Anspruch und Wirklichkeit

Zum Jahrestag der deutschen Einheit

in: DeutschlandRadio 2.10.2003

Von Dorothea Jung

Eine Umfrage:

Eigentlich haben wir uns das ja immer gewünscht, die deutsche Einheit; jetzt ist sie da - teurer als gedacht. Aber ich denke schon, wenn man sieht, wie sich das ganze Deutschland entwickelt hat, kann man schon zufrieden sein.

Schauen Sie mal, die deutsche Einheit ist ja gerade erst seit 15 Jahren vollendet. Und unsere Eltern haben ja nach 1945 auch von Neuem angefangen. Also, wir werden natürlich schon noch ne Weile brauchen, bis wir so weit sind.

Also, ne richtige Einheit haben wir eigentlich bis heute noch nicht. Den einen geht's nicht schnell genug, und den anderen ist es zu teuer.

Wenn man sieht, was jetzt bei den Wahlen in den neuen Bundesländern passiert, dann hat man den Eindruck, da gibt's noch viel Nicht-Verstandenes, Nicht-Gesagtes. Da können wir noch nicht zufrieden sein, sag ich mal; die Deutsche Einheit ist noch nicht vollendet.

Es ist ja nun mal so, dass Generationen sozialistisches Gedankengut beigebracht gekriegt haben, während der Westen ja eher kapitalistisch - demokratisch angehaucht ist; ich denke, dass das mindestens noch zwei, drei, vier Generationen dauert, bis man sagt: „Wir haben da wieder eine einheitliche Linie gefunden“.

Wir dachten eigentlich schon, wir sind viel mehr vereint, aber man merkt immer wieder: in den Köpfen doch noch nicht so ganz. Und wenn Schwierigkeiten auftreten, dann tritt das auch wieder so hervor.

Die Euphorie des ersten Einheitstages ist verflogen. 15 Jahre nach der verfassungsmäßigen Einheit Deutschlands stellt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach fest:

In der Mitte der 90er Jahre antworteten auf die Frage: „Glauben Sie, dass das Zusammenwachsen Deutschlands gelingt, oder glauben Sie, dass Ost und West im Grunde immer zwei getrennte Staaten bleiben werden?“ die Westdeutschen wohlgemut zu etwa 60 Prozent: „Das Zusammenwachsen gelingt.“ Und auch Anfang 2000 dachten sie so. Die Ostdeutschen haben die ganzen 90er Jahre bei dieser Frage geschwankt. Jetzt steigt allmählich die Zahl derer, die sagen: „Sie werden wie zwei getrennte Staaten bleiben.“

Woran liegt das? Woher kommt dieser Pessimismus? Bevor er auf diese Fragen antwortet, hält Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin es zunächst für sinnvoll, zu definieren, von welcher Einheit man sprechen will.

Einheit kann man zweierlei definieren. Einmal die institutionelle Einheit, die haben wir mit der Übertragung der demokratischen Institutionen am dritten Oktober 1990. Das zweite ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. Hat man gemeinsame Bezugspunkte? Einen gemeinsamen Wertekonsens im Rahmen des Pluralismus? Und diese Einheit ist schwerer zu erreichen als die institutionelle.

Die den Vereinigungsprozess begleitende Politik habe die emotionalen Aspekte der Einheit aber vernachlässigt. Schröder zufolge ist die Politik dem Irrtum aufgesessen, dass sich nach dem Aufbau demokratischer Institutionen - sowie der Etablierung von Wohlstand und Sozialstaatlichkeit - eine Identifizierung mit dem neuen Gesellschaftssystem quasi von selbst herstellen wird.

Das hat bisher in Ostdeutschland nicht funktioniert, weil höchstwahrscheinlich viele Ostdeutsche sich doch trotz des Wohlstandssprungs, den sie hinter sich haben, fremdgesteuert, übergangen fühlen, heimatlos fühlen, denn sie wissen ja, dass nur etwa die Hälfte, bis zwei Drittel des Wohlstandes selbst erarbeitet ist, der Rest transferiert oder geschenkt, und das nagt am Selbstwertgefühl, und hinzu kommt, dass viele sich mehr oder weniger mit der DDR doch identifiziert haben, und sie identifizieren sich auch mit dieser untergegangen DDR als Verlierer, oder glauben zumindest, dass viele Westdeutsche das denken, dass nicht nur das System verloren hat, sondern eben auch die Menschen Verlierer sind.

Dass auch innerhalb eines undemokratischen Systems vernünftige Entscheidungen von vernünftigen Bürgern gefällt wurden - die westdeutsche Politik übersah es weitgehend. Dass auch innerhalb eines maroden Wirtschaftssystems umsichtige Menschen engagiert gearbeitet haben - die westdeutsche Politik respektierte es wenig. „Das war eine schwere Kränkung“, sagt Hans Joachim Maaz, Psychoanalytiker aus Halle. Eine Kränkung, die durch die Erfahrung von Arbeitslosigkeit noch verstärkt worden sei.

Arbeiten war in der DDR auch mehr als „Geld verdienen“. Es hatte immer auch soziale Bedeutung; es hat Beziehungen gestiftet; man hat über Arbeit eben auch ja Kindergartenplätze, Ferienplätze und so weiter bekommen; es hatte also eine viel größere soziale Bedeutung. Also, ich will sagen, der größte Mangel ist die fehlende Anerkennung der Lebensleistung, der Kompetenzen, der besonderen Entwicklungen im Osten. Also, dass es auch eine Kunst ist, eine große menschliche Leistung ist unter widrigen Umständen zu widerstehen und sich einrichten zu können.

Einer neuen Studie des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg zufolge bekundet die Mehrheit der Ostdeutschen, durch die Wiedervereinigung einen Verlust erlitten zu haben. Nach der Wende war mehr als die Hälfte der einstigen DDR-Bürger zuversichtlich, in der neuen Gesellschaft der Bundesrepublik Fuß fassen zu können. Heute ist nur noch jeder Dritte unverzagt. Eine Untersuchung der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Mögen auch die realen Lebensverhältnisse der einzelnen Ostdeutschen deutlich besser aussehen als zu DDR-Zeiten, die - wenn man so will - „gefühlten“ Lebensverhältnisse werden mehrheitlich als defizitär beschrieben. Psychoanalytiker Maaz erklärt dieses Phänomen mit dem Bild vom pubertierenden Jugendlichen.

Also man wächst heran, die Eltern geben ihr Bestes, so nach ihrem Gefühl, das ist so wie zwischen Ost und West. Der Westen hat sein Bestes gegeben, Unmengen an Geld, und jetzt sind die Heranwachsenden, also die Ostdeutschen nicht dankbar und leben nicht auf. Und da wird eben verkannt, dass es nicht um Geld geht, sondern eben um Anerkennung, um Würde, um soziales Ansehen, und das ist zu kurz gekommen. Also man kann auch sagen, man hat die besonderen Verhältnisse der Menschen, ihren Wunsch nach größerer sozialer Nähe und Verbundenheit nie wirklich verstanden.

Nach der Allensbach-Studie fühlen sich genauso viele Westdeutsche wie Ostdeutsche dem Bürger im jeweils anderen Landesteil wenig nah und wenig verbunden. Es scheint aber so zu sein, dass mehr Westbürger mit der Einheit optimistische Gefühle verknüpfen und die Wiedervereinigung eher als Zugewinn empfinden. Was allerdings mitunter auch als ein Zugewinn an Aufgaben interpretiert wird.

Eine Umfrage:

Dass wir die neuen Bundesländer dazu bekommen haben; dass wir keine Mauer mehr haben; dass wir ein freies vereintes Deutschland sind; dass es gut ist, dass es so gekommen ist; dass wir natürlich auch ne ganze Menge Arbeit zu tun haben; dass jeder persönlich betroffen ist, indem er mitzahlt mit seinen Steuern; dass es alles neu gestaltet wird; dass es mich sehr inspiriert; und es ist sehr interessant.

Wir müssen natürlich den Menschen im Osten helfen, dass genügend Arbeitsplätze geschaffen werden, damit diese Unzufriedenheit, die sich da offensichtlich breit macht, dass die beendet wird; und dass die Menschen auch nicht mehr das Gefühl haben, Deutsche zweiter Klasse zu sein, sondern genauso behandelt zu werden wie wir Westdeutschen.

Jetzt haben wir so einen kleinen Rückschritt. Aber wir sollten immer wieder nach vorne gucken und irgendwann ist die Einheit doch ganz vollzogen.

Also, ich glaube, wir müssen sicherlich uns auch noch mehr für das interessieren, was im Osten passiert ist, und was es für Besonderheiten im Osten gegeben hat; gleich nach der Wende haben wir zu wenig uns bemüht, Verständnis für das aufzubringen, was vielleicht im Ostteil gut, lohnenswert, nachahmenswert war, was wir eigentlich hätten tun müssen.

Ein Stück weit seien die Probleme der Deutschen Einheit darauf zurückzuführen, dass in der Wendezeit zu viele Westdeutsche sich zu wenig sorgfältig mit ostdeutschen Problemen und Befindlichkeiten befasst und deswegen die Ressourcen der neuen Bundesländer missachtet haben. Zu schnell sei das Urteil akzeptiert worden, dass nahezu alle wirtschaftlichen und sozialen Strukturen - nach westlichen Standards - nichts taugten. So Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat.

Aus der Rückschau hätte man Arbeit und Einkommen anders verteilen müssen, man hätte die Löhne wesentlich niedriger halten müssen, um dadurch den Betrieben eine Chance zu geben, konkurrenzfähig zu werden, aber b) hätte man da aber auch mehr Beschäftigungsverhältnisse mit errichten können, weil es ist ja letztlich ein Nullsummenspiel, das Sie haben bei den Löhnen. Verteilung von mehr Arbeit auf mehr Köpfe heißt: weniger Arbeitszeit pro Kopf und weniger Lohn pro Kopf.

Ein solches Vorgehen hätte aber bedeutet, dass weniger DDR-Bürger nach dem Mauerfall in die Bundesrepublik übergesiedelt wären und mehr Ostdeutsche Verantwortung für ihren Staat übernommen hätten. Ansätze dazu gab es, sagt Werner Schulz, ostpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Deutschen Bundestag. Aber man dürfe nicht vergessen, wie sich die Ereignisse zur Wendezeit überstürzten.

Als die Ostdeutschen gesagt haben, wir sind das Volk, ist das relativ schnell übergegangen in das Motto, wir sind ein Volk, und mit dieser Konsequenz dieser Bauch-über-Kopf-Vereinigung - Es war eine märchenhafte, turbulente Situation, sind ihnen Lebensverhältnisse aufgedrängt worden, die sie zwangsläufig erlernen mussten, dass heißt, die Menschen, die aufgebrochen waren, um für sich zu erschließen, wie das denn besser laufen könnte und aus den gemachten Erfahrungen der DDR, wie man, ohne dass man alles niederreißt vielleicht das, was Bestand haben könnte, zu erhalten und das zu modernisieren und zu erneuern, was sich in einer gewissen Weise als problematisch erwiesen hat, oder unzulänglich, nicht hinnehmbar in der DDR, ist plötzlich ein völlig anderes System geworden, man hat ein völlig anderes System übernommen, ohne dessen Macken, zu kennen und ist erstmal in die Situation eines Lernenden, ein ganzes Volk ist zum Azubi geworden.

Ein Azubi, in dessen Leben bis dato Unterordnung, Anpassung und Gehorsam eine große Rolle gespielt hatten. Auch das hat der Westen Hans Joachim Maaz zufolge missachtet. In den Jahren nach der Wende sei einfach unterschätzt worden, was für ein schwieriger Prozess es ist, das Obrigkeitsdenken zu überwinden.

Er ist für meine Begriffe sogar dadurch verstärkt worden, dass die Vereinigung wieder vormundschaftlich vollzogen wurde, also im Grunde genommen westliche Politiker und auch das Management sich als die neuen Führer, die neue Obrigkeit angeboten haben, so dass man im Osten glauben könnte, es wird jetzt alles besser, wir kriegen neue, bessere Obrigkeiten, die uns eben ins Wirtschaftswunderland führen. Diese seelische Problematik von Abhängigkeit und Hoffnung und Sehnsucht, ohne selbst sich entwickeln zu müssen oder für sich selbst autonomer zu werden, selbstbewusster zu werden, ist missachtet worden.

Die Folge war, dass der Westen dieses Verhalten der Ostdeutschen als Unvermögen wertete, selbstständig zu werden - und der Osten sich über anmaßende Westdeutsche beklagte. Während der Westbürger blind dafür war, wie die Marktverhältnisse sein Einfühlungsvermögen beschädigt haben, war der Ostbürger unfähig, sich seiner Autoritätshörigkeit zu stellen. Die Chance, im Vereinigungsprozess die Einseitigkeit der jeweiligen Sozialisation zu erkennen - und damit auch die eigenen Schattenseiten - wurde vertan. So erklärt der Psychoanalytiker die ungenügende Einheit der Deutschen.

Neugier auf die jeweils anderen Lebensgeschichten - das ist etwas, das in den letzten Jahren auf der Strecke geblieben ist, befindet auch Petra Pau. Für die PDS-Politikerin hat das Fehlen dieser gesellschaftlichen Aufgabe ein Vakuum hinterlassen, das keine etablierte Partei mit gemeinsamen Vorhaben, Visionen oder Konzepten habe füllen können. Dass die PDS im Ost-West-Verhältnis als Sachwalterin eines Volkszornes über die Deutsche Einheit auftritt, weist Petra Pau von sich. Die PDS greife lediglich Themen auf, die andere Parteien brach liegen lassen - und das sei bereits vor den Hartz IV-Demonstrationen der Fall gewesen.

Ich erlebe das seit zwei Jahren auch im Alltag hier im deutschen Bundestag, es gibt keine Fraktion mehr, die zum Beispiel zugespitzte ostdeutsche Themen hier auf die Tagesordnung setzt. Das ist nicht misszuverstehen als Forderung nach mehr Geld, sondern ich glaube auch aus den Gesprächen in meinem Wahlkreis eher herauszuhören, dass die Menschen vermissen, dass das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse und des miteinander Umgehens aufgegeben wurde, weil viele Ostdeutsche wissen natürlich, dass die Westdeutschen wie die Ostdeutschen die Solizuschlag zahlen und sie wissen auch, dass Geld in die Infrastruktur geflossen ist, aber sie erleben eben auch, dass nur die Hälfte der Dinge, die im Osten konsumiert werden auch im Osten produziert werden und dass man diesem Trend nicht umkehren will.

Von einer Unselbständigkeit der Ostdeutschen als Bremsfaktor im Einigungsprozess will die PDS-Politikerin ebenfalls nichts wissen. Petra Pau zufolge wären die Bürger Ostdeutschlands gerne selbständiger und haben es satt, alimentiert zu werden. Solange die Lebensverhältnisse in Ost und West nicht gleich sind, ist für Petra Pau die Deutsche Einheit nicht vollzogen.
Die Gleichheit hat die Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach ebenfalls zum Untersuchungsgegenstand gemacht. In der Zusammenfassung schreiben die Autoren:

Max Horkheimer, der große Fürst der Frankfurter Schule in den 60er und 70er Jahren, sagte: Je mehr Freiheit, desto weniger Gleichheit. Je mehr Gleichheit, desto weniger Freiheit. Da lässt sich ermessen, was es bedeutet, dass die Ostdeutschen bei einer Frage, was ihnen wichtiger sei, die Freiheit oder die Gleichheit, im Sommer 2004 mehrheitlich antworteten: Die Gleichheit sei ihnen wichtiger.

Den Trend dieser Aussage will der einstige Bürgerrechtler Günter Nooke schon ernst nehmen, obwohl er eigentlich von Umfragen gar nichts hält. Günter Nooke sitzt für die CDU im Bundestag und hat wenig Lust über Studien zu reden, die ermittelt haben, worin sich Ost und West unterscheiden. Nooke knurrt. Und sagt, er rede lieber über die echten Probleme der Ostdeutschen. Wer seinen Arbeitsplatz drei-, viermal verloren hat, der wünsche sich eben mehr Gleichheit der Lebensverhältnisse.

Ich glaube, dass man dann nicht zu schnell sagen sollte, die wollten die Gleichheit des Sozialismus wieder haben und haben ein Problem mit der Freiheit. Das Problem mit der Freiheit hatten die Westdeutschen nach 1945 auch! Ich will gar nicht abstreiten, dass es viele Menschen gibt, die ja das Wort Gleichheit positiver bewerten als vielleicht auch das Wort Freiheit, aber für mich hat das mit den existentiellen Sorgen und Ängsten der Menschen zu tun, und wir sollten mal versuchen, die wirklich wahrzunehmen im Osten und sie nicht beschimpfen, dass sie ihre politischen Oberseminare nicht gelernt haben. Das kommt in den Umfragen immer für mich zu schnell durch. Es bleibt in einer von westdeutschen Mehrheiten bestimmten Gesellschaft für mich immer auch ein Ablehnungsmanöver, die realen Probleme des Ostens wahrzunehmen.

Günter Nooke zufolge wird die Situation in den neuen Bundesländern zu häufig schön geredet. Nur eine reale Schilderung der Probleme kann seiner Meinung nach die gemeinsame Verantwortung für die Deutsche Einheit stärken. Dem Bündisgrünen Werner Schulz reicht das nicht.

Ich glaube nicht, dass man mit Härten Leute gewinnen kann. Das ist ein großer Fehler der Politik, zu sagen, jetzt geht es darum, eine Blut-, Schweiß- und Tränen-Rede zu halten, es fehlt an Vision, es fehlt an Leitbildern, es fehlt eigentlich an Zielen, die genannt werden. Wenn ich das Gefühl bekomme, es sind eigentlich immer die gleichen, von denen man Anstrengung verlangt, dann kommt diese solidarische Anstrengung nicht zustande, und dann fehlt es an Einheit. Zu Tacheles gehört auch das Leitbild, gehört auch die Vision.

Viel zu wenig habe man sich in den letzten 15 Jahren darum gekümmert, welche gemeinsamen Leitbilder und Visionen die Menschen in Ost- und Westdeutschland haben. Zu diesem Schluss kommt auch Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat.

Chancen haben wir nur, wenn wir uns in einen gemeinsamen Diskurs begeben, den wir dringend nötig haben, um Werte, um Identifikation und das, was uns sozusagen gemeinsam auszeichnet. Das brauchen wir, denn angesichts der Globalisierung kommen Herausforderungen auf Deutschland zu, die nicht zu bewältigen sind, wenn wir noch geschwächt sind durch einen innerdeutschen Ost-West-Streit und durch Gräben, die immer tiefer werden. Das lähmt die Gesellschaft und eine gelähmte Gesellschaft ist nicht zukunftsfähig, das hat die DDR bewiesen.

All die Analysen über die Entwicklung der Deutschen Einheit, all die Diagnosen über den Zustand der Einheit und all die Vorschläge zu seiner Verbesserung verfolgt Jutta Zaske mit Anteilnahme und auch mit Wehmut. Die Malerin ist kurz nach der Wende mit ihrem Mann in ein kleines Dorf in Brandenburg gezogen. Wir waren damals in Aufbruchstimmung, erzählt Jutta Zaske und hatten einfach Lust, uns in den Prozess der Vereinigung einzubringen. Wollten gesamtdeutsch handeln, nicht als Westdeutsche. „Doch das war schwer“, sagt Jutta Zaske.

Ich war eine eingebildete alte Wessi. Und das geht natürlich mit der Zeit, wenn man sich etwas anderes vorgestellt hat, geht es einem schon an die Seele. Nicht? Ich hab mich eigentlich sehr wohl gefühlt als Deutsche. Und dann „ne Zeitlang als Ostdeutsche. Weil ich sag: Ich wohn in Ostdeutschland. Und jetzt muss ich sagen - dadurch, dass immer wieder gesagt wird, im Westen und so... und dass kein Mensch sich eigentlich mal die Zeit nimmt, zu fragen: Wie geht's Ihnen? - hab ich manchmal, so, wenn irgendwas kommt, wo ich denke, ach je, jetzt hat der wieder keine Arbeit! Du bist aus dem Westen! Irgendwie hab ich plötzlich so'n Schuldgefühl. Und ich fühl mich plötzlich wieder als Westdeutsche. Und das ist etwas, was ich nie wollte. In letzter Zeit denke ich: meine Güte, da ist irgend was faul.“

Die Vision , die Jutta Zaske für die Deutsche Einheit hat, bricht die großen politischen Forderungen nach Solidarität und politischem Wertediskurs herunter auf eine sehr alltägliche Ebene: Mehr Freundlichkeit, mehr Wärme, mehr ganz normale, nachbarschaftliche Gespräche. Natürlich löst eine solche Vision keine nationalen Probleme, aber man kann ja mal damit anfangen.
 

 

 

3.10.2004
www.petra-pau.de

 

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