Aktuelle Notiz: Versammlungsunrecht in Bayern

von Petra Pau
Berlin, 18. Juli 2008

1. 

Mehrheit ist Mehrheit und da die CSU im Bayerischen Landtag (noch) eine Mehrheit hat, kann sie beschließen, was sie will. Und genau das tat sie wieder. Es ging um das Versammlungsrecht. Dem ging eine wochenlange kontroverse Debatte voraus, die vorgestern in einen siebenstündigen Redemarathon im Landesparlament mündete.
Drinnen protestierten die SPD und die Grünen. Draußen protestierte ein Bündnis aus 200 Verbänden, Initiativen, Gewerkschaften und Parteien. Es gab Demonstrationen und Petitionen, Expertenanhörungen und Unterschriftensammlungen. Zuletzt obsiegte dennoch die CSU, denn wer drinnen die Mehrheit hat, entscheidet, was draußen gilt.

2. 

Bundesweit wurde die Münchner Erregung kaum wahrgenommen, bestenfalls von besonders Interessierten. Selbst in den Weiten des Bayerischen Freistaates waren die Auseinandersetzungen kaum Erreger. Die CSU hatte erfolgreich versucht, ihre Forderung nach einer Neuauflage der Pendlerpauschale in den Vordergrund zu rücken.
Gleichwohl wurde nunmehr ein Frontalangriff auf ein demokratisches Grundrecht zum vorläufigen Abschluss gebracht. Das Versammlungs- und Demonstrationsrechte im Freistaat wurden gerupft und der Rest zum Recht erhoben. Der Staat darf ab sofort die Bürgerinnen und Bürger dominieren und ihre Rechte aussetzen - dank CSU-Mehrheit.

3. 

Dabei heißt es in Artikel 8, Absatz 1, Grundgesetz unmissverständlich: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Über die Einschränkung, „alle Deutschen“ statt alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, lässt sich an anderer Stelle trefflich streiten.
Die CSU hat mit ihrem Gesetz aber einen anderen Passus gekappt, nämlich „ohne Anmeldung oder Erlaubnis“. In Bayern müssen Demonstrationen künftig mindestens 72 Stunden vorab angemeldet werden. Obendrein sind umfangreiche Angaben über die Veranstalter und die Teilnehmer zu hinterlegen. Dann erlaubt der Staat oder auch nicht.

4. 

Zudem darf die Polizei Demonstrationen künftig legal filmen und die Videos samt so gefilmter Demonstranten weiter verwenden. Angeblich zu Schulungszwecken, heißt es. Praktisch werden damit aber alle polizeilich erfasst, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Oder anders gesagt: Wer demonstriert, wird registriert.
Ob der Freistaat Demonstration überhaupt erlaubt, hängt auch davon ab, ob „Belange Dritter“ betroffen sein könnten. Ich kenne diese Debatte aus Berlin. Hier wollte die CDU Demos am Brandenburger Tor grundsätzlich verbieten: weil der Auto-Verkehr behindert wird, weil es ein besonderer Ort ist oder weil die Arbeit des Bundestages gestört werden könnte.

5. 

Das Tor zum Bayerischen Sündenfall hatte übrigens der Bundestag geöffnet. Per Gesetz sollten symbolische Orte und historische Daten benannt werden, an denen Demonstrationen verboten werden können. Das Argument: Es sei unerträglich, wenn Nazis durchs Brandenburger Tor marschieren. Ich hatte damals gegen das Gesetz gestimmt.
Es gibt viele historische Orte und noch mehr symbolische Daten. Wer sie für Demonstrationen ächtet, beschneidet immer das Versammlungsrecht. Und wer vorgibt, dadurch die Demokratie zu schützen, entmündigt zugleich die Bürgerinnen und Bürger. Heraus kommt ein vormundschaftlicher Staat. Bayern ist auf dem Eilpfad dorthin.

6. 

Inzwischen ging das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder über. Die CSU ergriff begierig den ausgestreckten Finger. Angeblich gegen Rechts-Extremisten, ausdrücklich auch gegen Links-Extremisten und überhaupt. Wer in Bayern demonstrieren will, braucht dafür künftig eine Erlaubnis des Frei-Staates. Das Grundgesetz wurde ins Gegenteil verkehrt.
Immer wieder mal wurde in der Geschichte der Bundesrepublik von Staats wegen versucht, unliebsame Demonstrationen zu unterbinden - zum Beispiel von Atomkraft-Gegnern. Das Bundesverfassungsgericht hatte diesen staatliche Gelüsten nicht zuletzt mit dem so genannten Brokdorf-Urteil einen grundsätzlichen Riegel vorgeschoben.

7. 

Das alles aber scherte die CSU einen feuchten Kehricht. Sie beschloss ein obrigkeitsstaatliches Versammlungsrecht, weil sie drinnen die Mehrheit ist. Sie erhob sich über das Grundgesetz, weil sie die CSU ist. Und was noch schlimmer ist: Sie wähnt sich - nicht grundlos - als bundesweite Vorreiter-Partei. Begierige Nachahmer scharren bereits mit den Hufen.
Die Überwachung ufert aus, das Versammlungsrecht wird kastriert, die Vermessung aller Bürgerinnen und Bürger schreitet voran und immer mehr Grundrechte werden in Frage gestellt. All das gehört zum Umbau des demokratischen Rechtsstaates zu einem präventiven Sicherheitsstaat. Der Umbau ist Unions-Programm, im Bund und in Bayern.

8. 

Das zentrale Argument für die Beschneidung des Versammlungsrechts lautet übrigens: Der Staat darf nicht zulassen, dass Nazis demonstrieren. Ich finde: Es ist ein Pseudo-Argument. Allemal, wenn mit demselben Gesetz verhindert werden kann, dass Gegnerinnen und Gegner von Nazi-Aufmärschen dagegen demonstrieren dürfen.
Genau das aber tut das neue Bayerische-Versammlungsrecht. Es legt der Zivilgesellschaft Fesseln an. Gegen Rechtsextremismus hilft letztlich aber nur eine couragierte Zivilgesellschaft. Die CSU hat mit ihrem Gesetz diese Courage unter Kuratel gestellt. Sie erweist damit den Rechten einen Freundschaftsdienst - egal ob aus Eifer, Frechheit oder Kalkül.
 

 

 

18.7.2008
www.petra-pau.de

 

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