Mehr Demokratie - es brennt allenthalben

Rede von Petra Pau auf Rede auf dem Neujahrsempfang der LINKEN in Eisenach
Eisenach, 2. Februar 2012

I. Als ich gefragt wurde, ob ich nach Eisenach zum Neujahrsempfang der LINKEN komme, habe ich überlegt: Was fällt mir eigentlich zu Eisenach ein?

Natürlich schnell der Geschichte, wonach Martin Luther seinerzeit hier versteckt als Junker Jörg die Bibel übersetzt habe.

Ebenso die Episode, dass er auf der Wartburg den Teufel mit einem Tintenfass erschlagen wollte. Wovon ein heiliger Fleck zeuge.

Und dann überlegte ich: Was war eigentlich mein DDR-Luther-Bild? Nicht das übliche. Denn ich hatte eine gute christliche Grundausbildung.

Aber erinnern wir uns: Martin Luther galt als Reformer, Thomas Müntzer als revolutionär. Und damit waren die gewünschten Sympathien zugeordnet.

Reform oder Revolution? Derartige Kämpfe führen Linke anno 2012 noch immer. Die Geschichte ist also mit uns. Die Farce allerdings auch.
 

II. Auf dem Weg hierher war ich in Erfurt. Wir hatten zu einer Pressekonferenz geladen. Thema: Die Nazi-Mordserie und deren Aufklärung.

Es ist ein Thüringer Thema. Es ist ein Bundes-Thema. Und der Kampf gegen Rechtsextremismus bleibt unser aller Thema. Auf Wiedersehen in Dresden!

Ich will nicht über Details sprechen, sondern über Grundsätze. Zum Beispiel über die Losung: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“

Das klingt radikal. Aber bevor Faschismus zum Verbrechen wird, gärt er in Köpfen. Erst als Meinung, dann als Haltung, schließlich als Verbrechen.

Oder das Beispiel NPD-Verbot. Es wird reflexartig immer wieder gefordert, sobald rechtsextreme Gewalttaten publik werden.

Selbst Unions-Politiker begehren inzwischen ein zweites Verbotsverfahren.
Das alles klingt wie Luthers Wurf mit dem Tintenfass nach dem Teufel.

Die LINKE sollte es sich nicht so einfach machen. Niemand sollte es tun, im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

Ich empfehle die wissenschaftliche Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ von Professor Heitmeyer und Team.

Der vorerst letzte Band beschreibt, warum die Gesellschaft auseinander driftet und vor welchem Hintergrund Nazis zunehmend Zustimmung finden:

1. Das Soziale wird ökonomisiert. 2. Die Demokratie zerfällt. 3. Die Solidarität schwindet. Dem gilt es zu wehren, wenn man Nazis isolieren will.

Und ich sage bewusst auch allen Nicht-Linken, die aus gutem, demokratischen Brauch heute beim Neujahrs-Empfang der LINKEN sind.

Wir können uns über alle politischen Themen herzhaft streiten. Aber der Versuch, Linke mit Rechtsextremen gleichzusetzen, ist kreuzgefährlich.
  

III. Kurz hatte ich überlegt, ob ich etwas zu den historischen „Wartburg-Festen“ sage. Ich lasse es. Es wäre zu widersprüchlich.

Auch wenn Eisenach sich rühmt, dass auf der Wartburg Progressives verhandelt wurde, wie Bürgerrechte und Demokratie. Aber es war eben nicht nur das.

Auf dem 1. Wartburgfest 1817 wurden Bücher verbrannt. Und auch später wurde auf Wartburgfesten manch Nationalistisches gefeiert.

Auf das Stichwort „Bürgerrechte und Demokratie“ gehe ich allerdings gerne weiter ein. Als Einstieg in einen dritten Gedanken.

DIE LINKE versteht sich als Friedenspartei, als Partei der sozialen Gerechtigkeit, als antifaschistische Partei.

Manche definieren DIE LINKE auch als „Partei der Arbeit“. Andere Linke feiern sich als 99-Prozent-occupy-Partei. Das teile ich ausdrücklich nicht.

Ich meine vielmehr: DIE LINKE muss eine moderne sozialistische Bürgerrechtspartei sein. Was manche Linke gut und andere falsch finden.

Aber ich bleibe dabei. Erstens als Abgrenzung zum real-existierenden Sozialismus sowjetischer Prägung. Also als Bruch.

Zweitens gegen zunehmende aktuelle Angriffe auf Bürgerrechte namens vermeintlicher Sicherheit. Also als Abwehr.

Und drittens, weil es ohne verbriefte Bürgerrechte und mehr Demokratie keinen Aufbruch geben wird. Also als Zukunft.

Voriges Jahr auf dem Kirchentag in Dresden habe ich in einer Diskussion zum Spannungsverhältnis „Freiheit und Gleichheit“ gestritten.

Ich habe dabei Rosa Luxemburg zitiert: „Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung, Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung.“

Der Widerpart auf dem Podium in der Kirche gehörte Vera Lengsfeld. Sie sprach viel über die Vergangenheit, ich mehr über die Zukunft.

Im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gleichheit warb ich übrigens auch für zwei Projekte, die auch in der Linkspartei unterbelichtet oder unbeliebt sind.

Die solare Revolution und das bedingungslose Grundeinkommen. Ich begründe das jetzt nicht. Ich werfe einfach nur die Stichworte erneut ins Rund.

Und ich gestehe: Ich bin froh, dass DIE LINKE endlich ein Grundsatzprogramm hat. Ich sage aber auch: Das Erreichte ist mitnichten das Erreichbare.
 

IV. Ein vierter Gedanke: Der Kampf um mehr Demokratie, überhaupt um Demokratie, ist hochaktuell. Es brennt allerorten.

Wir erleben, dass Finanz-Casinos bestimmen, was Regierungen und Parlamente zu tun haben. Das ist eine neue Form von Diktatur.

Wir erleben, dass Kommunen finanziell ausgehöhlt werden. Die damit verbundene Ohnmacht tötet Demokratie.

Und wir erleben, dass immer weniger Bürgerinnen und Bürger die repräsentative Demokratie für gut und ausreichend halten.

Meine These ist: Gegen Demokratieverdruss hilft nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie, auch auf Bundesebene.

In Fragen direkter Demokratie aber ist die Bundesrepublik Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland. Auch das muss sich ändern.
 

V. Ein fünfter und letzter Gedanke: In der Linkspartei kursieren derzeit zwei Stehsätze: „Kurs halten!“ und „wir führen keine Personal-Debatte!“

„Kurs halten!“ klingst nach Titanic oder FDP. „Keine Personaldebatte“ trifft mich nicht. Da könnte ich in Thüringen eher andere Linke angucken.

Gleichwohl will ich abschließend über Personen sprechen - nach einer aktuellen Geschichte aus dem Land Berlin.

Zu den ersten Maßnahmen des neuen SPD-CDU-Senats gehört: Der Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor, kurz ÖBS, wird nicht weiter geführt.

Tausende Berlinerinnen und Berliner werden wieder arbeitslos. Und ganze Projekte fürs Gemeinwohl gehen den Bach runter.

Das Negative positiv gedeutet. Es ist wichtig, dass an Schaltstellen Menschen mit Herz und Verstand, sozial und demokratisch engagiert sind.

Deshalb wünsche ich allen Anwesenden ein gesundes und möglichst gutes Jahr. Ein besonders erfolgreiches 2012 aber wünsche ich drei Personen:

In alphabetischer Reihung: Sascha Bilay, Katja Wolf und Nicole Zdunek. Möget ihr Landrat, Oberbürgermeisterin bzw. Bürgermeisterin werden.

Für DIE LINKE insgesamt gilt: Wir müssen den Abwärtstrend umkehren. Nicht mit Parolen, sondern mit Engagement vor Ort und mit werbenden Alternativen.
 

 

 

2.2.2012
www.petra-pau.de

 

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