Für eine 3. Erneuerung

Rede von Petra Pau auf der Hauptversammlung der LINKEN Marzahn-Hellersdorf am 11. November 2017

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1. 

Am 24. September wurde ein neuer Bundestag gewählt.
Der konstituierte sich am 24. Oktober, mit einem neuen Präsidium.
Ich wurde erneut zur Vizepräsidentin gewählt.
 
Dafür danke ich allen, die durch ihren engagierten Wahlkampf ein respektables Ergebnis für unsere Partei und die Verteidigung meines Direktmandates ermöglicht haben.
 
Vielen Dank, liebe Genossinnen und Genossen!

2. 

Seit 2006 wurde ich nun zum 4. Mal zur Vizepräsidentin gewählt.
Im neuen Präsidium des Deutschen Bundestages bin ich die Dienstälteste und obendrein die einzige aus dem Osten.
 
Das spornt mich zusätzlich an.
Denn noch immer werden Bürgerinnen und Bürger aus dem Osten benachteiligt und das im Jahr 28 der staatlichen Einheit.
Das ist nicht hinnehmbar!

3. 

Wenig später ging die Fraktion DIE LINKE in Klausur. Die Fraktion hat jetzt mehr Mitglieder, rund ein Drittel ist neu im Bundestag, über die Hälfte sind Frauen, schließlich kommt eine klare Mehrheit aus den alten Bundesländern.
 
Von dieser Klausur habt ihr alle gehört oder gelesen.
Denn Streitereien zwischen beiden Partei- und beiden Fraktionsspitzen wurden prominent in allen Medien skandalisiert.
 
Ich kann euch versichern:
Das Gros der Fraktion hatte damit nichts zu tun.
Die alten und die neuen Mitglieder der Fraktion wollen politisch arbeiten.
Dafür wurden wir gewählt!

4. 

Ich werde weiterhin als Innenpolitikerin aktiv seien. Meine Pro-Themen bleiben Bürgerrechte und Demokratie, meine Kontra-Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Dafür gibt es mehr Gründe denn je.
 
Zudem werde ich mich verstärkt um den Komplex Digitalisierung kümmern.
Sie ergreift die gesamte Gesellschaft, nicht nur die Wirtschaft.
Auch Bürgerrechte und Demokratie sind betroffen.
 
Ich hatte kürzlich dazu einen größeren Beitrag in der Tageszeitung „Neues Deutschland“. Ihr könnt ihn unter www.nd-online.de nachlesen.
Mit Blick auf Bürgerrechte und Demokratie und Wirkungen der Digitalisierung ist er überschrieben mit „Chancen groß, Gefahren riesig“.

5. 

Nun ist das aktuell mit der Arbeit im Bundestag so eine Sache.
Unsere Fraktion hatte zu Konstituierung beantragt, die Fachausschüsse sofort einzusetzen, und nicht erst, wenn sich irgendwann eine Bundesregierung gefunden hat.
Das sollte allemal für die parlamentarischen Ausschüsse gelten, die ohnehin im Grundgesetz vorgesehen sind.
 
CDU, CSU und FDP lehnten das ab, auch Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen.
Ich finde: Wer den Bundestag so missachtet, arbeitet Rechtspopulisten zu.
Das ist undemokratisch und verantwortungslos.

6. 

Derweil fliegen bei den Wahlverlierern CDU/CSU und SPD die Fetzen.
Es geht um Posten und innerparteiliche Richtungskämpfe.
Dazu haben wir keinen Anlass.
 
Was allerdings nicht heißt, dass es in der LINKEN keinen Diskussionsbedarf gäbe.
Dem Landesparteitag liegen dazu zwei Leitanträge vor.
Ich halte sie in der Sache für gut und wichtig.
 
Aber das reicht nicht, finde ich.
Wir brauchen in der Gesamtpartei eine neue strategische und eine neue programmatische Debatte mit dem Ziel einer 3. Erneuerung.

7. 

Zur Erinnerung:
 
Die erste Erneuerung war der tiefe Bruch mit dem Stalinismus als System.
Heraus kam eine Partei des Demokratischen Sozialismus, kurz PDS.
Es war eine Ost-Partei mit West-Auslegern.
 
Ihr messbarer Höhepunkt war die Bundestagswahl 1998.
Damals wurde die PDS erstmals in Fraktionsstärke in den Bundestag gewählt. Und das, obwohl die allgemeine Wechselstimmung auf Rot-Grün hinaus lief.
Die Älteren erinnern sich sicher an die „Erfurter Erklärung“ dazu.
 
Von da an ging es bergab. Trauriger Tiefpunkt war die Wahl 2002.
Die PDS flog als Partei aus dem Bundestag.
 
Die zweite Erneuerung folgte 2005 bis 2007.
Erst gab es eine Fraktion, später die Partei DIE LINKE.
PDS, WASG und weitere parteilose Linke hatten sich gemeinsam auf den Weg gemacht. Die neue LINKE war eine gesamtdeutsche Protestpartei, markant gegen „Hartz IV“ und die ganze rot-grüne „Agenda 2010“.
 
Höhepunkt war die Bundestagswahl 2012, von da an ging es wieder bergab. Daran ändert auch das respektable Bundestagsergebnis in diesem Jahr nichts.
 
Insgesamt erleben wir einen gesellschaftlichen Rechtsruck und so müssen auch wir uns fragen, was das mit uns zu tun hat.
 
Deshalb mein Plädoyer für eine 3. Erneuerung, hin zu einer gesamtdeutschen und europäischen Zukunftspartei.
Darüber ist zu diskutieren, wann, wenn nicht jetzt.

8. 

Zu den strategischen Fragen will ich nur eine umreißen. Es gibt mehr:
Was setzen wir dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegen?
 
Er kam übrigens mitnichten überraschend. 2011 stellten Prof. Heitmeyer und sein Team die Ergebnisse einer Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ vor.
Das war am 11. 11., also genau vor sechs Jahren. Ein Datum zum Merken, denn am selben Tag begann im Bundesamt für Verfassungsschutz die Aktion „Konfetti“. Die Schredder wurden angeschmissen und Akten mit Bezug zur NSU-Nazi-Mord-Serie vernichtet.
 
Wie wir inzwischen wissen, mit Vorsatz, damit parlamentarische Untersuchungsausschüsse sie nicht zu sehen bekommen. Der dafür zuständige Abteilungsleiter wurde dafür übrigens nie zur Verantwortung gezogen. Inzwischen ist seine Straftat allerdings verjährt.
 
Zurück zu Heitmeyer & Co.: Ihr Fazit 2011:
Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz.
Genau das erleben wir seit drei, vier Jahren im Alltag.
 
Als Ursachen für diese Entwicklung benannten Heitmeyer & Co. damals:
Das Soziale, also das Gesellschaftliche, wird ökonomisiert, die Demokratie wird entleert. Politdeutsch nennt man das Neoliberalismus.
 
Nahe liegend müsste DIE LINKE folglich gegen alle Parteien agieren, die neoliberal unterwegs sind: CDU/CSU, SPD, FDP, AfD, auch Bündnis 90/Die Grünen, also wir gegen alle.
 
Dem gegenüber steht eine furchtbare historische Lehre.
Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren.
Was aktuell bedeuten würde: DIE LINKE als Teil gesellschaftlicher Bündnisse, die neoliberale Parteien einschließt, sofern sie demokratisch unterwegs sind.
 
Ich will hier gar keine Antwort versuchen, sondern nur die widersprüchliche Frage aufwerfen. Wir können uns nicht länger um Antworten herummogeln.

9. 

Nun noch eine Bemerkung zur programmatischen Debatte. Ein Stichwort habe ich bereits benannt: „Digitalisierung“!
 
Prognosen sagen: Sie wird alles Herkömmliche umkrempeln.
Ob zum Guten oder zum Schlechten, das ist
a) Ansichtssache und
b) eine Frage der politischen Gestaltung.
 
In vielen Landes-, Bezirks- oder Kreisverbänden der LINKEN befassen sich längst Arbeitsgruppen mit dieser Herausforderung.
Nur in der LINKEN insgesamt ist sie noch nicht angekommen, weder in der Bundespartei, noch in der Bundestagsfraktion.
 
Wenn wir das nicht schnellstens ändern, dann hängen wir uns selbst von gesellschaftlichen Entwicklungen ab, die mit oder ohne uns längst rasant laufen.
 
Das kann keine moderne LINKE wollen, schon gar keine, die auch im 21. Jahrhundert mit und bei Karl Marx ist.
 
Für ihn waren gravierende Veränderungen bei den Produktivkräften die entscheidende Basis für revolutionäre gesellschaftliche Umbrüche.
 
Deshalb mein Plädoyer:
Ehren wir ihn zu seinem 200. Geburtstag, indem wir uns nutzen und DIE LINKE zu einer anziehenden Zukunftspartei erneuern.
 
 

 

 

11.11.2017
www.petra-pau.de

 

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