Pfiffe und Schnaps im Gotteshaus - Turbulente Podiumsdiskussion über Für und Wider christlichen Glaubens - Wortgefecht ohne Langeweile

Von ddp-Korrespondentin Susann Huster

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bln/pl/Kirchen/Kirchentag/Religion/FEA/
(Feature)

Berlin (ddp-bln). Wenn es in der „Welthauptstadt des Atheismus“ um das Für und Wider von christlichem Glauben geht, kann einfach keine Langeweile aufkommen. Die Sophienkirche in Berlin-Mitte ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt, als am Donnerstagmittag die These diskutiert wird: „Ich glaub nix - mir fehlt nix“. Die zahlreichen Kirchentagsgäste im Publikum erleben eine zweistündige „Redeschlacht“ zwischen Gläubigen und solchen ohne Religion, wie sie in einer Fernseh-Talkshow nicht spannender sein kann.

Eingeladen sind PDS-Politikerin Petra Pau, der Vorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschland, Rolf Stöckel, der weltliche Bestattungsredner Jürgen Gerdes und Pfarrer Ehrhart Neubert. Die Zuhörer erfahren vieles, was sie vielleicht noch nicht wussten. So erzählt Linkssozialistin Petra Pau, dass sie in einem kirchlich geprägten Elternhaus aufwuchs, getauft und konfirmiert wurde. Auf große Sympathie beim Publikum stößt ihr Plädoyer für Religionskunde-Unterricht an jeder Schule, unabhängig vom Glauben oder Nicht-Glauben eines Kindes.

Für Aufregung und Empörung sorgt dann allerdings Religionssoziologe Ehrhart Neubert, der mit seinem Vortrag über Atheismus als Herausforderung für die Kirchen die Debatte erst richtig anheizt. Während andere im Podium um Verständnis für die andere Seite bemüht sind, fährt Neubert scharfe Geschütze auf. „Der Atheismus ist auch eine kulturelle Form des Autismus“, sagt er und zieht sich damit auch den Zorn vieler Gläubiger im Publikum zu. 𛈜Hört, hört“, raunt es aus der Menge in der schmucken Sophienkirche. Und er setzt noch eins drauf. Atheismus, so meint Neubert, sei ein „Produkt des kulturellen Vergessens“ und berge die Gefahr in sich, dass die Maßstäbe zwischen Gut und Böse verwischen. Bei diesen Worten beginnen die Zuhörer langsam zu kochen. Sie quittieren seine Rede mit lauten Pfiffen in dem Gotteshaus.

Über eines können sich die Organisatoren dieser Diskussion wahrlich nicht beschweren - über lähmende Dialoge oder mangelnde Anteilnahme des Publikums. Als das Gespräch auf den Kirchensaal ausgedehnt wird, stehen die Redewilligen in einer langen Schlange vor dem Mikrofon und beschweren sich reihenweise über Neuberts provokante Ansichten. „Der Vergleich zwischen Atheisten und Autisten - das ist der Weg, der Menschen von der Kirche wegtreibt, weil er solch eine Arroganz an den Tag legt“, empört sich ein junger Christ. Ein Religionslehrer beschwert sich über Neuberts „Zerrbilder“.

Auch bei den Podiumsgästen schlagen die Emotionen hoch. „Es verletzt mich tief, wenn Sie Menschen wie mich als Autisten bezeichnen“, klagt Gerdes, der sich als bekennender Humanist und Nicht-Gläubiger nach Neuberts Vortrag am liebsten einen Schnaps gegönnt hätte. Zu seiner großen Überraschung bekommt er den tatsächlich. Ein junger, langhaariger Theologiestudent ärgert sich über Neuberts Argumente und zeigt vollstes Verständnis für Gerdes' Bedürfnis nach Hochprozentigem. Er stellt ihm - sehr zum Amüsement des Publikums - eine kleine Schnapsflasche aufs Podium.

Schnaps und Pfiffe machen zumindest eines deutlich: Gläubige und Nichtgläubige haben sich etwas zu sagen, wollen miteinander in einen Dialog kommen. Und genau das ist eines der wichtigsten Anliegen dieses Ökumenischen Kirchentages in Berlin, der - wie es hieß - „vermutlich religionslosesten Hauptstadt weltweit“.

ddp/shu/clp
291453 Mai 03
 

 

 

29.5.2003
www.petra-pau.de

 

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