![]() Effizienter Staat Keine ganz andere Gesellschaft Petra Pau zur Beamtenpolitik und zum Staatsverständnis der PDS (BS) Die stellvertretende Vorsitzende der PDS, Petra Pau, gilt als eine der engagiertesten Modernisiererinnen ihrer Partei. So hat sie - nicht zur ungeteilten Freude aller, insbesondere älteren Genossen - maßgeblich die Entschuldigung für die Zwangsvereinigung von KPD und SPD oder die Erklärung zum Unrecht des Mauerbaus mitformuliert. Im Bundestag vertritt häufig sie die Positionen der Partei zur Innenpolitik und speziell zu Fragen der Beamtenpolitik. Im Interview mit dem Behörden Spiegel nimmt Pau Stellung zu Status und Funktion des Beamtentums, der künftigen Rolle des Staates, zum Zusammenwachsen von Ost und West und zum Stasi-Unterlagen-Gesetz. Mit Petra Pau sprach Matthias Köhler. | ||||||
Behörden Spiegel: Sind Sie Helmut Kohl eigentlich dankbar? Pau: Nein, warum? Behörden Spiegel: Weil er sich, es geht da nicht um Sie persönlich, bei den Stasi-Akten gegenüber Marianne Birthler durchgesetzt hat. Pau: Gar nicht, ganz im Gegenteil. Ich denke, wir brauchen eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, um den unterschiedlichen Bedürfnissen nachzukommen. Es muss Forschung möglich sein zur weiteren Aufklärung der Strukturen im realen Sozialismus, und das geht nun einmal vor allem über die Bestände dieser Behörde. Das sind schließlich die einzigen Akten, die nicht über Jahrzehnte hin verschlossen sind.
Behörden Spiegel: Thema unseres letzten Kongresses war die Partizipation in einer Online-Gesellschaft. Welchen Stellenwert geben sie dem im Rahmen von Otto Schilys Modernisierungsprogramm insgesamt? Wird das Thema überschätzt?
Behörden Spiegel: Wie viele ihrer Parteimitglieder bzw. Mandats- und Funktionsträger sind eigentlich Beamte? Pau: Ich weiß, dass es in unserer Wählerschaft sehr viele Beamte und auch Angestellte des Öffentlichen Dienstes gibt, die offensichtlich mit der PDS und ihren Themenschwerpunkten soziale Gerechtigkeit, Einigung von Ost und West und Friedenspolitik sympathisieren. Ich habe keine statistischen Erhebungen, was die Mitgliedschaft betrifft, kann mir aber vorstellen, dass dies nicht ganz so viele sind. Wie Sie wissen, zeichnet sich unsere Partei durch eine etwas eigenwillige Altersstruktur aus. Wir haben sehr viele Rentner in unseren Reihen und vielleicht noch Nachholbedarf, was die Gewinnung von neuen Mitgliedern angeht. Behörden Spiegel: Auf welcher Ebene sehen Sie ihre Stärken, bei Bund, Ländern oder Kommunen? Pau: Das zieht sich quer durch die Ebenen. Wir erleben gerade in den Kommunen im Osten einen starken Bezug zu Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes - unabhängig von deren Status. Vor allem durch Briefe und E-mails kann ich aber feststellen, dass wir inzwischen auch insbesondere in Westberlin und den großen Flächenländern Akzeptanz in den Landesbehörden gefunden haben. Dabei geht es nicht mehr nur um die Interessenvertretung von Beamten oder Angestellten, sondern auch um die Politikfelder der PDS. Behörden Spiegel: Sie selbst haben davon gesprochen, dass Sie ein etwas schizophrenes Verhältnis zum Beamtentum hätten. Grundsätzlich halten Sie nicht viel davon, wollen sich aber für die Belange der Beamten einsetzen. Wie lebt man damit? Pau: Wir halten es hier ähnlich wie mit der Bundeswehr: Eigentlich wollen wir sie abschaffen, aber solange es sie gibt, sollen diejenigen, die dort ihren Dienst tun, in ihren Arbeitsbedingungen sozial gerecht behandelt werden. Wir wollen das Beamtentum als solches auch nicht vollständig abschaffen, stellen aber schon die Frage, ob alle Bereiche, in denen Beamte arbeiten, so hoheitlichen Charakter haben, dass sie mit diesem besonderen Status verbunden sein müssen.
Behörden Spiegel: In welchen Bereichen könnte man denn auf die hoheitliche Wahrnehmung von Aufgaben verzichten? Was ist etwa mit Lehrern? Pau: Ich habe ja viel Verständnis für den Drang der Kollegen im Osten, sich verbeamten zu lassen. Das zeigt den ganzen Unsinn dieser Regelung. Dieser Drang ist vor allem entstanden durch die Unsicherheit, bei abnehmenden Schülerzahlen keine Chance mehr zu haben gegenüber West-Kollegen, auch an der Schule zu bleiben. Wir haben das in Berlin erlebt, aber auch in den anderen Neuen Bundesländern. Ich. halte es nach wie vor nicht für notwendig, dass der Lehrer Beamter sein muss. Viel wichtiger ist, dass wir eine gesellschaftliche Aufwertung des Lehrerberufs bekommen. Lehrer werden nicht deshalb mehr geachtet, weil sie Beamte sind. Nur, wenn die Arbeit der Lehrer anerkannt wird und nicht die Schuld für alle gesellschaftlichen Missstände bei ihnen abgeladen wird, können sie ihre besondere Rolle in dieser Gesellschaft einnehmen. Behörden Spiegel: Die Arbeits- und Rahmenbedingungen für Beamte können aber doch nicht so schlecht sein, wenn alles in diesen Status hineindrängt? Pau: Ich habe in den vergangenen Jahren mit vielen Lehrern gesprochen - unter dem Strich kam heraus: Wir wollen nicht diejenigen sein, die als erste abgebaut werden. Die sozialen Rahmenbedingungen waren dabei nicht das Wichtigste. Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen: Auf diese Weise werden finanzielle Lasten für die Altersversorgung aufgeschoben und der nächsten Generation aufgebürdet. Insofern ist das etwas unehrlich. Wir erleben, dass in einigen Kommunen durch die Verbeamtung versucht wird, aktuell Geld einzusparen. Ich halte das für Augenauswischerei, die zum Schluss auch auf dem Rücken der Kollegen ausgetragen wird. Damit wird auch das Bild vom Beamten, der dem Rest der Gesellschaft auf der Tasche liegt, erzeugt. Das ist natürlich ungerecht. Behörden Spiegel: Man könnte fast sagen, dass Sie in ihren sozialpolitischen Forderungen für das Beamtentum etwa vom Beamtenbund gar nicht weit entfernt sind, eine Nähe, die man zunächst nicht vermuten würde. Pau: In den aktuellen Auseinandersetzungen dieser Legislaturperiode, beim Versorgungsänderungsgesetz, Beamtenrechtsrahmengesetz und bei der Dienstrechtsreform, habe ich große Übereinstimmung festgestellt. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum Probleme der gesamten Gesellschaft auf dem Rücken der Beamten ausgetragen werden sollen. Ich habe schon die Riester-Rente kritisiert, weil sie der Einstieg in den Ausstieg aus der solidarischen Rentenversicherung war.
Behörden Spiegel: Beamte stehen in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis. Ist das nicht insbesondere in Sicherheitsbereichen durchaus sinnvoll? Pau: Natürlich. Ich möchte gerne das Gewaltmonopol des Staates erhalten. Was aber etwa die Mitbestimmung betrifft, stammen manche Regelungen für Beamte wirklich aus dem vorvorigen Jahrhundert. Polizeibeamte sind beispielsweise auf die Verfassung und die Gesetze verpflichtet, sollten aber auch an der Debatte über die gesellschaftliche Weiterentwicklung teilhaben können. Das Beamtentum sollte auf Kernbereiche begrenzt werden. Hier ist manche Chance durch die Herangehensweise der Vereinigung von Ost und West 1989/90 vertan worden. Auch in der alten Bundesrepublik gab es Veränderungsbedarf. Man hätte einiges auslaufen lassen können, natürlich ohne den Vertrauensschutz zu gefährden. Wenn man etwa darüber nachgedacht hätte, wie Referendare in anderer Form abgesichert werden können, hätte man langfristig mehr erreicht. Behörden Spiegel: Wie sieht Ihr Staatsverständnis aus, welche Rolle kann und soll der Staat heutzutage spielen? Pau: Der Staat ist für die Daseinsvorsorge zuständig, deswegen darf er sich aus bestimmten Bereichen auch nicht ausklinken. Die öffentliche Sicherheit, die Schulpolitik oder die Gesundheitsvorsorge sind staatliche Aufgaben auch im Sinne des Ausgleiches, der Chancengleichheit. Erst dann wäre zu entscheiden, in welchen Strukturen das im Auftrag des Gesetzgebers stattfindet. Sicherlich muss nicht alles durch den Öffentlichen Dienst geleistet werden. Über gesetzliche Rahmenbedingungen kann auch ein entsprechender Standard gesetzt werden. Ich möchte aber zum Beispiel nicht, dass weiter öffentliche Sicherheit in private Hände übergeht und auf diese Weise Viertel entstehen, in denen Sicherheit gewährleistet ist, weil man es sich leisten kann, und andere, in denen das nicht der Fall ist. Behörden Spiegel: Die PDS ist an mehreren Landesregierungen zumindest indirekt beteiligt gewesen. Nun sind weder Mecklenburg-Vorpommern noch Sachsen-Anhalt dadurch aufgefallen, dass sie unbedingt an der Spitze des Fortschritts marschieren. Sie liegen in allen wesentlichen Kennziffern weit hinten. Hat das vielleicht auch mit Ihrem Staatsverständnis zu tun, zu viele Dinge gewährleisten zu wollen? Pau: Wir wollen nicht vergessen, wer da vorher regiert hat. Außerdem gab es bei allen Problemen in Mecklenburg-Vorpommern zumindest einen Zuwachs an Arbeitsplätzen und Lehrstellen. Die Strukturentscheidungen bei der Werftindustrie oder bei der Airbus-Ansiedlung waren übrigens nicht im Lande zu verantworten. Auch in Sachsen-Anhalt zeigen sich die Probleme der Politik gegenüber dem Osten insgesamt. Die Zahlen unterscheiden sich nämlich gar nicht so sehr von Thüringen oder Sachsen, außer dass es dort noch einige industrielle Kerne mehr gibt. Gescheitert ist hier eher die Bundespolitik insgesamt. Solange man meint, man müsse dort nur genügend Geld hineinpumpen, um die Leute ruhig zu stellen, wird das nichts werden.
Behörden Spiegel: Dennoch handelt es sich bei der Abwanderung etc. wohl um Prozesse, die sich mehr oder weniger fortsetzen werden. Wie kann man sich darauf einstellen? Es werden teilweise Wegzugs- und Rückkehrprämien gezahlt, das mutet doch chaotisch an. Pau: Ich halte hier die Lösung von Mecklenburg-Vorpommern für richtig. Dort werden keine Rückkehrprämien gezahlt, aber man bietet den Menschen an, den Kontakt in die Region zu halten, kümmert sich um sie. Wenn sich interessante Dinge dort tun, wird darüber informiert, um vielleicht auch einmal einen umgekehrten Trend in Gang zu setzen. Diese Prämien bringen jedenfalls nichts und das Jammern auch nicht. Behörden Spiegel: Der Artikel 36 des Grundgesetzes hat die regionale Ausgewogenheit bei der Stellenbesetzung in Bundesbehörden zum Thema. Manche Leute sagen, das sei überholt und komme kaum noch zur Anwendung, aber es steht nun einmal da. Gerät man dabei nicht in Konflikt mit dem Leistungsgedanken? Pau: Da haben wir vielleicht ein Stück Nachholbedarf, was den Osten betrifft. Deshalb bin ich im Moment dafür, nicht nur an dem Artikel festzuhalten, sondern auch zu sehen, wie das umgesetzt werden kann. Dazu muss man den Leistungsgedanken nicht beiseite legen.
Berliner Behördenspiegel Juni 2002 [download] als rtf-Datei | ||||||
25.6.2002
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