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Schily fordert Recht auf Asyl-Sonderwege

Rot-grüne Differenzen über EU-Richtlinien auf Symposium in Berlin 24. Juni 2003

Von Uwe Kalbe

Nachdem am Freitag der Bundesrat das Zuwanderungsgesetz ein weiteres Mal scheitern ließ, ist dessen Zukunft ungewiss. Von den Besuchern eines derzeit tagenden Symposiums am Montag und Dienstag in Berlin würde ihm nur ein kleiner Teil eine Träne nachweinen. Denn es hinkt in der EU verhandelten Richtlinien hoffnungslos hinterdrein. Doch auch sie scheitern derzeit an Deutschland.

Kerstin Müller, Staatssekretärin im Außenministerium, gab sich am Montag Mühe, an alte Stärken der Grünen anzuknüpfen. Die gegenwärtig in Brüssel verhandelten Richtlinien zur Harmonisierung der EU-Flüchtlings- und Asylpolitik sollten sobald wie möglich verabschiedet werden. Allerdings führe zu ihnen ein Weg, „mühsam, langwierig und voller Hindernisse“. Das Haupthindernis stand unterdessen draußen vor der Tür der Französischen Friedrichstadtkirche und gab Interviews. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte zum Auftakt des Symposiums des UN-Flüchtlingshilfwerks UNHCR und der Evangelischen Akademie Berlin deutlich gemacht, dass es wohl noch eine Weile dauern werde bei den Brüsseler Verhandlungen. Er muss es wissen, denn Deutschland ist einer der Hauptblockierer bei den EU-Verhandlungen, die bisher mehr als einmal an Berliner Vorbehalten ins Stocken kamen.

„Kerstin Müllers Märchenstunde“ fasste eine Teilnehmerin des Symposiums anschließend die guten Wünsche der Staatssekretärin zusammen. Zwar haben die Grünen in den letzten Wochen mehrfach entsprechende Willensbekundungen öffentlich gemacht und auf ihrem jüngsten Bundesparteitag auch in einem Beschluss einen raschen Abschluss der EU-Verhandlungen gefordert, doch hat dies den Koalitionspartner bisher nicht zum Einlenken bewegen können.

Mehr noch: Am Montag setzte Schily noch eins drauf, indem er sich gegen eine vollständige Harmonisierung des EU-Asylrechts aussprach. Den Mitgliedstaaten müsse ein „erhebliches Maß an Flexibilität“ bleiben, so Schily - quasi als Resümee des soeben zu Ende gegangenen EU-Gipfels in Porto Carras. Als diese „Flexibilität“ gilt derzeit vor allem die Nichtanerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund. „Flexibilität“ umschreibt quasi die Erlaubnis, dass nationale Gesetze dem EU-Regelwerk widersprechen dürfen. Siehe Zuwanderungsgesetz.

Es sei nicht Sinn der Harmonisierung, „bewährte Rechtsinstrumente“ aufzugeben. Deutschland habe mit seinen Verfahren gute Erfahrungen gemacht, so Schily. Spekulation ist bisher, ob Schily die EU-Entscheidungen mit Blick auf die bevorstehenden Verhandlungen mit der Union im Vermittlungsausschuss offen hält. Als Verhandlungsmasse?

Peer Baneke, Generalsekretär des European Council on Refugees and Exiles (ECRE), eines Dachverbandes von 74 Nichtregierungsorganisationen in 31 Ländern, sprach seine Kritik an Schily weniger verhalten aus als zuvor Kerstin Müller. „Überdenken Sie, Herr Schily, die deutsche Position, ziehen Sie diese Vorbehalte zurück, und die EU könnte endlich das Fundament des europäischen Asylsystems legen.“ Es gebe einen erkennbaren Abwärtstrend in der Asylpolitik vieler Länder, reguläre Asylverfahren drohten zur Ausnahme zu werden.

Den von Baneke monierten „Trend zur Abschreckung von Flüchtlingen“ bestätigte wenig später die Beauftragte der Bundesregierung für Flüchtlinge und Integration. Marieluise Beck (Grüne) stellte beinahe resigniert fest, dass in den fünf Jahren ihrer Amtszeit bisher kein grundlegender Sinneswandel erfolgt ist. Noch immer gelte die stille, aber allgemeine Regel vom „Deutschen zuerst“. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verstelle den Blick auf die nahenden Realitäten. In fünf, sechs Jahren, so Beck, werde der Mangel an Arbeitskräften und die Notwendigkeit der Immigration sichtbar werden.
 

 

 

24.6.2003
www.petra-pau.de

 

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