgerinnen und Bürger ein mal. Sie schicken zudem je eine SMS und eine e-mail ab.
Die Absender und die Empfänger addiert fallen so an einem einzigen Tag 300 Millionen Sätze mit Verbindungsdaten an. Die wiederum sollen nun laut Gesetz für ein halbes Jahr auf Vorrat gespeichert werden. Binnen dieses halben Jahres kommen somit rund 60 Milliarden Datensätze zusammen. In Wirklichkeit sind es dreimal so viel.

5. 

Aber allein diese Zahl - 60 Milliarden - sollte ein Gefühl dafür geben: Das Alles ist nicht mehr kontrollierbar. Das eigentliche Problem ist daher nicht der Missbrauch, sondern die Vorratsdatenspeicherung selbst. Sie muss endlich vom Tisch. Denn je mehr Daten erfasst werden, umso größer ist die Gefahr, dass alles aus dem Ruder läuft.
Der einzig sichere Datenschutz ist und bleibt die Vermeidung von Daten. Mit der Vorratsdatenspeicherung haben sich die Union und die SPD für das Gegenteil entschieden. Und so wachsen die Datenberge und niemand darf sich wundern, wenn daraus auch noch kriminelle Begehrlichkeiten wachsen. Nein, eine falsche Politik ist der Kern des Telekom-Skandals.

6. 

Nun habe ich sehr wohl den Einwand des Kollegen Bosbach (CDU) gehört: Die Telekom habe die Daten missbraucht, bevor die Vorratsspeicherung zur Pflicht wurde. Und natürlich weiß ich auch, dass bereits vordem Verbindungsdaten gespeichert wurden. Unter anderem, weil Telekom-Kunden ein Recht auf eine transparente Rechnung haben.
Aber dieser geschäftliche Speichergrund entfällt im Zeitalter der Flatrate immer mehr. Und so mehr wäre die eigentlich spannende Frage: Wie kann man die Speicherung persönlicher Kommunikations-Daten minimieren? Die Koalition hat sich mit der Vorratsdatenspeicherung fürs Maximieren entschieden. Und das ist das Gegenteil von Bürger- und Datenschutz.

7. 

Die Koalition hat damit noch ein zweites Signal gesetzt, nämlich: Wir brauchen möglichst alles über jeden. Rechtsstaatlich rütteln sie damit an der Unschuldsvermutung, weil sie unterstellt, jede und jeder ist ein potentieller Krimineller oder Terrorist. So hatte auch LIDL argumentiert: Alle sind potentielle Ladendiebe, also wurden alle überwacht.
Und genauso war auch die Denkweise bei der Telekom: Im Zweifelsfall hat der Datenschutz zu weichen, allemal, wenn es ums eigene Geschäft geht. Das ist letztlich dieselbe Haltung, die wir immer wieder in Äußerungen der Unions-Parteien finden. Nämlich, wenn sie behaupten, Datenschutz sei Täterschutz. So legitimiert man Daten-Missbrauch.

8. 

Datenschutz ist aber kein Täterschutz, sondern Persönlichkeits-Schutz. Das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach bekräftigt. Und wenn es seiner eigenen Rechtssprechung treu bleibt, dann wird auch die Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand haben. Über 30.000 Bürgerinnen und Bürger haben in „Karlsruhe“ dagegen geklagt. Ich gehöre dazu.
Es geht übrigens um noch mehr: Im so genannten Volkszählungsurteil hatte das Bundesverfassungsgericht betont: Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän. Wer nicht mehr souverän ist, kann auch kein. Souverän sein. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar.

9. 

So urteilte das Bundesverfassungsgericht bereits vor 25 Jahren. Wer den Datenschutz aushöhlt, untergräbt die Demokratie. Das war die mahnende Botschaft. Sie gilt heute mehr denn je. Denn noch nie war das technische Überwachungspotential so groß wie heute, im Zeitalter der Handys, des Internets und der allgegenwärtigen Videokameras.
Deshalb fordert DIE LINKE auch: Wir brauchen endlich ein neues, modernes Datenschutzrecht. Das alte folgt noch häufig den Spielregeln der Zeit, da mit dem Bleistift geschrieben und das Dampfradio gehört wurde. Heute sind wir im 21. Jahrhundert, im Internet-Zeitalter. Also ist es höchste Zeit, den Datenschutz an die neuen Bedingungen anzupassen.

10. 

Unter diesen Bedingungen heißt Datenschutz für mich übrigens nicht, rechtsstaatlich zu regeln, wie Daten erfasst, gehortet und gehandelt werden können. Im Gegenteil: Moderner Datenschutz verlangt rechtsstaatlich zu regeln, wie das Erfassen, Horten und Handeln von persönlichen Daten grundsätzlich minimiert werden kann.
Das wäre eine verantwortungsvolle Aufgabe des Bundestages. Stattdessen werden immer mehr persönliche Daten erhoben und via EU und USA ins unkontrollierbare Nirvana verschickt. Dagegen ist der Telekom-Skandal sogar noch ein Kavaliers-Delikt. Das macht ihn nicht besser. Aber es zeigt: Der politisch eingeschlagene Weg ist ein gefährlicher Irrweg.

11. 

Der leichtfertige und gefährliche Umgang mit persönlichen Daten von Staatswegen und in der Wirtschaft hat übrigens leider eine Entsprechung in der Bevölkerung. Noch nie wurde so leichtsinnig mit den eigenen Daten umgegangen, wie heute. Prüfe jede und jeder selbst, wie viele Pay-Cards er oder sie in Erwartung von Rabatten mit sich herumträgt.
Es wäre also eine wichtige Aufgabe der Politik, viel mehr über die Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Die Bundespolitik setzt aber das Gegen-Signal. Denn sie suggeriert, gegenüber der Sicherheit und für Schnäppchen sei der Datenschutz zweitrangig. Das kann nicht gut gehen, weil damit die Demokratie irreversible aufs Spiel gesetzt wird.

12. 

Deshalb habe ich gesagt: Der Telefon-Skandal ist ein Glücksfall. Er kann erhellen, welche Gefahren lauern, wenn wir dem Datenschutz nicht endlich den Stellenwert einräumen, der ihm zu kommt. Davon sind wir aber weit entfernt. Also wünsche ich mir etwas weniger Empörung über die Telekom und dafür etwas mehr bundes-politische Verantwortung.
Abschließend: Es ist höchste Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung. Sie beginnt, rund um den Arbeitskreis „Vorratsdatenspeicherung“. Der hatte sich am Wochenende bundesweit mit dezentralen Aktionstagen zu Wort gemeldet. Er folgt der Erkenntnis: Der beste Verfassungsschutz sind noch immer agile Bürgerinnen und Bürger. Das war so und das bleibt so.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video bei Youtube]

 

 

4.6.2008
www.petra-pau.de

 

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