„Kinder-Transporte“

Empfang von Zeitzeugen der Rettungs-Transporte im Bundestag, 1. Dezember 2008
Rede von Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin

1. 

Ich heiße sie alle im Namen des Bundestages im Deutschen Bundestag willkommen. Besondern möchte ich jene von ihnen begrüßen, die seit ihrer erzwungenen und gelungenen Flucht aus Nazi-Deutschland erstmals wieder deutschen Boden betreten. Wahrscheinlich mit sehr gemischten Gefühlen, umso mehr: Herzlich willkommen in Berlin.
 
Der Berliner Senat lädt übrigens seit 1969 zweimal im Jahr Gruppen ehemaliger Berlinerinnen und Berliner ein, die in der NS-Zeit emigrieren mussten. Sie kommen aus allen Richtungen: aus den USA, aus Kanada, aus Großbritannien, aus den Niederlanden, aus Schweden, viele auch aus Israel. Einige durfte ich hier im Bundestag bereits empfangen.

2. 

Vor wenigen Wochen haben wir des 70. Jahrestages der so genannten Reichspogromnacht vom 9. November 1938 gedacht. Auch im Bundestag gab es dazu eine Debatte und einen Beschluss aller Fraktionen. Darin geht es darum, Antisemitismus jedweder Art zu ächten und die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zu fördern.
 
Ja, es gibt wieder jüdisches Leben, auch hier in Berlin. Ich halte das für ein unverdientes Geschenk von Jüdinnen und Juden an die Stadt, in der der Holocaust geplant und organisiert wurde. Sie konnten - Gott sei Dank und mit Hilfe anderer - diesem Massenmord als Kinder entfliehen. Ich finde es gut, dass nunmehr ein sichtbares Denkzeichen daran erinnert.

3. 

Nun gehöre ich nicht zu denen, die über die Ästhetik von Kunstwerken oder Denkmälern intensiv streiten. Das mögen andere tun. Wir hatten übrigens jahrelang ähnliche Debatten, als es um das Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden ging. Es wurde 2005 eröffnet und es zog inzwischen Millionen Besucherinnen und Besucher an.
 
Und so wünsche ich der Gedenk-Skulptur an die Kindertransporte eine ebenso große Aufmerksamkeit und ebenso viele Fragen an die Geschichte, wie es das Holocaust-Mahnmal offenbar vermag. Nicht, weil die Nachgeborenen schuldig sind, sondern weil wir Verantwortung für die Zukunft haben. Das ist der tiefere Sinn der Erinnerungs-Kultur.

4. 

Zugleich will ich Ihnen auch kein falsches Bild zeichnen. Es gibt wieder jüdisches Leben in Deutschland. Aber dort, wo es sichtbar pulsiert, in Synagogen oder Schulen, in Gemeinden oder auf Festen, dort muss es noch immer besonders geschützt werden. Der Antisemitismus ist nicht ausgemerzt, nicht hierzulande und nicht weltweit.
 
Für mich ist Antisemitismus übrigens keine politische Kritik, aktuell etwa an manchen Entscheidungen der Regierung Israels. Für mich ist Antisemitismus eine menschenverachtende Ideologie. Das Nazi-Regime hatte 1933 bis 1945 alles daran gesetzt, sie zur tödlichen Vollendung zu treiben. So etwas darf sich nie wiederholen, nirgendwo.

5. 

Umso mehr wünsche ich ihnen, dass sie einen besseren Eindruck von Berlin anno 2008 mitnehmen. „Berlin ist vielfältig, multikulturell und tolerant!“ Das ist der Leitspruch der Landespolitik und das ist der Anspruch, den die allermeisten Berlinerinnen und Berliner heute im Alltag leben. Ich unterstütze dies, wo immer ich es kann.
 
Mein abschließender und besonderer Dank gilt selbstverständlich dem Künstler Frank Meisler, der die Skulptur schuf. Ebenso danke ich allen aus Nah und Fern, die sich für das Zeichen an die „Kindertransporte“ in inmitten Berlins eingesetzt haben. Möge es viele überraschen und dadurch manche zum Nachdenken anregen. Ich wünsche es uns allen.
 

 

 

1.12.2008
www.petra-pau.de

 

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