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Hohmanns Antisemitismus „kommt aus der Mitte der Gesellschaft“

9. November 2003, 08:12, ergänzt 11:52

Die Deutschen haben es satt, Täter zu sein. Sie wollen sich sich selbst als Opfer betrauern dürfen. Aber wer ist dann der Täter? Die Netzeitung sprach mit dem Historiker Wolfgang Wippermann.

Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann hat mit seinen Äußerungen von den „Juden als Tätervolk“ eine neue Antisemitismus-Debatte ausgelöst. Die Netzeitung sprach mit Wolfgang Wippermann, Professor für Geschichte an der Freien Universität Berlin. Wippermann hat sich in seinen Arbeiten mit der Geschichte der Juden, Antisemitismus und Rassismus sowie dem deutschen Umgang mit der Vergangenheit beschäftigt.

Netzeitung: Herr Hohmann fühlt sich nun ja schrecklich falsch verstanden, und viele Leute sehen es genauso. Sie können an den Äußerungen Hohmanns nichts Beanstandenswertes finden. Hat sich Herr Hohmann ihrer Meinung nach mit seiner Rede als Antisemit geoutet

Wolfgang Wippermann: Ja, das hat er. Er hat das Stereotyp vom jüdischen Bolschewisten wiederbelebt, das ein zentraler Punkt der nationalsozialistischen Propaganda war. Zum anderen hat er, indem er die Juden als Täter beschreibt, das Vorurteil vom rachsüchtigen Juden aufgenommen. Ein zentraler Punkt ist, dass Hohmann seine Äußerungen in einen christlichen Zusammenhang gestellt hat. Wir erleben derzeit weltweit eine Renaissance des Fundamentalismus, auch des christlichen.

Hohmanns Äußerungen stehen außerdem im Kontext der Debatte, in der die Deutschen ihre Opferrolle im Zweiten Weltkrieg betonen, etwa als Bombenopfer und Vertriebene. Wenn die Deutschen, die ja eigentlich Täter waren, jetzt zu Opfern gemacht werden, dann ist natürlich die Rolle des Täters frei und in diese Rolle werden dann die Juden gedrängt, die damit auch eine gewisse Sündenbockfunktion übernehmen müssen. Dieses Argumentationsmuster ist seit dem Historikerstreit immer wieder dasselbe.

Netzeitung: Ist die Tatsache, dass Herr Hohmann seine eigenen Vorwürfe gleichzeitig negiert, eine Taktik, möglicherweise auch, um juristische Folgen zu verhindern?

Wolfgang Wippermann: Ja, das ist eine im antisemitischen Diskurs häufig angewandte Taktik. Man sendet Signale aus, deutet etwas an und weiß, dass man verstanden wird. Ziel solcher Reden ist es, etwas in Bewegung zu setzen, und das ist Herrn Hohmann ja auch gelungen. Der Diskurs wurde nach seinen Äußerungen sogar noch ausgeweitet. Es war nicht mehr nur von den rachsüchtigen, sondern sofort auch wieder von den reichen Juden die Rede, es wurde also ein weiteres antisemitisches Stereotyp in die Diskussion eingebracht. Was die Strafbarkeit von Hohmanns Äußerungen angeht: Ich kann mir sehr gut vorstellen, für einen Richter ein Gutachten zu schreiben, das ausreichen würde, um ihn wegen Volksverhetzung zu verurteilen.

Netzeitung: Ist Herr Hohmann ein Rechtsextremer?

Wolfgang Wippermann: Ich halte nichts von dem Begriff rechtsextrem. Hohmann zeigt, dass die Demokratie aus der Mitte einer Gesellschaft heraus zerstört werden kann und bedroht ist. Herr Hohmann gehört zu dieser Mitte der Gesellschaft.

Netzeitung: Wie verbreitet sind die Vorstellungen, die Hohmann vertritt?

Wolfgang Wippermann: Der heutige Antisemitismus ist gekennzeichnet durch eine brisante Mischung von sehr alten Stereotypen, die zum Teil auf das Christentum zurückgehen. Zum anderen gibt es einen neuen Antisemitismus, den Antisemitismus nach 1945. Dabei wird den Juden vorgeworfen, dass sie den Holocaust nicht vergessen wollen und den Deutschen für immer ein schlechtes Gewissen machen wollten. Diese Mischung ist in breiten Gesellschaftsschichten anschlussfähig.

Netzeitung: Gibt es gesellschaftliche Gruppen, die für den Antisemitismus anfälliger sind als andere?

Wolfgang Wippermann: Nein die kann man nicht ausmachen. Natürlich gibt es die Skinheadszene, aber dabei darf man nicht übersehen, dass bestimmte Ideologeme, darunter der Antisemitismus, schon lange schichtenübergreifend wirksam sind. Antisemitismus war und ist, wie Hannah Ahrend das gesagt hat, ein Bündnis zwischen Mob und Elite.

Netzeitung: Und die Bundeswehr?

Wolfgang Wippermann: Armeen sind immer anfällig. Die Bundeswehr kenne ich nun etwas, weil ich dort politische Bildung mache. Insgesamt würde ich sagen, ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle im Anbetracht der langen Geschichte und der Größe der Bundeswehr eigentlich gering.

Netzeitung: Hat der Antisemitismus in den letzten Jahren zugenommen?

Wolfgang Wippermann: Die letzten Umfragen, die einigermaßen gesichert sind, gehen davon aus, dass 20 Prozent der Bevölkerung antisemitisch eingestellt sind, dazu kommen 40 Prozent Ausländerfeinde. Fast 70 Prozent hassen Sinti und Roma, und da gibt es auch einen Austausch zwischen den verschiedenen Vorurteilen. Sie werden von der einen auf die andere Gruppe übertragen. Ich habe den Eindruck, dass wir die 20 Prozent Antisemiten schon lange überschritten haben.

Netzeitung: Hat die CDU auf den Fall Hohmann angemessen reagiert?

Wolfgang Wippermann: Nein, keinesfalls. Es war ein ganz entscheidender Fehler und ein falsches Signal, dass Hohmann nicht sofort aus der Fraktion und der Partei ausgeschlossen wurde. Schuld ist daran meines Erachtens, dass Frau Merkel Angst hat, Wählerstimmen in der Mitte - nicht am rechten Rand - zu verlieren. Und nicht nur Wählerstimmen, sondern auch Zustimmung in der Mitte der eigenen Partei. Aber Frau Merkel wird ihre zögerliche Haltung noch bereuen.

Netzeitung: Warum?

Wolfgang Wippermann: Die Hoffnung, die die CDU hat, jetzt zu sagen 'Schwamm drüber', die wird sich nicht erfüllen. Man muss kein Prophet sein - und das zeigt sich ja schon heute - um zu sagen, dass es in den nächsten Tagen weitere Vorfälle dieser Art geben wird. Es wird weitere Beweise für das Vorhandensein von 20 Prozent Antisemiten in der Gesellschaft geben, die sich sicherlich auch in der CDU befinden.

Netzeitung: Besteht nicht die Gefahr, dass die jetzt geführte Debatte über Hohmanns Äußerungen antisemitische Vorurteile verstärkt, da viele Leute nicht verstehen, was an Hohmanns Äußerungen kritisiert wird?

Wolfgang Wippermann: Die Gefahr besteht. Es ist die Verantwortung der Medien hier genau und gründlich aufzuklären, und nicht verkürzt die aktuelle Entwicklung wiederzugeben.

Problematisch ist auch - und da hat Hohmann recht - dass wir Juden immer nur als Opfer sehen. Das stimmt historisch nicht, und in der Gegenwart erst recht nicht. Das ist auch die Schuld wohlmeinender Pädagogen, die in ihrem Wunsch, die Vergangenheit zu bewältigen, über das Ziel hinausgeschossen sind. Wir dürfen die Juden nicht nur als Opfer wahrnehmen, das ergibt eine verzerrtes Bild und liefert Leuten wie Hohmann die Vorlage.

Netzeitung: Wieso arbeiten sich Hohmann und Konsorten so hartnäckig an der Kollektivschuldthese ab, obwohl derartige Vorwürfe doch von niemandem erhoben werden?

Wolfgang Wippermann: Die These von der Kollektivschuld ist eine Legende, die schon von der goebbelschen Propaganda implementiert wurde. Goebbels hat die Angst vor Strafe zu verbreiten gesucht, um eine Kapitulation zu verhindern. Die Angst sitzt auch deswegen so tief, weil man den Juden unterstellt, dass sie ja immer schon so rachsüchtig waren. Der Glaube, es gebe den Vorwurf einer Kollektivschuld, schließt also unmittelbar an antisemitische Stereotype an.

Netzeitung: Sie selbst forschen gerade zu dem Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antikommunismus. Welche Verbindung gibt es da?

Wolfgang Wippermann: Nach 1945 ist der Antisemitismus tabuisiert worden, aber nicht der Antikommunismus, der lange Zeit als Tugend dargestellt wurde. Auf der ideologischen Ebene war beides schon immer miteinander verbunden. Für die antibolschewistische Propaganda der Weißen war es ein gefundenes Fressen zu sagen, das sind nicht nur Kommunisten und Bolschewisten, sondern auch noch Juden. Mit dem Ruf "Tod den Juden und Kommissaren" konnte man die Volksmassen aufhetzen. Diese Propaganda ist dann über Alfred Rosenberg auf die Nazis gekommen und ist ein ganz zentraler Punkt in Hitlers "Mein Kampf". Im Gewand des Antikommunismus konnte der Antisemitismus nach 1945 weiter leben - das zeigt sich nicht zuletzt am Fall Hohmann.

Das Interview mit Wolfgang Wippermann führte Katharina Schuler.

http://www.netzeitung.de/deutschland/260914.html
 

 

 

24.6.2003
www.petra-pau.de

 

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