INTERVIEW DER WOCHE

Generalangriff auf Bürgerrechte, Demokratie und Rechtsstaat

16. Dezember 2013

Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied des Fraktionsvorstandes, über den Generalangriff auf Demokratie, Bürgerrechte und Rechtsstaat, der von der flächendeckenden Überwachung durch in- und ausländische Geheimdienste, der Vorratsdatenspeicherung und dem fehlenden Aufklärungswillen der alten und neuen Bundesregierung ausgeht

560 Schriftsteller haben sich jüngst gegen die weltweite Ausspähung von Daten und Telefonaten durch die NSA und weitere Geheimdienste gewandt. Sie haben das begrüßt?

Petra Pau
Unbedingt, denn es ist höchste Zeit, dass Wissenschaftler, Kunst- und Kulturschaffende nicht länger stumm zugucken, wie die Demokratie den Bach heruntergespült wird.

Das klingt wie ein Hilferuf, ein SOS?

Ja natürlich! Wir haben es mit einem früher technisch nie möglichen und deswegen noch nie gehabten Generalangriff auf Bürgerrechte, auf die Demokratie und auf den Rechtsstaat zu tun.

Und das alles zum Schutz westlicher Werte?!

Das ist Teil der propagandistischen Schizophrenie, die seit dem 11. September 2001 ausufert. Man gibt vor, westliche Werte zu schützen, indem man sie Schritt für Schritt negiert.

Mit dem 11. September sind die damaligen terroristischen Anschläge in den USA gemeint?

Ja, und seither wurden Sicherheitsbehörden hochgerüstet und Bürgerrechte tiefgestapelt. Übrigens nicht nur in den USA, auch hierzulande.

Konkret: Geheimdienste der USA haben sogar das Handy von Bundeskanzlerin Merkel überwacht. Das tue man unter Freunden nicht, hieß es danach.

Aus bürgerrechtlicher Sicht ist es wurscht, ob das Handy von Frau Merkel oder die E-Mails von Frau Müller ausgeforscht werden. Es ist jeweils ein Angriff auf Artikel 10 Grundgesetz, das verbriefte Post- und Fernmeldegeheimnis, und auf viel mehr.

Was bedeutet „auf viel mehr“?

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor Jahren ein historisches Urteil gefällt.

Ich rate: Das so genannte Volkszählungsurteil?

Richtig. Es hatte damit ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und damit auf Datenschutz begründet.

Beides wurde und wird durch NSA & Co. ignoriert?

Das Bundesverfassungsgericht hatte sinngemäß geurteilt: Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind als Menschen nicht mehr souverän. Wer nicht mehr souverän ist, kann als Bürgerin oder Bürger kein Souverän sein. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist unvorstellbar.

Soweit zum Angriff auf die Demokratie, nun zum Rechtsstaat.

Täglich werden weltweit fünf Milliarden Telefongespräche und weitere Verbindungen ausgespäht. Das ist die neueste Meldung.

Ja, unglaublich, aber offenbar wahr.

Das heißt auch: anlasslos und ausnahmslos. Man muss nicht verdächtig sein, man muss nur da sein. Hinzukommt: Bestimmte Berufe, die namens der Demokratie besonders geschützt sind, werden ebenso überwacht.

Wer sind die besonders Geschützten?

Anwälte zum Schutz ihrer Mandanten, Journalisten zum Schutz ihrer Informanten, Ärzte zum Schutz ihrer Patienten, und weitere. Sie sind ebenso im Visier staatlicher oder privater Geheimdienste und so wird dem Rechtsstaat der Boden entzogen.

Das klingt alles kreuzgefährlich?

Ist es auch! Umso fataler ist das Schweigen der offiziellen Politik. Sie unterwirft sich den Spielregeln von Finanzmärkten und Geheimdiensten. Das ist Verrat an der Demokratie und letztlich ein politischer Selbstmord, der zu einer Diktatur führen kann.

DIE LINKE fordert zu alledem einen Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Ich fordere erst einmal öffentliche Aufklärung. Die alte Bundesregierung schweigt zu alledem weitgehend und auch die neue lässt kaum Interesse erkennen. Obwohl der Rechtsstaat, Bürgerrechte und die Demokratie bekämpft werden. Eigentlich müsste es längst einen kompetenten Krisenstab geben.

Von der EU kommt bessere Kunde, Stichwort Vorratsdatenspeicherung?

Bessere, aber keine gute! Denn im aktuellen Gutachten für den Europäischen Gerichtshof wird die Vorratsspeicherung aller Kommunikationsdaten ja nicht ausgeschlossen. Es wird argumentiert, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem auch Urteil tat: Vorratsdatenspeicherung Ja, aber nicht so.

Was ist die Hauptkritik der LINKEN gegen die Vorratsdatenspeicherung?

Erstens, dass sie pauschal möglich ist, also ohne konkreten und richterlich begründeten Anlass. Zweitens, dass die so erfassten Daten viel zu lange gespeichert werden. Und drittens, dass derart sensible Daten häufig auch an Dritte weitergegeben werden, zum Beispiel an die NSA.

Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten?!

Das ist ein gern behauptetes und häufig geglaubtes Argument, aber grundfalsch. Daten, allemal verknüpfte, sagen unglaublich viel über die entsprechende Persönlichkeit, über ihr Umfeld, ja selbst über Einstellungen aus. Und niemand kann wissen, wer wann was mit soviel Intimwissen anstellt.

Noch mal zur NSA: Dank Edward Snowden erfahren wir in regelmäßigen Abständen mehr über das Ausmaß der Überwachung. Sollte er nicht von Mitgliedern des Bundestages angehört werden?

Dafür wäre ich sehr, vorausgesetzt, die Bundesregierung garantiert seine Sicherheit.

Danach klingt es aber nicht, oder?

Eher nach Doppelmoral: Bürgerrechtler aus der DDR wurden unterstützt, Bürgerrechtler aus den USA werden geblockt.

Auf Vorschlag der LINKEN wollte das EU-Parlament Edward Snowden befragen. Nun heißt es, der Ausflug nach Moskau wäre zu teuer, man wolle ihn stattdessen schriftlich befragen.

Wenn die Flugkosten das offizielle Argument für den Sinnungswandel sind, dann wäre das absurd. Ich las allerdings eine andere Begründung.

Welche?

Man wolle nicht, dass russische Geheimdienste die direkten Gespräche der EU-Parlamentarier mit Edward Snowden abschöpfen.

Die allgemeine Überwachung erfolgt über Ländergrenzen hinweg. Fällt es deshalb so schwer, etwas dagegen zu unternehmen?

Das macht es nicht leichter, ist aber unerlässlich, angefangen auf EU-Ebene. Aber der Fingerzeig auf Brüssel darf nicht ausblenden: Die Hauptakteure dort sind die nationalen Regierungen. Mangelnder Datenschutz trägt damit eindeutig auch den Stempel „Made in Germany“!

Das Gespräch führte Rainer Brandt

linksfraktion.de, 16. Dezember 2013

 

 

16.12.2013
www.petra-pau.de

 

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