Bersarin-Ausstellung im Berliner Abgeordnetenhaus
 
Rede von Dr. Thomas Flier, Senator für Kultur und Wissenschaft

Berlin, 20. 03. 2003

Sehr geehrte Exzellenzen,
sehr geehrter Herr Parlamentspräsident,
liebe Alexandra und Pjotr Lazuk,
meine Damen und Herren,

diese Ausstellung ist Teil einer Ehrenrettung. Eine Ehrenrettung für Nikolai Erastowitsch Bersarin, den ersten und einzigen Gesamtberliner sowjetischen Stadtkommandanten.

Es ist aber auch eine Ehrenrettung für die Stadt Berlin, die den würdelosen Akt der Streichung Bersarins von der Ehrenbürgerliste zurücknimmt und sich damit auch von den Verdächtigungen und Verleumdungen gegenüber Bersarin distanziert.

Meine Damen und Herren,
an dieser Stelle und an diesem Tag möchte ich nicht über die Leistungen und Verdienste Bersarins in den sieben Wochen nach der Stunde Null, über den Umgang mit seiner Person in der DDR, über die Umstände, warum er so spät auf die Ost-Berliner Ehrenbürgerliste kam und über die lange politische Auseinandersetzung um sein Person im vereinten und doch verstrittenen Berlin sprechen. All das ist in den letzten Tagen und Wochen vielfach und ausführlich geschehen. Und letztlich dient dem ja auch die Ausstellung hier im Berliner Abgeordnetenhaus.

Am Tag des Beginn eines Krieges, in dessen Ablehnung sich eine Mehrheit der Deutschen mit ihrer Regierung auf ermutigende Weise einig weiß, an diesem Tage stellen wir die Ehre eines sowjetischen Generals wieder her, den "Befreier" zu nennen die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft erst nach der historischen Rede von Richard von Weizsäcker im Jahre 1985, 40 Jahre nach Kriegsende, bereit war.

Gleichzeitig erleben wir, wie dieser heute begonnene Krieg gegen den Irak nicht nur das deutsch-amerikanische Verhältnis auf ungewohnte Art und Weise belastet, sondern auch die internationale Gemeinschaft in tiefe Konflikte stürzt.

Niemand trauert dem atomaren Patt des Kalten Krieges nach. Aber uns ist wohl bewusst, dass in diesen Stunden die Vereinten Nationen und damit das Völkerrecht beschädigt werden, die selbst Ergebnisse eben jenes Zweiten Weltkrieges sind, in dem die Truppen Bersarins gemeinsam mit den amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten der Antihitlerkoalition Deutschland von Faschismus und Nazi-Diktatur befreiten.

Am Ende dieses, von Deutschland ausgegangenen mörderischen Krieges, der allein in der Sowjetunion über 20 Millionen Tote forderte, waren Sieger und Besiegte, Befreier und Befreite gleichermaßen erschöpft.

Es gibt ein Foto, leider nicht in dieser Ausstellung, das diese Erschöpfung versinnbildlicht: Es ist die Momentaufnahme eines stürzenden Pferdes auf einer Parade, die Bersarin im Berliner Lustgarten abnimmt.

In welch krassem Gegensatz, meine Damen und Herren, steht dieses fast archaische Bild aus den Tagen des Kriegsendes zu jenen - zensierten! - aseptischen Bildern des Kriegsbeginns, die uns heute und in den kommenden Tagen vom Kriegsschauplatz am Golf mit seinen sogenannten intelligenten Waffen erreichen werden.
In welchem Gegensatz steht die heutige Rhetorik von der Befreiung des irakischen Volkes zur fehlenden völkerrechtlichen Grundlage und zur Ablehnung der Weltgemeinschaft, die ihrerseits das diktatorische Regime nicht ohne Erfolg mit friedlichen Mitteln zu entwaffnen suchte.

Krieg aber wird nicht weniger grausam und mörderisch, nur weil er mit moderneren Waffen geführt wird als vor 60 Jahren oder weil er computer-animiert in unser Bewusstsein dringt.

Die Grauen des Zweiten Weltkrieges sind bis heute fest im kollektiven Gedächtnis des russischen und des deutschen Volkes verankert. Und ganz sicher ist es auch dieses gemeinsame Bewusstsein, aus dem sich heute die ablehnende Haltung unser beider Völker und Regierungen gegenüber dem Waffengang am Golf speist.

Meine Damen und Herren,
Geschichte wiederholt sich nicht. Und wer sich auf die Suche nach historischer Kontinuität macht, wird entdecken, dass Brüche und Umbrüche vielleicht das verlässlichste Kontinuum in der historischen Entwicklung sind.

Es ist diese Stadt, es ist Berlin, in der diese Bruchstellen der Geschichte so deutlich werden wie an keinem anderen Ort des wieder- und neuvereinten Landes. Und wer da gemeint hat, Deutschland könne 14 Jahre nach dem Mauerfall zur Normalität zurückkehren, wird dieser Tage eines besseren belehrt.

Berlin ist ein besonders sensibler Seismograph, der zeigt: Wir Deutschen haben gerade erst angefangen, uns unserer Geschichte des 20. Jahrhundert als einer gemeinsamen Geschichte politisch bewusst zu werden. Und wir müssen lernen, die Jahre der Teilung mit ihren unterschiedlichen und gegensätzlichen - auch gegen einander gerichteten - Erfahrungen an- und ernst zu nehmen.
Zu dieser Geschichte gehört auch der sowjetische General und Stadtkommandant Bersarin.

Dazu gehört nun auch die Geschichte seiner ausgesetzten und wieder hergestellten Ehrenbürgerschaft.
 

 

 

20.3.2003
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

Termine

 

Lesbares

 

Startseite