Militärische Stärke oder politische Vernunft

Rede auf der Ostee-Friedenskonferenz am 27. März 2004 in Rostock

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1. 

Vor einiger Zeit bekam ich eine e-mail von Gerry Woop. Er sprach ja heute Vormittag über die verteidigungspolitischen Richtlinien der BRD im europäischen Kontext.
 
Sinngemäß riet mir Gerry Wopp in der e-mail, ich solle nicht zu dick auftragen. Anlass war ein Pressegespräch der PDS im Bundestag. Dabei hatte ich unter anderem erklärt (Zitat):
 
„In der Krieg-Frieden-Frage erlebe ich im Bundestag drei Trends:
a) die Normalisierung des Militärischen;
b) die Entdemokratisierung des Politischen;
c) die Veräußerung der Verantwortung.“ (Ende des Zitats)
 
Ich bleibe bei dieser Zusammenfassung. Zum einen, damit wir nachher trefflich streiten können. Zum zweiten, weil das meine Erfahrungen aus nunmehr 5 ½ Jahren Bundestag sind.

2. 

Nun will ich nicht nur behaupten, sondern meine Thesen auch begründen.
 
Als ich 1998 in den Bundestag kam, da waren Auslands-Einsätze der Bundeswehr noch die absolute Ausnahme. Der große Sündenfall, der so genannte Kosovo-Krieg, stand noch bevor.
 
Seither habe ich an über 30 Debatten über die Nato und die Bundeswehr teilgenommen. 29 Mal musste ich über Auslands-Einsätze abstimmen. Wir haben jeweils „Nein“ gesagt, als einzige Partei.
 
Die Zahlen zeigen vor allem: Auslandseinsätze der Bundeswehr sind längst keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Daraus macht inzwischen auch niemand mehr ein Hehl. Und die Medien drucken längst keine Balken mehr. Genau das meine ich mit meiner ersten These von der „Normalisierung des Militärischen“.

3. 

In These 2 sprach ich von einer Entdemokratisierung des Politischen.
 
Verteidigungs-Minister Struck hat sich vorigen Herbst bei mir beschwert, ich hätte ihm Verfassungsbruch vorgeworfen. Das - so Struck - sei doch falsch und ungerecht.
 
Der Hintergrund war Folgender: Ein Voraustrupp der Bundeswehr wurde ins Ausland geschickt, ohne Bundestags-Mandat. Das habe ich als Bruch der Verfassung kritisiert.
 
Aber - meinte Struck - er habe doch die Fraktionsvorsitzenden vorab in einem Brief informiert. Ich gab zurück, das ersetze weder eine offizielle Debatte noch einen offiziellen Beschluss.
 
Die Episode wäre klein, gäbe es nicht eine weitergehende Debatte über ein Entsende-Gesetz. Bislang entscheidet der Bundestag in seiner ganzen Größe und Schönheit über Militär-Einsätze. Das neue Gesetz soll das Verfahren erleichtern und beschleunigen.
 
Zum Beispiel dadurch, dass die Entsende-Entscheidung in einen Ausschuss delegiert wird oder an die Runde der Fraktionsvorsitzenden. So oder so, es wäre eine Entmachtung des Bundestages und es wäre eine Entdemokratisierung des Politischen. Auch deshalb bin ich dagegen.
 
(Am Donnerstag wurde nun übrigens in erster Lesung über einen Koalitionsentwurf zum Entsendegesetz im Bundestag beraten und Gesine und ich fanden genau den kritisierten Erkundungsfall, als zukünftigen Einsatz minderer Bedeutung im Text. Also gesteht die Koalition zu, dass bisherige Einsätze dieser Art in das Plenum des Bundestages gehört hätten)

4. 

Ich komme zu meiner dritten These: Es gibt immer mehr Auslandseinsätze unter Berufung auf die NATO oder andere Organisationen. Da Deutschland Mitglied der NATO ist, heißt es, sei die Bundesregierung auch an entsprechende Aufträge gebunden.
 
Das ist aber falsch: Weder ein NATO-Beschluss, noch ein EU-Begehren setzen das Grundgesetz und sein Friedens-Gebot außer Kraft. Selbst ein UNO-Mandat ist kein Freibrief.
 
Es wird aber so getan. Das meine ich mit „Veräußerung der Verantwortung“. Auch dieser Tendenz ist zu wehren.

5. 

Ein zweifelhafter Höhepunkt im Bundestag war für mich die Abstimmung über den Einsatz in Afghanistan am 07. 11. 2002. Sie werden sich vielleicht daran erinnern. Denn Bundeskanzler Schröder hatte sie an eine Vertrauensfrage gekoppelt.
 
Das führte zu einer schizophrenen Situation. Die CDU/CSU hatte keinerlei Probleme mit dem Militäreinsatz, stimmten aber mit Nein, weil sie gegen Rot-Grün sein mussten.
 
Grüne Frauen wiederum führten nach der gewonnenen Abstimmung regelrechte Freudentänze auf, so als hätten sie nicht gerade die Bundeswehr in Marsch gesetzt.
 
Damit die Kanzler-Mehrheit reicht, durften damals nur wenige Abgeordnete aus den eigenen Reihen dagegen stimmen. Also losten die so genannten Abweichler unter sich aus, wer Nein sagen durfte. Ihr Veto wurde zum Dreier-Lotto ohne Zusatz-Zahl. Der grüne Vorzeige-Linke aus Berlin, Christian Ströbele, hatte Los-Glück.

6. 

Auch daher eine 4. These: In wesentlichen, grundsätzlichen Fragen spiegeln die Mehrheiten im Bundestag nicht die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung. Das ist bei den so genannten Sozial-Reformen so. Das trifft auch auf die Krieg-Friedens-Frage zu.
 
Gerade rund um den Krieg der USA gegen den Irak wurde das überdeutlich. Zumal er zugleich gegen die UNO geführt wurde und wird. Hierzulande und weltweit gab es Proteste dagegen. Repräsentative Umfragen (s. Dietmar Wittich) belegen dasselbe.
 
Das spricht zumindest dagegen, dass Krieg ohne Widerspruch wieder als Fortsetzung der Politik akzeptiert wird. Es gibt eine spürbare Differenz zwischen der allgemeinen Gesellschaft und der offiziellen Politik.

7. 

Die PDS ist inzwischen die einzige relevante Partei in Deutschland, die Militäreinsätze im Ausland grundsätzlich ablehnt.
 
Das ist ein guter Konsens, aber es ist kein starker. Er ist deshalb schwach, weil die PDS seit ihrem Parteitag in Münster anno 1999 nahezu alle Debatten in der Sache ablehnt. Sie lässt keine Zweifel zu und sie lässt genau dadurch an sich zweifeln. Das ist ein Problem.
 
Im vergangenen Sommer gab es Schlagzeilen rund um den Kongo. Dort wüteten Kriege, auch Kinder-Kriege, mit unermesslichem Leid. Und so stand die Frage, ob die UNO eingreifen soll und mit ihr die Bundeswehr - letztere übrigens mit Sanitär-Zügen außerhalb des Kriegs-Gebietes.
 
Wir - die PDS im Bundestag - konnten uns nicht um eine Entscheidung herumdrücken und wir waren un-entschieden. Wir suchten Rat.
 
Ich will hier gar nicht die unterstellenden, böswilligen e-mails zitieren, die uns daraufhin erreichten. Die gut meinenden lauteten etwa so: „Wir verstehen Euch. Aber um Himmelswillen, bringt uns die Partei nicht vor dem außerordentlichen Parteitag durcheinander.“
 
Das ist ein typisches PDS-Syndrom: Die Partei tickt nach ihrer Binnen-Uhr. Gesellschaftliche Kontroversen kommen fast immer zur Unzeit.

8. 

Mit diesem Beispiel komme ich zu einem inhaltlichen Problem, das Verhältnis zur UNO. Ich behaupte, die PDS hat ihr Verhältnis zur UNO nie gründlich geklärt.
 
Die UNO war eine Antwort auf den 2. Welt-Krieg und sie ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Sie wird immer wichtiger und zugleich wird sie bedroht und ignoriert. Sie wird von Veto-Mächten missbraucht und sie wird zugleich gebraucht. Die Aufzählung der Widersprüche ließe sich verlängern.
 
Es mangelt auch nicht an Beschreibungen, wie sich Linke eine schöne UNO in einer guten Welt vorstellen könnten. Aber die Verhältnisse sind nicht so, würde Bertolt Brecht sagen. Und immer wenn das so ist, streiten Linke gern miteinander, statt über reale Verhältnisse.
 
Das war ein kurzer Ausflug ins Innenleben der PDS. Jedenfalls so, wie ich es aus Bundestags-Sicht erlebe.

9. 

Die Militarisierung der Außenpolitik hat eine Entsprechung im Inneren. Wir kennen Berichte aus den USA, wo Bürgerrechte en Gros ausgehebelt werden.
 
Wir erleben dasselbe aber auch hierzulande. Es ist ein zu weites Feld, um es hier auszubreiten. Deshalb will ich hier nur Stichpunkte anführen.
 
Dieser Tage las ich ein Interview mit dem Minister-Präsidenten von Sachsen, Milbradt. Er wurde vom Rheinischen Merkur (25. 03. 2004) gefragt: „Wo liegen die Grenzen zum Überwachungsstaat?“
 
Seine Antwort: „Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir eine extensive Interpretation der Bürgerrechte vornehmen, was auch Verbrechern zugute kommt? Oder wollen wir das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit neu justieren? Ich plädiere für Letzteres.“
 
Ich stelle hier nur Fragen:
Was ist eine extensive Interpretation der Bürgerrechte?
Worin besteht das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit?
Und welche Sicherheit wiegt schwerer, als wessen Freiheit?
 
Tatsache ist: Es werden immer mehr Bürgerrechte abgebaut. Ich habe im Bundestag in einer EU-Debatte gefragt:
„Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass sie namens der EU-Ost-Erweiterung all das fordern, was sie früher am Osten verdammt haben?“
 
Geheimdienste werden heilig gesprochen. Der Datenschutz wird verpönt. Der Rechtstaat wird ausgehöhlt und die Verfassung wird bis ins Gegenteil überdehnt. Deshalb wiederhole ich: Die PDS muss sich als moderne, sozialistische Bürgerrechts-Partei beweisen - gerade in Zeiten, wo andere Bürgerrechte als Ballast abwerfen.

10. 

Ich will meinen Beitrag mit einer aktuellen Episode und mit einem Dank an Joschka Fischer beenden. Diesen Donnerstag hat Bundes-Kanzler Schröder eine Regierungs-Erklärung abgeliefert. Ich habe für die PDS im Bundestag geantwortet - gegen seine „Agenda 2010“.
 
Als ich sprach, wechselte Außenminister Fischer von der Regierungs- auf die Abgeordneten-Bank. Das hat den Vorteil, er darf von dort dazwischen rufen und pöbeln.
 
Im offiziellen Protokoll ist daher festgehalten:
Petra Pau: „Sie kennen meine grundsätzliche Kritik an der zunehmenden Militarisierung der Politik. In der künftigen EU-Verfassung wurde sie sogar als Pflicht festgeschrieben.“
 
Zwischenruf Joschka Fischer: „So ist es!“
 
Das war Klar-Text.
Es war keine Unterwerfung unter Bush und Co. Aber es war derselbe Geist.
 
Deshalb mein Resümee: Ein Gespenst geht um, auch und wieder in Europa. Es heißt nicht Kommunismus und es verheißt nichts Gutes. Es geht letztlich um militärische Stärke oder politische Vernunft.
 
Die PDS im Bundestag - zwei Frauen gegen vier Fraktionen - wird weiter für politische Lösungen und gegen militärische Mächte streiten.
 

 

 

27.3.2004
www.petra-pau.de

 

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