Linken-Politikerin Petra Pau

„Gysi hat mit einer Lebenslüge aufgeräumt“

Interview im Tagesspiegel
Berlin, 4. Juni 2012

Die Linken-Politikerin Petra Pau sieht die Gefahr einer Spaltung der Linken noch nicht gebannt.

Frau Pau, war das in Göttingen die vom früheren Parteichef Lothar Bisky befürchtete Superhorrorshow?

Die Kuh ist nicht vom Eis. Der Parteitag hat ein reales Bild der Linken vorgeführt, also auch ihrer Krise. Und damit war das auch keine einladende und werbende Veranstaltung. Eine Superhorrorshow war es auch nicht. Es gibt immer einen Montag nach dem Parteitag. Der neue Vorstand hat einen Auftrag und sollte an die Arbeit gehen.

Der Montag ist da. An der Spitze der Linken stehen eine junge Mutter, die den Job nur in Teilzeit ausfüllen will oder kann, und ein Gewerkschaftsfunktionär.
Wird das nicht ähnlich schwierig wie mit dem alten Duo aus Klaus Ernst und Gesine Lötzsch?

Ich will das Personal nicht zensieren. Nicht nur die beiden Vorsitzenden, sondern alle Vorstandsmitglieder müssen begreifen, dass sie nicht der Nabel der Welt sind. Sie haben die Aufgabe, die Partei zu organisieren und, auch wenn das nur noch verspätet geschehen kann, die bevorstehenden Wahlkämpfe vorzubereiten.

Ist zu wenig geblieben von der PDS?

Es geht gar nicht so sehr um PDS und WASG oder neue Strömungen. Fest steht, sowohl der Parteitag als auch Gregor Gysi in Person haben endlich mit der Lebenslüge aufgeräumt, dass schon zusammengewachsen wäre, was zusammengehört. Das ist mitnichten der Fall.

Ist die Botschaft von Gysi verstanden worden oder verhallt?

Viele haben sie verstanden. Aber es gab auf dem Parteitag zwei Gruppen – eine mit ausgestreckter Hand, die andere mit zwei geballten Fäusten. Ich hoffe, dass die Warnung Gysis nicht nur im Saal angekommen ist, sondern zum Beispiel auch in der Bundestagsfraktion.

Dort hat der Fraktionsvorsitzende Hass und einen pathologischen Zustand diagnostiziert. Lässt sich das überhaupt kitten?

Ich bin froh, dass Gregor Gysi gesagt hat, was ist. Ich habe das in den vergangenen Monaten in der Fraktion ganz genauso empfunden, viel zugespitzter noch als in der Partei. Man muss sich nichts vormachen. Auch auf dem Parteitag war bei manchen Protagonisten Hass zu spüren. Ich kann nur allen raten, endlich abzurüsten. Es ist doch widersinnig: Eine konsequente Friedenspartei führt innerparteiliche Kriege. Das haben die meisten Delegierten und Mitglieder pappesatt.

Gysi hält eine Spaltung der Partei dann für fair, wenn die Konflikte nicht gelöst werden.

Erst mal steht eine Spaltung nicht auf der Tagesordnung. Aber sie wäre die logische Konsequenz, wenn es nach diesem Parteitag nicht gelingt, einen Neuanfang zu wagen. Wir müssen in der Partei eine Ökumene leben, in der die Protestanten vom reformsozialistischen Flügel genauso wie die Katholiken der antikapitalistischen Linken ihren Platz haben. Sonst wird das Ganze ausgehen wie Karthago. Wir wissen, drei Kriege – dann war nichts mehr da.

Mit Sahra Wagenknecht hat die Linke ein sehr bekanntes Gesicht, zweifellos auch talentiert. Wäre es in der schwierigen Lage der Partei nicht konsequenter gewesen, sie zur Vorsitzenden zu wählen?

Es gibt keine einzelnen Heilsbringerinnen oder Heilsbringer. Zum Glück haben sich auch die meisten Delegierten von diesem Gedanken emanzipiert. Offensichtlich wurde ein Team gewählt.

Beide Vorsitzenden gehören nicht zum Reformerlager. Ist das ein Problem?

Diesem Vorstand muss es gelingen, strömungspolitische Gräben zuzuschütten und Brücken zu bauen, zurück zur Politik. Sonst wird er scheitern.

Ist der große Einfluss von Oskar Lafontaine gut, ohne dass er selbst ein Amt übernimmt?

Ich denke, auch er hat die Signale der Delegierten auf diesem Parteitag verstanden.

Wen wünschen Sie sich als Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl?

Das werden wir nach der Aufstellung der Kandidaten für die wichtigen Direktwahlkreise entscheiden. Ich werde dem nicht vorgreifen.

Bitter verlaufen ist der Parteitag für Dietmar Bartsch, der mit seiner Bewerbung um den Vorsitz gescheitert ist. Was kann aus ihm noch werden?

Ich habe auf dem Parteitag einen souveränen, politisch klugen und strategisch denkenden Dietmar Bartsch erlebt. Er hat ein achtbares Wahlergebnis erhalten. Ich freue mich auf die nächste Sitzungswoche des Bundestages, wenn der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bartsch wieder kampfeslustig in die Auseinandersetzungen in der Bundespolitik eingreift. Aus dieser Position wird er auch in zukünftigen Wahlkämpfen und in der Partei eine Rolle spielen.

Die SPD macht frustrierten Linken Avancen. Erwägen Sie einen Parteiwechsel?

Ach wissen Sie, ich habe schon ganz andere Zeiten durchgestanden. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als Joseph Fischer und Gerhard Schröder Gesine Lötzsch und mir fast in jeder Sitzungswoche des Bundestages ...

... nach 2002, als die PDS an der Fünfprozenthürde gescheitert war ...

erklärten, es wäre Schluss mit unserer Partei und wir sollten gucken, ob wir nicht bei ihnen unseren Platz suchen. Ich habe damals gesagt, ich bin demokratische Sozialistin und bleibe es. Und das gilt auch für jetzt.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.
 

 

 

4.6.2012
www.petra-pau.de

 

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