Projekt 04-06: der Wahlkampf hat begonnen

Rede von Petra Pau (MdB) auf dem Landesparteitag der PDS Bremen
Bremen, 4. Dezember 2004

1. 

Wir hatten im Bundestag zwei Sitzungswochen hintereinander. Und da die PDS ja gerne über strategische Dreiecke redet, rufe ich drei praktische Eck-Meldungen aus diesen 14 Tagen auf, sie fügen sich allein.
 
Meldung 1: Am 21. 11. 2004 einigten sich die Verteidigungsminister der EU-Staaten auf die Bildung von 13 mobilen Kampftruppen, so genannte Battle Groups. Sie sollen binnen zehn Tagen weltweit eingreifen können, ab 2005, und bis 2010 insgesamt 60.000 Mann umfassen.
Meldung 2: Am 02. 12. 2004 bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages auf einer Sondersitzung rund 1 Mrd. € für die Umrüstung der Bundeswehr. Insbesondere ging es um den Eurofighter und um einen neuen Schützenpanzer namens „Puma“.
Meldung 3: Am 03. 12. 2004, also gestern, beschloss der Bundestag mit den Stimmen der SPD und der Grünen ein „Entsendegesetz“. Im Kern geht es darum, dass die Bundeswehr beschleunigt in Marsch gesetzt werden kann und der Bundestag nur noch in Ausnahmen zustimmen muss.
 
Dazu noch ein Satz mehr. Praktisch kann die Bundesregierung nunmehr eigenständig Auslandeinsätze beschließen und verlängern. Der Bundestag hat das Recht, einen Rückholbeschluss zu fassen. Vorausgesetzt, 5 Prozent aller Abgeordneten beantragen überhaupt eine Debatte.
Das aber wird kaum der Fall sein Die Auslandseinsätze werden zunehmen, sie werden beschleunigt und sie werden der Öffentlichkeit entzogen. Und wir beide, die PDS im Bundestag, sind zahlenmäßig 6 Promille und keine 5 Prozent.
Wenn also noch irgendjemand ein Motiv braucht, warum die PDS 2006 wieder mit Fraktionsstärke in den Bundestag muss. Hier ist es. Denn ohne eine starke PDS verschwindet nicht nur der „Osten“ aus dem Bundestag. Auch der Friede wird verwaist.

2. 

Es gab ein zweites großes Thema. Es berührt den inneren Frieden und es wurde heiß debattiert. Die CDU/CSU hatten einen Antrag mit dem doppelzüngigen Titel eingebracht: „Politischen Islamismus bekämpfen - verfassungstreue Muslime unterstützen!“
Dann begann das übliche Spiel: CDU und CSU wollten innenpolitisch aufrüsten, weitere Bürgerrechte und den Datenschutz abbauen. Sie erklärten Multikulti für eine gescheiterte Vision, für gefährliche zudem. Sie forderten einen EU-Islam. Und sie kreierten erneut eine deutsche Leitkultur, an die sich jede und jeder zu halten haben.
 
Ich will die Debatte hier gar nicht im Einzelnen wiedergeben. Ihr könnt das alles nachlesen, auch meine Rede. Übrigens auch ganz bequem und aktuell, indem ihr über www.petrapau.de meinen Newsletter bestellt.
Aber auch diese Debatte war kein Einzelfall. Wir erleben seit Wochen, wie das Klima im Inneren vergiftet wird, wie drei Millionen Muslime peu à peu abgestempelt werden - und nicht nur sie.
 
Damit komme ich - ganz geschickt - von Köln über Berlin in die Lausitz, und von dort nach Bremen und Bayern. In Köln haben Tausende Muslime für ein gewaltfreies Zusammenleben demonstriert. Die deutsche Polit-Prominenz reihte sich am Kundgebungs-Mikro. Auch der Bayerische Innenminister Beckstein. Er bemühte die deutsche Leitkultur und er sagte: „Ich will nicht, dass in Deutschland eines Tages zweisprachige Orts-Schilder stehen.“
 
Ich finde: So kurzsichtig darf nicht einmal ein Bayerischer Minister sein. Denn es gibt zweisprachige Ortschilder, seit Jahrzehnten. In Sachsen und in Brandenburg, überall dort, wo von altersher Sorbinnen und Sorben leben, mit ihrer slawischen Sprache und Kultur. Deshalb haben wir im Bundestag von Rot-grün gefordert, die Mittel für die sorbische Stiftung nicht zu kürzen. Und ich habe der CSU gesagt: Die Sorben gehören zur deutschen Kultur, wie der Kirchgang in Bayern und das Boßeln in Bremen.

3. 

Mein Projekt - ihr kennt es - heißt „04-06“. 2004: Wiederwahl ins EU-Parlament. Das haben wir gemeinsam geschafft. 2006: Wahl in den Bundestag, als gestärkte Fraktion. Das haben wir gemeinsam noch vor uns. Was also tun? - Ich finde vor allem: nicht Klagen, sondern kämpfen!
Mein Credo ist: Politik, Politik, Politik und immer an die Menschen denken. Deshalb finde ich auch Debatten langweilig, die im so genannten strategischen Dreieck der PDS verharren. Das interessiert im wirklichen Leben niemanden: keinen Arbeitslosen, keinen Handwerker ohne Aufträge, keinen Jugendlichen auf Leerstellensuche, keine Rentner beim Zahlen der Praxisgebühr.
Wo wir auch hinkommen - und wir reisen als PDS im Bundestag viel durch die Lande - ist der Verdruss über die Politik groß. Der Frust wächst. Die einen treibt das in die Resignation, sie werden Nichtwähler. Andere entscheiden sich für alte und neue Nazis, sie wählen rechtsextrem.

4. 

Ihr kennt die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg. Sie sind kein Strohfeuer und wir diskutieren darüber, wie wir der NPD bzw. der DVU am wirksamsten begegnen können. Das ist wichtig. Rechtsextreme Haltungen gibt es aber nicht nur in den Landtagen, sie giften im Alltag. Und sie finden oft dort Gehör, wo der Frust wächst und die Hoffnung schwindet. Genau da liegt unsere Herausforderung. Es reicht also nicht, den Frust aufzugreifen und zu bestärken. Wir müssen Auswege zeigen, Hoffnung geben, Alternativen bieten.
 
Ich beschreibe es mal bildlich. Wir haben gemeinsam gegen „Hartz IV“ gekämpft. Das war ein Markenzeichen der PDS: Auf der Straße, in Parlamenten, in Regierungen. Wir haben demonstriert und Plakate geklebt: „Hartz IV - weg damit!“ Dieselben Sprüche haben Nazis übernommen. Sie haben uns gemein gemacht. Ich habe es selbst erlebt, in den neuen und alten Bundesländern. Rechtsextreme kamen zu PDS-Veranstaltungen, sie schrieben mit und tags darauf erschienen unsere Proteste wörtlich auf ihren Flugblättern.

5. 

Deshalb müssen auch wir nachdenken. Denn „Hartz IV - weg damit!“ reicht eben nicht. So ein Slogan bedient den Frust, nicht die Hoffnung. Und er macht uns schwer unterscheidbar von einer NPD, die sozialen Frust mit rassistischen und nationalistischen Parolen mixt.
Ich habe an vielen Montags-Demos teilgenommen und auf etlichen gesprochen. Dabei brauchte ich niemanden davon überzeugen, dass „Hartz IV“ schlecht ist. Das wussten alle, die gekommen waren. Sonst wären sie ja nicht gekommen.
 
Gefragt waren politische Alternativen zur herrschenden Politik - zum Beispiel unsere „Agenda sozial“, unterfüttert durch ein alternatives Steuerkonzept, durch eine solidarische Grundsicherung und durch ein gerechteres Rentenmodell. Deshalb müssen sie mehr denn je unser Thema sein, nach Innen und Außen.

6. 

Wir dürfen uns aber auch nicht selbst belügen. Alle drei Konzepte sind das, was man im Staatsapparat einen Referenten-Entwurf nennt. Sie sind nicht beschlossen und sie sind auch noch nicht schlüssig. Auch deshalb werbe ich dafür, dass wir uns auf diese Fragen konzentrieren.
 
Ich habe zum Beispiel wenig Lust, auf dem nächsten Bundesparteitag allgemein über die Rolle und Bedeutung der Kommunal-Politik zu reden. Das ist überhaupt keine Geringschätzung der Kommunalpolitik - im Gegenteil. Denn auch unsere Kommunalvertreterinnen und -vertreter brauchen dringend bundespolitische Alternativen.

7. 

Bitte erinnert euch an die vergeigte Bundestagswahl 2002. Es gibt ja viele Theorien, warum sie für uns schief ging, auch manche Legenden. Ich greife auf einen Fakt zurück. Damals hatten wir in nahezu allen Umfragen hohe Image-Werte, allemal wenn es um soziale Gerechtigkeit ging oder um den Osten. Aber wir hatten absolut niedrige Kompetenz-Werte, zum Beispiel wenn es um Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- oder Steuer-Politik ging. Wir waren offenbar in den Augen vieler gut fürs Gute, aber schlecht fürs Wahre.
 
Diese Schere - zwischen Image und Gebrauchswert - müssen wir überzeugender schließen, politisch und öffentlich. Das ist alle Mühen wert, miteinander. Und dafür werbe ich. Und nicht nur nebenbei gesagt: Die innerparteilich viel gescholtene Berliner PDS hat gemeinsam mit der Wirtschaft eine Initiative für mehr Beschäftigung initiiert. Nach schlimmen Jahren der Überschuldung, ist der Landeshaushalt erstmals ausgeglichen. Und Berlin ist das einzige Ost-Land, wo die Arbeitslosigkeit derzeit nicht zu, sondern abnimmt. Ob das gut wird und nachhaltig ist, das muss sich zeigen. Aber eines zeigt sich schon: Die Berliner PDS wird in der historischen Ost-West-Stadt immer weniger ideologisch gemessen, sie entfaltet praktische Kompetenz.

8. 

Im Mittelpunkt des PDS-Wahlkampfes muss natürlich die soziale Frage stehen. Ich habe mehrfach betont: „Hartz IV“, die gesamte "Agenda 2010" ist der Gegenentwurf zu einem modernen sozialen Bürgerrechtsstaat. Wobei die rot-grüne Agenda zugleich ein Plagiat vom Zukunftsentwurf der CDU/CSU ist. Das dürfen wir bei unseren politischen Auseinandersetzungen nicht vergessen.
 
Die wirkliche Auseinandersetzung findet aber nicht im Papierstreit mit den konkurrierenden Parteien statt. Sie geht um die Herzen und Hirne der Menschen. Ein klassenkämpferisches Flugblatt ist flink geschrieben. Der Sozi ist schnell beschimpft, die CSU flugs verdammt. Wichtiger ist die Frage: Was bringt's - kurzfristigen Beifall bei Betroffenen oder Anklang bei Mehrheiten, die einen Politikwechsel fordern.

9. 

Gesine und ich, wir streiten im Bundestag oft 4:2 - vier Fraktionen gegen zwei Frauen. Wir kümmern uns um unsere Berliner Wahlkreise, wo wir direkt gewählt wurden. Übrigens mit mehr 1.-Stimmen, als Angela Merkel oder Guido Westerwelle. Aber wir verstehen uns bewusst immer auch als PDS im Bundestag. Und als Botschafterinnen der PDS reisen wir kreuz und quer durch die Lande, nach Süden, nach Norden, nach Osten und Westen. Wir können zwar keine Fraktion ersetzen, aber die Mühen zahlen sich aus. Wir merken es auch an den e-mails, die wir erhalten, nach Bundestagsreden oder nach Veranstaltungen Vor-Ort.
 
Zuweilen bekomme ich auch Protest-Post. „Warum jammern sie über den Osten? Meinen Sie uns West-Arbeitslosen geht es besser?“ Die Absender rennen offene Türen ein. Es sind SPD- und CDU-Politiker, die einen Ost-West-Konflikt neu schüren. Auch die FDP stellt den gemeinsamen „Solidaritätsbeitrag“ erneut in Frage. Das alles ist kreuzgefährlich, nicht nur psychologisch, sondern auch sozial. Deshalb warne ich vor jeder Versuchung, die sozialen Gebrechen in Ost gegen West oder umgedreht zu verkehren. Das sage ich auf jeder Ost-Demo und bei jedem West-Auftritt. Die PDS muss sich als Partei der sozialen Einheit bewähren.

10. 

Ich werde mich demnächst auf NRW konzentrieren, wo die PDS zur Landtagswahl antreten wird. Das wird schwierig genug und das Ergebnis wird Trends setzen. Genauso gerne bin ich aber erneut zu Euch, nach Bremen gekommen. Diesmal nicht zum Boßeln.
Für die Einladung heute danke ich. Ich las sie in eurer PDS-Zeitung, was zeigt: Bremer Blättchen werden auch in der Hauptstadt gelesen. Und ich biete an: Auch in Berlin gibt es inzwischen Telefone. Ich bin also rufbar.
Wichtiger ist: Es geht um die entscheidende Phase im „Projekt 04-06“. Der Bundstagswahlkampf hat längst begonnen. Wir müssen ihn miteinander gewinnen: Wegen der sozialen Frage, wegen des äußeren Friedens, wegen des inneren Friedens und nicht zuletzt für die PDS!
 

 

 

4.12.2004
www.petra-pau.de

 

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