Eine neue Flüchtlingspolitik ist überfällig
Bundestag, 4. Dezember 2014, Debatte zur Flüchtlingspolitik
Rede von Petra Pau
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Zum Thema Flüchtlingspolitik liegen ein Antrag und eine große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Meine Kollegin Ulla Jelpke wird für DIE LINKE näher darauf eingehen. Ich möchte mit Blick auf die aktuelle Situation hierzulande etwas grundsätzlicher werden.
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Die Amadeu-Antonio-Stiftung und Pro Asyl haben dokumentiert:
In den ersten drei Quartalen 2014 wurden bundesweit 29 gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge, 23 Brandanschläge auf Unterkünfte, 27 Sachbeschädigungen an Unterkünften sowie 194 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen registriert.
Diese erschreckenden Zahlen dürften im vierten Quartal noch erheblich anschwellen. Im statistischen Schnitt findet täglich eine fremdenfeindliche Aktion statt. Und die Mobilisierung dazu wird immer unverhohlener.
Wir erleben zunehmend Pogromstimmungen wie Anfang der 1990er Jahre. Darauf muss auch die Bundespolitik endlich reagieren.
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Es kursieren Aufrufe gegen Asylsuchende und eine Islamisierung Deutschlands. Es gehe um die Verteidigung unserer Zivilisation.
Die Hintermänner dieser Hetzkampagnen sind zumeist bekannte Nazis. Sie geben sich als besorgte Bürger und bekommen Zulauf.
Ja, es geht wirklich um unsere Zivilisation, begonnen bei Artikel 1 Grundgesetz, Die Würde des Menschen ist unantastbar, aller Menschen.
Deshalb muss auch die Würde der Menschen in Not, der Flüchtlinge, endlich einen höheren Stellenwert bekommen, als bisher.
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Im Land Berlin hat DIE LINKE diese Woche Leitlinien für eine neue Flüchtlingspolitik vorgelegt. Sie sind im Internet abrufbar.
Ein Autor ist der langjährige Integrations-Beauftragten des Berliner Senats, Günter Piening (Mitglied Bündnis 90/Die Grünen).
Zwei Gedanken ziehen sich durch:
Menschenwürdige Flüchtlingspolitik betrifft alle Ressorts und darf nicht auf die Innen- oder Rechtspolitik beschränkt werden.
Und sie kann nur gelingen, wenn Bundes-, Landes- und Kommunal-Politik miteinander und eng mit der Zivilgesellschaft kooperieren.
In diesem Sinne muss auch die Bundespolitik revidiert werden.
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Nun gibt es an vielen Brennpunkten längst Initiativen, die Willkommenskultur leben und organisieren, auch in meinem Wahlkreis.
Zugleich mehren sich Beispiele, dass Aktive dieser Initiativen mit Gewalt-, auch mit Morddrohungen von Nazis überzogen werden. Ich könnte drastische Beispiele aufzählen, lasse es aber aus Zeitgründen.
Umso dringender ist es, dass die Polizei solche Bedrohungen endlich ernster nimmt und dass Willkommens-Engagement mehr gewürdigt wird.
Wie das auf keinen Fall geht, zeigt ein weiteres Berliner Beispiel. Der Senat hat Areale für Flüchtlings-Container festgelegt: ohne vorherige Information an die Bürgerinnen und Bürger, ohne Einbeziehung der Flüchtlingsinitiativen, ohne Konsultation der zuständigen Bürgermeister. So eine Politik ist selbstherrlich, kurzsichtig und obendrein gefährlich.
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Mit einem nicht minder unglaublichen Beispiel will ich schließen.
In Sachsen-Anhalt haben jüngst 10- bis 12-Jährige eine Menschenhatz auf Roma-Familien veranstaltet, Kinder noch und schon rassistisch verhetzt.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert seit langem einen Rassismus-Gipfel. Und auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat belegt: Rassismus grassiert inmitten der Gesellschaft.
Wir sollten all das endlich ernster nehmen, ehe sich Pogrome, wie seinerzeit in Rostock-Lichtenhagen, Mölln und anderswo wiederholen.
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[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei
[als Video]
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