Die Hellersdorfer

Der Daten-Gipfel war ein Hügelchen

von Petra Pau (MdB, DIE LINKE)
in „Die Hellersdorfer“, Oktober 2008

Es war ein schönes Bild, vor allem ein höchst seltenes. Innenminister Wolfgang Schäuble und der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar gaben eine gemeinsame Pressekonferenz. Sie lobten sich wechselseitig. Sie erläuterten, was sie auf einem „Datenschutzgipfel“ vereinbart hatten. Der wiederum war einberufen worden, weil zuvor ein Datenskandal den anderen gejagt hatte, bei LIDL, bei der Telekom, bei weiteren Unternehmen. Ein Tropfen ließ das Fass überlaufen: Verbraucherschützer hatten sich zum Schein Millionen Sätze persönlicher Daten besorgen können, für 'nen Appel und een Ei, einfach so.
Diesem florierenden Datenhandel sollen nun Grenzen gesetzt werden. Persönliche Daten dürfen künftig nur noch weitergegeben werden, wenn die Betroffenen dem ausdrücklich zustimmen. Außerdem: Tauchen Daten plötzlich an unverhofftem Ort auf, so muss nachvollziehbar sein, woher sie ursprünglich stammen. Das alles könnte demnächst im Bundestag besiegelt werden. Gut so.
Aber das wäre nicht einmal die halbe Miete. Es ist bestenfalls ein Reparaturprogramm für einen Oldtimer, der ohnehin nur noch bedingt verkehrstauglich ist. Denn das Datenschutzrecht insgesamt ist überholt. Es stammt wesentlich aus der Zeit, da noch mit dem Bleistift geschrieben und mit dem Röhrenradio gehört wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mehrfach gerügt. Wir leben im 21. Jahrhundert. Längst bestimmen Laptops, Handys und immer mehr intelligente Videokameras den Alltag. Noch nie war das technische Überwachungspotential so groß, wie jetzt. Und die Begehrlichkeiten wachsen und wachsen, privat und von Staats wegen.
Der größte Datenstaubsauger der Nation, der Staat, stand übrigens auf dem Gipfeltreffen überhaupt nicht zur Diskussion. Das Übel sei privat, der „Staat ist sauber“, hatte Bundesminister Schäuble vorab befunden. Ist er das wirklich?
Vor Jahresfrist hatte ich die Bundesregierung gefragt, wie viele besondere Datensätze er über Bürgerinnen und Bürger angelegt habe. Die Antwort: Summa summarum 60 Millionen. 60 Millionen Datensätze bei 80 Millionen Einwohnern?
Seit Jahresbeginn werden per Gesetz alle Kommunikationsdaten auf Vorrat gespeichert, also: Wer hat wann und wo mit wem telefoniert, eine e-mail verschickt oder eine SMS gesendet? Und wer klickt im Internet welche Webseite an? Experten haben hochgerechnet: Binnen sechs Monaten fallen so 150 Milliarden Datensätze an. Gutmütig gesagt: Ein Sack Flöhe hüten ist einfacher. Mehr als 30.000 Bürgerinnen und Bürger klagen inzwischen gegen diese Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht, ich auch.
Hinzu kommt: Immer mehr, auch ganz sensible Daten, werden innerhalb der EU ausgetauscht oder an US-Geheimdienste geschickt, also ins datenrechtliche Nirwana. Mit Datenschutz hat auch das nichts zu tun. Im Gegenteil!
Der viel gelobte Gipfel war daher bestenfalls ein Hügelchen.
 

 

 

6.10.2008
www.petra-pau.de

 

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