NSU-Komplex: doppeltes Staatsversagen

Bundestag, 29. Juni 2017 Debatte zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum NSU-Nazi-Komplex
Rede von Petra Pau

1. 

Der nunmehr 2. Untersuchungsausschuss des Bundestages zum NSU-Nazi-Mord-Komplex beendet seine Arbeit.
 
Mitnichten, weil etwa alle Fragen beantwortet wären - im Gegenteil.
Aber mit der 18. Legislatur des Bundestages endet auch der Untersuchungsauftrag zum NSU-Komplex.
 
Der Abschlussbericht liegt vor. Das Gros wird von allen Fraktionen getragen. Zudem gibt es abweichende oder weiter gehende Voten.
Sie gehören zum Bericht, also auch spezielle Positionen der LINKEN.
 
Wie bereits im ersten Untersuchungsausschuss überwog die sachliche Zusammenarbeit von der CDU/CSU bis hin zur LINKEN.
Das verlangte unser Respekt vor den NSU-Opfern und deren Angehörigen.
 
Und so konnten wir trotz aller Blockaden etlicher Behörden doch etwas mehr Licht in den finsteren NSU-Komplex bringen.

2. 

Nun zu den wesentlichen Ergebnissen der Untersuchungen, ich nenne drei.
 
Erstens: Es hat sich erhärtet, was sich nach dem 1. Untersuchungsausschuss bereits abzeichnete:
 
Das NSU-Kern-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war von V-Leuten insbesondere der Ämter für Verfassungsschutz regelrecht umzingelt.
 
Wider anderer Behauptungen hatte dabei auch das Bundesamt für Verfassungsschutz gekaufte Nazis in seinen Diensten.
 
Dazu gehörte ein gewisser Ralf M. alias V-Mann „Primus“.
Er hatte nachweislich Kontakt zum NSU-Trio.
 
Das Bundesamt für Verfassungsschutz versuchte, den Untersuchungsausschuss zu täuschen.
 
Das war symptomatisch.
 
Zweitens: Den Ämtern für Verfassungsschutz lagen zahlreiche Informationen über den Verbleib und über Vorhaben des NSU-Trios vor.
 
Sie wurden nie an die Kriminalämter weitergegeben und so verhindert, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gefasst wurden.
 
Damals und noch immer gilt: Der Schutz der Quellen, also der V-Leute, geht vor polizeiliche Ermittlungen, und das selbst bei einer Mordserie.
 
Ich merke an: Diese fatale Geheimdienst-Logik wird vom Bundesinnenminister geteilt, ebenso vom Generalbundesanwalt. Beide sind mithin Teil eines fortwährenden Problems.
 
Drittens: Bekanntlich wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz - und nicht nur da - im großen Stil Akten vernichtet.
 
„Aus Versehen“ bzw. „aus Datenschutzgründen“, hieß es noch im 1. Untersuchungsausschuss. Das war forsch gelogen.
 
Inzwischen ist klar: Es geschah mit Vorsatz, damit diese Unterlagen weder der Polizei, noch den Parlamenten bekannt werden.
 
Diese Aktenvernichtungen waren Straftaten. Geahndet wurden sie nicht.

3. 

Noch mal zu den V-Leuten: Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz nannte sie einmal unverzichtbare „Schmutzfüße“.
Man brauche sie, um der Naziszene Herr zu werden, so Maaßen.
 
Ich fasse unserer Erkenntnisse aus dem NSU-Komplex zusammen:
Zu keiner Zeit hatte der Verfassungsschutz die Nazi-Szene im Griff, geschweige denn sie zerschlagen - im Gegenteil.
 
Mit ihrer Geheimhaltungs- und V-Leute-Praxis haben die Ämter für Verfassungsschutz die Nazi-Szene vielmehr gedeckt und gestärkt.

4. 

Damit komme ich zu weiteren Schlussfolgerungen der LINKEN.
Es sind insgesamt acht. Fünf davon reiße ich kurz an.
 
Erstens: DIE LINKE bleibt bei ihrer Forderung, die V-Leute-Praxis aller Sicherheitsbehörden ist sofort zu beenden und der Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen.
 
Dazu schlagen wir ein Alternativ-Modell vor, es ist im Votum der Linksfraktion nachlesbar.
 
Zweitens: Wir empfehlen der 19. Legislatur des Bundestages einen Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Geheimdienste“.
 
Dabei geht es nicht nur um den NSU-Komplex, sondern auch um weiter zurückliegende ungeklärte Fälle.
 
Ich nenne hier nur das Oktoberfest-Attentat und den Doppelmord an dem jüdischen Verlegerpaar Schlomo Lewin und Frieda Poescke, beides 1980.
 
Zu untersuchen wären auch aktuelle Terrorakte, zum Beispiel im Freistaat Sachsen und auch anderswo.
 
Drittens: Wir empfehlen der kommenden Linksfraktion weiterhin, die Einrichtung einer Enquete-Kommission „Rassismus“ zu beantragen.
 
Wir brauchen mehr Sachverstand, um das Ausmaß des Problems zu erhellen und um Strategien gegen den gesellschaftlichen und den institutionellen Rassismus voranzutreiben.
 
Viertens: Gesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus und Rassismus, für Demokratie und Toleranz benötigen endlich eine ausreichende, verlässliche und längerfristige Förderung.
 
Und fünftens fordern wir mehr Opferschutz.
 
Straftaten von V-Leuten werden häufig gedeckt, während deren Opfer allein gelassen werden.
 
Deshalb will DIE LINKE, dass Opfer derartiger Straftaten künftig von Amts wegen entschädigt werden.

5. 

Ein Abschlussgedanke: Ein Rechtsstaat hat seine Bürgerinnen und Bürger vor schweren Straftaten, allemal vor Mord, zu schützen.
 
Gelingt ihm das nicht, aus welchen Gründen auch immer, so hat er alle Umstände aufzuklären sowie Täter und Mittäter zu belangen.
 
Im NSU-Komplex hat er weder die Mord- und Anschlagserie verhindert, noch hat er seither alle Hintergründe aufgeklärt.
 
Wir haben es also mit einem doppelten Staatsversagen zu tun.
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

[als Video]

 

 

29.6.2017
www.petra-pau.de

 

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