Gelobte westliche Werte erleiden derzeit ein Tief


Gedenkveranstaltung für die im NS ermordeten Sinti und Roma
Rede von Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin
Berlin, 2. August 2015

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Anrede,

ich hatte mir einen Text parat gelegt. Er passt zum Anlass,
fand und finde ich. Deshalb will ich ihn vortragen.

Du weisst wie ich heisse?
Eigentlich kennst du mich nicht.
Du weisst wie ich heisse?
Nicht so wie du mich nennst.
Ich bin gegen dieses Wort
Du rufst mich ohne Erinnerung
Ohne Meinung
ohne Gefühl
Du nennst mich Zigeuner.
Du rufst und das tut weh
weckst in mir tausend Bilder
schwarz wie der Rauch
Du nennst mich Zigeuner.
Du rufst und bringst um
Meine Mutter, Fata, Bruder
Du rufst und hörst nicht das Wehklagen
Erinnerst mich an die Trauer
Und so kehrt die Angst zurück
Als Möglichkeit
Dass es morgen wieder geschieht.
Nenne mich nicht mehr Zigeuner
Gipsy...Hitan...Gitan
Nenne mich nicht, so wie es mir weh tut
Nenne mich so, wie ich es mag.
Wie heisse ich?
Roma, Sinto, Manush, Kale
So wie der Vogel fliegt
So wie du die Musik hörst
So wie die Freiheit
So ähnlich wie du es hasst
und ich nur davon träume.

Gleichwohl oder trotzdem sehen sie mich besorgt, wütend und entschlossen - drei Erregungen, die ich gern mit ihnen teile.

Mit Sorge beobachte ich, wie Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sich immer enthemmter entladen.

Mit Wut registriere ich, dass Verantwortliche, ob Politiker oder Medien derartige Stimmungen aufnehmen, bedienen und aufladen.

Zugleich stellen sich viele entschlossen diesen Tiraden entgegen.
Ihnen gebührt unser Dank. Sie sind wahre Verfassungsschützer.

Denn das Grundgesetz beginnt aus gutem Grund mit: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ Aller Menschen, nicht nur selbsternannter.

Gleichwohl werden aktuell Stimmungen geschürt:
gegen Russen, gegen Griechen und wieder gegen Sinti und Roma.

Jüdinnen und Juden werden offen angefeindet. Über Muslime schwebt ein zunehmender Generalverdacht. Es läuft etwas total falsch.

Bei Asylsuchenden aus dem Balkan wird über Sonderlager nachgedacht, nachdem ihre Fluchtgründe politisch wegbeschlossen wurden.

Die Not der einen wird so gegen die Not anderer in Stellung gebracht. Kurzum: Eifrig gelobte westliche Werte erleiden derzeit ein Tief.

An diesem Mahnmal in Bundestagsnähe gedenken wir der 1933 -1945 ermordeten Sinti und Roma. Das habe ich immer unterstützt.

Dasselbe geschieht regelmäßig in meinem Heimat-Bezirk Berlin-Marzahn, am sogenannten Zigeunerlager der Nazis.

Es war ein Durchgangslager in den Tod, allemal ab 1936. Die Reichshauptstadt sollte zu Olympia sauber, zigeunerfrei sein.

Daran muss erinnert werden - aber nicht wegen damals, sondern aus Verantwortung für heute, für Menschen und Menschenrechte.

„Du rufst und hörst nicht das Wehklagen,
erinnerst mich an die Trauer,
und so kehrt die Angst zurück.
Als Möglichkeit,
dass es morgen wieder geschieht.“

 

 

 

2.8.2015
www.petra-pau.de

 

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