Gründungstreffen des Netzwerkes Reformlinke in und bei der PDS

Berlin, 16. Februar 2003
Rede von Katina Schubert

Viele tausend Menschen haben gestern hier und in vielen anderen Städten rund um den Globus gegen einen Krieg in Irak demonstriert. Wir waren dabei, und zwar die gesamte PDS, unabhängig davon, welcher Strömung oder Denkart wir angehören. Das ist gut, und es ist auch gut, dass die PDS die Bundesregierung beharrlich daran erinnert, dass ihr ein Angriffskrieg verfassungsrechtlich verboten ist, auch die Unterstützung eines Angriffskriegs.

Mit den anderen Demonstrantinnen und Demonstranten haben wir gestern auch dafür demonstriert, dass eine andere Welt möglich ist - eine, die die imperialen Weltmachtansprüche der US-Regierung überwindet, eine, die der Globalisierung von Ungleichheit, von himmelschreiender Ungerechtigkeit Einhalt gebietet und auf sozialen Ausgleich, Demokratie und Freiheit für alle Menschen setzt.

Eine andere Welt ist möglich, in der Terror nicht mit Krieg, sondern mit Politik und wo nötig auch mit polizeilichen Mitteln bekämpft wird. „Wir sind viele, sie sind wenige. Sie brauchen uns mehr als wir sie“ rief Arundhati Roy neulich in Porto Allegre auf dem Weltsozialgipfel aus und richtete sich damit an die Kriegstreiber und die Globalisierungsfetischisten und rief dazu auf, das Imperium zu zermürben, zu verspotten, zu beschämen.

Das ist das vornehme Recht sozialer und politischer Bewegungen und es ist ein wirksames Mittel, politisch einzugreifen.
Demokratische politische Parteien - und als solche begreift sich die PDS - müssen auch anderes, meist Schwereres können. Sie müssen auf allen Ebenen politischen und staatlichen Handelns mit konkreten, zeitnahen und überzeugenden Alternativen intervenieren oder das wenigstens wollen.

Um das zu können, brauchen wir programmatische und strategische Klarheit. Und die gesamte Partei muss auch wieder organisatorisch handlungsfähig werden.

Das alles hat die PDS zur Zeit nicht.

Die Wahlniederlage vom 22. September hat das den letzten Zweiflerinnen und Zweiflern deutlich gemacht.

Der Geraer Parteitag hat keine Abhilfe verschafft - im Gegenteil. Der amtierende Parteivorstand hat diesen Eindruck eher verschärft, denn entkräftet. Die PDS befindet sich in einem tiefen Loch, sowohl was die öffentliche Wahrnehmung als auch was die Fähigkeit zur politischen Intervention auf Bundesebene anbetrifft.

Die Bundestagswahl ist nicht unsere letzte verlorene Wahl. Wir haben vor zwei Wochen in Niedersachsen eine ganz bittere Niederlage hinnehmen müssen. 0,5 % der Stimmen, Schill hatte fast doppelt so viel.

Das ist nicht nur ein lokales Ereignis. Selbst gegenüber der verlorenen Bundestagswahl hat sich der Stimmenanteil der PDS noch mal mehr als halbiert. Die Genossinnen und Genossen aus Niedersachsen werden dazu sicher noch später sprechen.
Aber eines ist doch deutlich geworden: Wir sind im Westen nicht nur noch nicht angekommen. Wir sind möglicherweise schon wieder auf dem Abmarsch - ob nur in den Osten oder ins Nirvana, wird sich erweisen.

Schon in drei Monaten müssen wir in Bremen zeigen, dass wir diesen Weg ins politische Aus verlassen haben, dass wir uns auf der politischen Bühne zurückmelden. Was die Reformlinken als Unterstützung für die Bremer Genossinnen und Genossen leisten können, werden sie tun. Aber das reicht natürlich nicht aus. In der Öffentlichkeit muss das Signal ankommen, dass die PDS politisch wieder das ist, und zwar auf allen Ebenen.

Das Debakel von Niedersachsen ist auch ein Ergebnis von Gera und den sich anschließenden innerparteilichen Kräfteverschiebungen zugunsten einer strukturkonservativen Traditionslinken im Westen.

Folgt man unserem baden-württembergischen Genossen Winfried Wolf, versammeln sich hier heute die "Mächte der Finsternis", die Parteirechten, die von Gregor Gysi bis Gabi Zimmer reichen sollen. Alleine mit diesen Bezeichnungen diskreditieren sich Winfried Wolf und mit ihm sein Geraer Dialog als politisch ernst zu nehmende Partnerinnen und Partner.
Es gibt in diesem Land Rechte und Rechtsextreme. Sie sind eine Bedrohung für sehr viele Menschen, für Flüchtlinge, für Migrantinnen, Obdachlose, Homosexuelle. Sie sind eine Bedrohung für die Demokratie. Wer die Reformlinken in und bei der PDS als „Rechte“ bezeichnet, zeigt nur eines: Diese Mitglieder der Partei haben jeden Bezug zur gesellschaftlichen Realität verloren.
Und so werden sie von der Gesellschaft auch wahrgenommen: jeder Taubenzüchterverein in Schalke oder sonst wo in der Republik hat mehr gesellschaftliche Kompetenz als dieser innerparteiliche Zusammenschluss, der sich auch noch darauf beruft, die Geraer Mehrheit zu repräsentieren. Aber aus der innerparteilichen Perspektive betrachtet müssen wir uns mit solchen Sprüchen auseinandersetzen, und zwar vor allem deswegen, weil diese Strömung entscheidenden Anteil daran hatte, dass der Geraer Parteitag für die PDS zum Fiasko wurde.
Auf der innerparteilichen Ebene ist es für uns Reformlinke deshalb notwendig, das „Zentrum“ um Gabi Zimmer und Peter Porsch zu fragen, ob das Zweckbündnis vom Geraer Parteitag weiter Bestand haben soll. Der sogenannte Geraer Dialog und die ihm nahestehenden Plattformen verfolgen eine gesellschaftlich betrachtet völlig isolationistische Strategie. Wir meinen jedenfalls: Sollen sie sich isolieren, aber bitte ohne die PDS auch im Abseits fest zu mauern.

Nicht nur im Westen, auch in Ostdeutschland hat sich der in Gera eingeschlagene Kurs nicht als realitätstauglich erwiesen.
Sozialdemokratisch oder sozialistisch - das sollte das Scheidepunkt sein bei der Frage, ob wir die Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern fortsetzen.

Die beiden rot-roten Koalitionen wurden in Gera direkt und indirekt in Frage gestellt. Das ist an sich ja nichts schlimmes. Im Gegenteil: undogmatische Denkweisen haben es an sich, immer wieder in Frage zu stellen und zu überprüfen, ob das politische Handeln noch richtig ist. Aber darum ging es in Gera nicht.
Nur wenige Tage nach dem Parteitag stellte sich heraus, dass die Koalitionen weiter laufen werden, aber nicht weil sie plötzlich sozialistischer waren. Sondern weil völlig klar war, dass wir uns gesellschaftlich und politisch zum Löffel machen, wenn die PDS die Regierungsbündnisse unter diesen Bedingungen aufkündigt. Als hätten wir nicht vorher gewusst, dass eine Wahlperiode nicht reicht, um den demokratischen Sozialismus auszurufen.

Und mit der Drohung, im Falle einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg sofort aus den Koalitionen auszusteigen, haben sich Bundesvorstandsmitglieder auf ganzer Linie blamiert. Gerade in der Irakfrage war und ist es unsere verdammte friedenspolitische Pflicht, alles was wir an Einfluss haben, zu nutzen, um diesen Krieg zu verhindern. So haben die Genossinnen und Genossen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ja auch entschieden.

Um manche Missverständnisse auszuräumen oder um denselben zuvorzukommen: Es kann uns als Netzwerk Reformlinke nicht darum gehen, einfach das Zeitrad zurückzudrehen und zu den Verhältnissen von vor Gera zurück zu kehren.
In Gera hat sich ein Bündnis zusammengefunden, um Teile der alten Führung abzustrafen, ohne wirkliche Diskussion der Gründe für die Wahlniederlage. Und das zum Teil in einer Art und Weise, die jenseits des Akzeptablen liegt. Wir werden weiterhin die Auffassung vertreten, dass es nicht nur Gregor Gysi oder André Brie, sondern genauso Leute wie Dietmar Bartsch, Petra Pau und andere waren, die die PDS aus tiefsten Tiefen gezogen haben, als es schon fast aus war.
Wir wollen auch in Zukunft mit ihnen gemeinsam Politik in und für die PDS gestalten. Es ist geradezu töricht zu glauben, mit dem Abstrafen einiger Sündenböcke seien unsere Probleme gelöst. Doch genauso ist es nicht möglich, die innerparteiliche Akzeptanz über Nacht wiederzugewinnen.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass andere Teile der Vor-Gera-Führung, von Gabi Zimmer über Peter Porsch bis zu Dieter Dehm, genauso zuständig für diese Fehler sind und sie sich mit dem Verweis auf andere einem Teil der eigenen Verantwortung entzogen haben. Auch mit Gabi Zimmer und Peter Porsch wollen wir weiter Politik machen, deswegen haben wir Gabi zu unserem Treffen eingeladen.

Mit dem Wegfall der Bundestagsfraktion ist der PDS nicht nur ein Kompetenzzentrum verschütt gegangen. Sie hat auch den strategischen Zugang zu politischer Intervention auf Bundesebene verloren.
Der einzige, der das neben unserer kleinen Rumpfgruppe im Bundestag ansatzweise auffangen könnte, ist der Bundesvorstand. Der ist aber zu wenig präsent.
Die Politik der PDS wird in den Landtagsfraktionen, den Landesvorständen und in den rot-roten Regierungen gemacht.
Es ist ja nichts gegen dezentrale Machtverteilung zu sagen, im Gegenteil. Aber damit bundesweit daraus was wahrnehm- und damit wirksames wird, bedarf es der Koordination. Diejenigen, die bündeln und zuspitzen müssten, sitzen im KL-Haus, aber der Vorstand kann es nicht ausreichend. Das ist ein Teil des heutigen PDS-Dramas.

Dabei war demokratischer Sozialismus schon lange nicht mehr so notwendig wie heute.

Und zwar ein demokratischer Sozialismus, der sich als transformatorischen Prozess begreift, der die Vision im Auge hat, aber Veränderungen und Verbesserungen im hier und jetzt erstreitet.

Warum ist demokratischer Sozialismus auch in Deutschland heute so notwendig?

Die Bundesrepublik steht an einem Scheideweg. Die in den vergangenen Jahrzehnten in der alten Republik etablierten etatistischen Regulierungssysteme greifen nicht mehr. Die zunehmende Globalisierung, der Zusammenbruch des realsozialistischen Weltsystems, die Deutsche Einheit haben gravierende Folgen für das herrschende Politik- und Gesellschaftsmodell: Die mit dem fordistischen Kapitalismus entstandene Lebensweise, die im wesentlichen auf Massenproduktion, Massenkonsum und materieller Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums fußt, funktioniert nicht mehr. Die Zahl der Arbeitslosen, die Krise der Solidarsysteme, der Staatsfinanzen, des Bildungssystems sprechen hier eine klare Sprache.
Die herrschende politische Klasse flüchtet in die marktliberale Deregulierung.
Große Teile der verbliebenen alten Gegenmächte pflegen anachronistische Verteilungsrituale, die immer größer werdende Bevölkerungsgruppen ausschließen. Und Teile der traditionellen Linken suchen ihr Heil in dem Versuch, die von einer brutalen Wirklichkeit gerichtete Leiche des Parteikommunismus aller Couleur wiederzubeleben.

Wenn Marx recht hat und Geschichte sich nicht wiederholt, dann sind zwei Gesellschaftsmodelle in ihrer bisherigen Funktionsweise nicht mehr zukunftsfähig. Das ist zum einen das bereits untergegangene System des Realsozialismus und das ist zum anderen das sozialdemokratische „Modell Deutschland“, das den Kapitalismus durch materielle Umverteilung von Wohlstand bändigt, die Sozialpartner - also Gewerkschaften und Unternehmerverbände möglichst eng einbindet, ansonsten den Unternehmen freien Raum lässt und über gemeinsame Feindbilder und eher repressive Innenpolitik gesellschaftlichen Konsens stiftet.

Was zur Zeit dominiert, ist die Straße zur vollständigen neoliberalen Deregulierung der sozialen Sicherungssysteme, des Arbeitsrechts, der wirtschaftlichen Beziehungen. Leitprinzip ist der möglichst hohe share-holder-value, der vermeintlich Aufschwung und Arbeit verspricht.
Nur die Sozialdemokraten haben vor allem in Wahlkampfzeiten immer mal wieder Anleihen beim alten deutschen Sozialstaatsmodell aufgenommen.

Was zur Zeit in der politischen Debatte und Praxis fehlt, ist ein neuer hier und heute praktizierbarer Handlungsansatz, der die Grundwerte von friedlicher Entwicklung, individueller Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität auf neue Weise miteinander verbindet.

Was fehlt ist ein Ansatz, der neue Verteilungsverhältnisse entwickelt, die die Mehrheit der Menschen akzeptiert und die der Globalisierung standhalten.
Das ist für uns der Grundansatz für demokratisch-sozialistische Politik in der Gegenwart. Für diesen Weg müssen wir neue Mehrheiten in der Bevölkerung gewinnen, neue demokratische Alternativen und Gegenkräfte zur marktliberalen Deregulierung entwickeln.

Jetzt, nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen steht die rot-grüne Bundesregierung vor einer Entscheidung: will sie die sozialstaatliche Straße endgültig verlassen will, um mit der schwarz-gelben Mehrheit in den Ländern und im Bundesrat gemeinsame Sache zu machen? Oder will sie einen eigenen Weg zu Krisenlösung beschreiten?
Die Union hat die Richtung schon vorgegeben: Radikaler Kahlschlag der solidarischen Gesundheitsversorgung. Wer keine private Zahnversicherung zahlen kann, kriegt eben keine Zähne, jedenfalls keine dritten. Aufhebung der Tarifautonomie, radikale Steuersenkungen für die Unternehmen, weitere Durchlöcherung des Kündigungsschutzes sind das Ziel.

Die Entscheidung für die Union scheint Schröder getroffen zu haben.

Und damit stehen wir auf Bundesebene zumindest in allen innen-, wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen faktisch einer Großen Koalition von SPD über Grüne und FDP bis zu CDU und CSU gegenüber.

Ich will nicht behaupten, dass rot-grün bislang eine solidarische und emanzipatorische Politik betrieben hat, im Gegenteil. Aber der Wind wird sich weiter verschärfen. Und das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in den meisten EU-Ländern.

Auch deshalb ist ein demokratischer Sozialismus notwendiger denn je.

Aber wie kommen wir als PDS nach unseren Debakeln wieder ins Geschäft und wie und mit welchen Positionen schaffen wir es, als Opposition gegen die faktische Große Koalition öffentliche Wahrnehmung zu finden? In drei Monaten stehen die nächsten Landtagswahlen an. Nächstes Jahr entscheiden die Europawahlen und die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen mit über die Zukunft der PDS als bundespolitisch ernst zu nehmende Kraft.
Wie kommen wir also wieder raus aus unserem Loch?

1. Wir brauchen programmatische Klarheit
2. Wir brauchen strategische Klarheit

In beiden Fragen herrscht in der PDS Kakophonie, also Stimmengewirr, und das macht sie für die Wählerinnen und Wähler uninteressant.
Und wer als Partei - nicht als Bewegung! - für Wählerinnen und Wähler uninteressant ist, kann auch kaum Druck auf andere ausüben, geschweige denn auf die Regierung, ihre Politik zu ändern.

Die Wahlforschung hat interessantes zu Tage gebracht: Schwankende PDS-Wählerinnen und -Wähler entscheiden sich in kritischen Momenten für Führungspersönlichkeiten mit realem und sichtbarem Einfluss. Der September 2002 war so ein kritischer Moment und Schröder hat es geschafft, mit seiner Anti-Kriegs-Position und seinem Agieren während der Flut der PDS klassische Themen und etliche ihrer Wählerinnen und Wähler abzunehmen.

Was heißt das für uns? Wenn wir wieder gewählt werden wollen, müssen wir auch klar sagen können, wie wir unsere Ideen umsetzen wollen. Das ist keine Frage von Regierung oder Opposition, das ist eine Frage von Regierung und Opposition.
Opposition ist sowenig ein Selbstzweck wie es regieren ist. Ob wir parlamentarisch opponieren oder regieren hängt natürlich zum einen von den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen ab. Das hängt zum anderen davon ab, ob wir konkrete und umsetzbare Ziele verfolgen und dabei von nennenswerten gesellschaftlichen Bewegungen, Kräften, kurz einer bemerkenswerten Anzahl von Menschen unterstützt werden.
Insofern entbehrt der Streit um Mitte-links oder Mitte-unten letztlich der strategischen Substanz. Denn gut regieren können wir nur, wenn wir gesellschaftliche Unterstützung dafür erfahren. Ähnlich gilt das für gutes Opponieren. Gesellschaftliche Wirkungskraft entfaltet Opposition nur, wenn sie auf Unterstützung außerhalb des Parlaments trifft, in der Bevölkerung selber.

Wir müssen offensiver und selbstbewusster als bisher deutlich machen, wo und wie rot bisher gewirkt hat und wie und im Verein mit wem rot künftig wirken will.

Ein Beispiel: dass der rot-rote Senat jetzt die Chipkarten für Asylbewerberinnen und Asylbewerber abgeschafft hat und ihnen erlaubt, Wohnungen anzumieten, mag manchen erst mal wenig vorkommen, wenn es um PDS-Erfolge geht. Aber erstens hat das für die betroffenen Menschen enorme positive Auswirkungen - und für und mit Menschen machen wir ja Politik. Und zweitens hat das - zumindest für Innenpolitikerinnen wie mich - eine hohe Bedeutung auf der ideologischen Ebene: Damit setzt die PDS durch, dass der Senat sich von der bundesweit und damit auch in Berlin geltenden der Abschreckung von Flüchtlingen wenigstens ansatzweise verabschiedet.

Der Entwurf für das neue Parteiprogramm wird Ende des Monats kommen. Das ist höchste Zeit, aber gut. Und die Strategiedebatte ist jetzt zumindest angelaufen, auch das ist gut.
Wir als Reformlinke sollten uns dort dringend einmischen, nicht um das Stimmengewirr zu vervielfachen, sondern um klare Botschaften herauszuarbeiten.

Die PDS ist und bleibt Friedenspartei. Aber Friedenspartei zu sein, bedeutet mehr als gegen Krieg zu sein. Wir müssen unsere Ideen und Konzepte einer friedensorientierten Außenpolitik ausbauen und kommunizierbar machen. Auch hier bemühe ich wieder Wahlforscher: die haben festgestellt, dass wir zwar auf dem Gebiet des Friedens relativ kompetent, bei der Außenpolitik aber völlig abgemeldet sind. Das passt nicht zusammen, wenn man Politik nicht nur ersinnen, sondern auch durchsetzen will. Und das wollen wir ja, auf Bundesebene zur Zeit unbestritten als gestaltende Opposition. Dass wir derzeit wie die Bundesregierung gegen einen Krieg in Irak kämpfen, dass wir wie rot-grün Präventivkriegen eine Absage erteilen, stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir sind nicht die einzigen, die für Frieden eintreten. Im Entwurf unserer Gründungserklärung heißt es deshalb: „Die aktuelle Auseinandersetzungen um Krieg oder Frieden zeigen erneut, wie wichtig es für die PDS ist, ungeachtet verschiedener politischer Differenzen Ansatzpunkte für gemeinsames Handeln immer wieder auszuloten und aufzugreifen“.

Die PDS ist und bleibt Partei der sozialen Gerechtigkeit. Und je mehr die SPD dieses Image verliert und auch gar nicht mehr anstrebt, um so notwendiger wird die PDS. Und zwar für alle diejenigen, für die soziale Gerechtigkeit - trotz allgemeiner neoliberaler Ideologievernebelung - einen gesellschaftlichen Wert darstellt. Vermutlich sind das gar nicht so wenige Menschen.
Nur haben viele zuletzt in Niedersachsen aus Protest gegen die Chaospolitik der SPD nicht PDS, sondern CDU oder rechtspopulistisch gewählt. Das hat viel mit der Situation der PDS im Land zu tun. Das hat aber auch damit zu tun, dass die PDS auf Bundesebene keinen öffentlichen Diskurs um gesellschaftliche Werte führt, dass wir nicht hörbar aufschreien, wenn CDU oder FPD Begriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit missbrauchen, um Sozialabbau und öffentliche Armut zu propagieren und rot-grün hinterher hechelt.

Die Politik hat sich ökonomisiert. Ob in der Bildungs-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik, überall gelten die gleichen Kriterien: Effizienz, Wettbewerbs- und Weltmarkttauglichkeit. Die politische Auseinandersetzung der „Großkoalitionäre“ kreist um eine „Deutschland AG“, die nur mit ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger Deregulierung fit zu machen ist. Politische Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Werte wie soziale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, demokratische Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger oder ökologische Nachhaltigkeit sind in den Hintergrund getreten. Das Gemeinwohl ist längst eine hohle Floskel geworden, um weiteren Sozialabbau zu legitimieren. Politik hat sich entpolitisiert. Die Regierung hat sie in Expertenkommissionen und Arbeitskreise delegiert und damit immer mehr der demokratischen Auseinandersetzung entzogen.

Wir müssen den Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie, um die Begriffe, um die Politik aufnehmen.
Links von der SPD ist programmatisch viel Platz. Wir müssen ihn füllen mit einer Politik sozialer Gerechtigkeit, die glaubwürdig und umsetzbar ist. Wir müssen zeigen, dass soziale Gerechtigkeit und die Begrenzung des stetig wachsenden privaten Reichtums entgegen dem Zeitgeist in höchstem Maße modern, weil für die Zukunft einer solidarischen Gesellschaft notwendig ist.
Es ist gut, wenn der Parteivorstand mit den Ministerinnen bzw. Senatorinnen und den Landtagen eine Kampagne zur Gesundheitspolitik macht - aber schnell. Denn Regierung und konservative Opposition werden jetzt alles dran setzen, den Köpfen der Menschen einzuhämmern, dass weiterer Leistungsabbau eigentlich ganz gut für sie ist.

Wenn wir als Partei der sozialen Gerechtigkeit punkten wollen, müssen wir auch sagen, wie wir den Sozialstaat erneuern wollen - und zwar konkret. Das heißt, die PDS muss die Ideen und Konzepte aus den letzten Jahren auf den Prüfstand stellen und auf ihre Praktikabilität hin testen. Nur was zumindest theoretisch umsetzbar ist, ist auch real eine Alternative zur Expertokratie der Bundesregierung. Damit meine ich nicht, dass man die Finanzierung für jede Maßnahme bis aufs letzte Komma ausrechnet. Das können wir mit unseren Mitteln nicht. Aber die Transformation, der Weg zur Realisierung, die dafür notwendige Verschiebung von Kräfteverhältnissen durch Überzeugungsarbeit, durch Begeisterung und Engagement, muss uns genauso beschäftigen wie die Idee selbst.
Wir müssen uns zum Beispiel noch einmal die Idee einer Wertschöpfungsabgabe vorknöpfen und überlegen, wie wir die kommunizierbar machen, wie wir einem breiten Publikum erklären, dass wir damit die Beiträge der Arbeitgeber zu den sozialen Sicherungssystemen nicht nach den Bruttolöhnen, sondern nach der Wirtschaftskraft des Unternehmens unabhängig von der Zahl der Beschäftigten errechnen.

Wir brauchen eine Arbeitszeitpolitik, die das Recht auf Arbeit auch umsetzen kann.
Vollbeschäftigung der Zukunft heißt nicht mehr für alle acht Stunden täglich und das mindestens 40 Jahre lang. Die Vollbeschäftigung für alle umfasst unterschiedliche Formen von Erwerbsarbeit: Vollzeit-, Teilzeit-, Telearbeit, freiwillig Selbstständige, und auch wenn wir sie kritisieren: Leiharbeit und befristete Beschäftigungsverhältnisse.
Wir sind gut beraten, nicht mehr dem männlich dominierten Normalarbeitszeitverhältnis als alleiniger Norm und politischem Ziel nachzuhängen.
Entscheidend ist doch, dass jede und jeder die Wahl hat, sich entscheiden kann, wie lange und wie sie arbeitet. Nicht nur Unternehmen, auch und gerade Beschäftigte haben Flexibilisierungswünsche und -notwendigkeiten, sei es um Kinder zu erziehen, Angehörige zu pflegen, Politik zu machen oder einfach nur joggen zu gehen. Sie dürfen nicht Spielball der Unternehmensinteressen sein, sondern souverän über ihre Arbeitszeiten entscheiden - im Rahmen von Tarifverträgen und mit gleichem Lohn wie Beschäftigte in „Normalarbeit“. Das ist ein arbeitsmarktpolitisches Nahziel, genauso wie allgemeine Arbeitszeitverkürzungen statt -verlängerungen, genauso wie der Abbau von Überstunden. Irreguläre Beschäftigungsverhältnisse zu Dumpingbedingungen, der Niedriglohnsektor, der jetzt durch Ich- und Familien-AGs noch bereichert wird, lehnen wir entschieden ab. Dequalifizierung von Menschen ist der falsche Weg für eine Wissensgesellschaft.

Wir haben 4,5 Millionen Erwerbslose - das alleine ist schon ein zum Himmel schreiender Skandal. Aber gleichzeitig liegt die gesellschaftlich notwendige Arbeit auf der Straße. Jede und jeder sieht sie: Schulen verrotten, Schwimmbäder schließen, Alte vegetieren in Heimen, weil das Personal keine Zeit hat. Die öffentliche Hand ist pleite. Nicht nur in Berlin, überall im Land. Auch das ist ein Thema für soziale Gerechtigkeit: Reiche können sich einen armen Staat leisten, die gehen halt in ihren Swimming-pool. Normalos und Arme schwimmen in der Badewanne. Das können wir nicht hinnehmen.

Deswegen ist es gut, dass sich die PDS in den Regierungen und in den Landtagen für eine andere Steuerpolitik verwendet. Die wird entscheidend im Bund gemacht, nicht in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. In diesem Lichte sollten wir - die gesamte PDS - uns denn auch mal die viel gescholtenen Solidarpaktverhandlungen in Berlin anschauen. Auf Landes- und kommunaler Ebene gilt noch viel mehr als auf Bundesebene: Zu verteilen ist nur das, was da oder aufzutreiben ist.

Da wundert es mich oft nicht, wenn Leute aus Arbeitsloseninitiativen, attac oder anderen Gruppen beim Stichwort Gewerkschaften abwinken und sagen: Die tun doch nur was für die, die Arbeit haben. Das stimmt meistens nicht. Aber manchmal ist eben doch was dran.

Das Angebot des Berliner Senats, die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst zu verkürzen, statt Lohnerhöhungen zu zahlen, dafür aber junge Menschen neu einzustellen und keine Leute zu entlassen, ist doch in heutigen Zeiten nicht nichts. Das kann auch ein Modell für andere sein, zumindest was die höheren Gehaltsgruppen angeht. Darüber sollten wir zumindest mal diskutieren im Rahmen einer modernen sozialistischen Arbeitsmarktpolitik statt die eigenen Genossinnen und Genossen des Klassenverrats zu zeihen.

Die PDS ist die Partei des Ostens, der Ostinteressen. Das ist so, und das wird auch erst mal so bleiben. Das hat die Klausur des Parteivorstands mit den Fraktionen, Bundestagsabgeordneten und Landesvorständen auch noch mal festgehalten und bekräftigt. Dass das notwendig ist, zeigen schon die ersten fünf Monate nach der Bundestagswahl. Der Osten spielt in der Bundespolitik keine Geige mehr. Und selbst der erklärte PDS-Hasser Werner Schulz hat gemerkt, dass die PDS irgendwie fehlt.

Aber Ostpartei alleine reicht nicht - da treffe ich beim Bundesvorstand sicher auf offene Ohren. Doch zwischen offenen Ohren und praktischem Handeln liegen bekanntlich Welten. Wenn die PDS als gesamtdeutsche demokratisch-sozialistische Partei eine Zukunft haben will und den vakanten Platz links von der SPD füllen möchte, muss sie auch im Westen darstellen, warum sie notwendig ist, warum sie den Menschen nützlich ist, warum es sich lohnt, PDS zu wählen. Und sie muss das glaubwürdig vermitteln.

Mein Eindruck aus dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein war, dass wir damit schon mal ziemlich weit waren. Viele Menschen haben erzählt, sie fänden es wichtig, dass es die PDS gibt, auch im Bundestag. Aber wählen unter den angespannten Bedingungen, das wollten sie uns dann doch nicht. Ein Grund war, weil sie rot-grün nicht gefährden wollten. Ein anderer Grund war, dass sie die Vergangenheit der PDS als Staatspartei in einem autoritären politischen System nicht vergessen haben. Da hat die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die Entschuldigungen, die Gabi Zimmer und Petra Pau den Opfern von begangenem Unrecht ausgesprochen haben, zwar einiges positiv bewirkt. Aber viele wissen auch um die wütenden Reaktionen in Teilen der eigenen Basis, und das wirkt dann eben dagegen. Und damit komme ich zum letzten Punkt in meiner Aufzählung der Kompetenz- und Imagefelder.

Die PDS als sozialistische Bürgerrechtspartei.
Die PDS hat die große Chance, die Idee und den gesellschaftlichen Wert von sozialer Gerechtigkeit mit der Idee von Freiheit und Gerechtigkeit, von gleichen Rechten und Möglichkeiten für alle in Parteiform zu verknüpfen. Die PDS hat die Chance, eine Politik zu entwickeln, die die Menschen in diesem Land weit mehr als jetzt in die Lage versetzt, ihr Leben nach ihren eigenen Träumen und Vorstellungen zu gestalten.
Daher sind wir leidenschaftliche Verfechterinnen und Verfechter der Demokratie. Wir stehen zur parlamentarischen Demokratie, wir wollen sie mit mehr Leben erfüllen, sie durch Volksentscheide und auch kurzfristig durch mehr Demokratie in der Wirtschaft erweitern.
Deshalb sind Demokratie und Freiheit sowie soziale Gerechtigkeit für uns zwei Seiten einer Medaille.

Wir begreifen soziale Gerechtigkeit nicht als Gnade des Staates, soziale Leistungen nicht als Almosen und wir begreifen Bürgerrechte nicht als disponible Ware, die in Luxuszeiten ausgepackt und wenn's ernst wird, wie nach dem 11. September 2001, wieder kassiert wird.

Das kann uns von der SPD unterscheiden, die vor ihrer neoliberalen Wende zwar die Idee der sozialen Gerechtigkeit verfolgt hat, aber mit autoritären Zügen. Trotz Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“. Zwangsmaßnahmen für SozialhilfeempfängerInnen, noch mehr Druck auf Arbeitslose - das stammt nicht alles aus konservativ-liberalen Giftstuben. Das ist auch sozialdemokratisches Regierungshandeln. Und die Otto-Pakete, die Berufsverbote, die Sympathisantenhetze der 70er Jahre hatten und haben sozialdemokratische Autoren.

Wir können Zeichen setzen!
In einem erneuerten Sozialstaat, in dem Freiheit und Gerechtigkeit garantiert sind, ist auch die freie Entfaltung der und des einzelnen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Nationalität, sexueller Orientierung, Erwerbstätigkeit ein existenzielles Bürgerrecht. Alle Menschen sind gleich - in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit, mit ihrem Recht auf Differenz.
Trotz aller Beteuerungen ist es der PDS bislang nicht gelungen, ihre unbestreitbar vorhandenen Kompetenzen auf dem Feld der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, der feministischen Politik, der Lebensweisenpolitik in das Image einer Bürgerrechtspartei, einer Partei von Freiheit und Gerechtigkeit umzusetzen. Das hat damit zu tun, dass viele PDS-Mitglieder aus unterschiedlichen Gründen diesen Bereich nicht so richtig wichtig finden. Das hat auch mit der PDS-Vergangenheit zu tun. Und es hat letztlich auch damit zu tun, dass auch in der PDS durchaus noch autoritäre Strukturen vorhanden sind, auch im Handeln von Führungsleuten.
Wenn die PDS eine Chance als Partei von Freiheit und Gerechtigkeit haben will, dann nur, wenn sie mit jeder Form von Autoritarismus bricht und sich nicht nur programmatisch und strategisch, sondern auch personell erneuert.

Eine letzte Bemerkung zur Reformlinken. Warum es notwendig ist, uns zu gründen, haben wir auf der ersten Versammlung im November ausführlich debattiert und die Gründung mit großer Mehrheit beschlossen.

Lasst mich trotzdem noch mal kurz umreißen, warum es aus Sicht des Arbeitsausschusses notwendig ist, eine Strömung Reformlinke in der PDS zu etablieren. Wir brauchen einen politischen Bezugsrahmen, der für alle offen und transparent ist, keine Kungelrunde. Das Netzwerk Reformlinke in und bei der PDS ist eine Basisbewegung, ein Forum, in dem Politik entwickelt wird. Dabei erheben wir mit Sicherheit keinen Alleinvertretungsanspruch auf reformlinke Politik. Etliche PDS-Politikerinnen und -Politiker z.B. in den Parlamenten werden sich uns nicht offiziell anschließen, aber dennoch linke Reformpolitik betreiben.
Wir wollen die politische Kommunikation zwischen den verschiedenen Reformlinken organisieren und befördern und zwar weit über den Rahmen PDS hinaus hinein in die Gesellschaft, in die sozialen Bewegungen, in die Kleingärten- und Sportvereine, die Gewerkschaften und wo wir uns sonst noch bewegen.
Wir begrüßen es sehr, dass (Promis) hier sind und sich mit uns auseinandersetzen. Unsere Gründungserklärung ist dafür ein inhaltliches Angebot.
Eines ist ziemlich sicher: Ohne die Reformlinke ist zumindest im Westen Stagnation und Niedergang vorgezeichnet. Wir wollen für alle diejenigen ein Sammelbecken sein, die für demokratischen Sozialismus konkret, auch hier und heute eintreten, die praktische Politik machen in den Kommunen, an Schulen, an Unis, wo auch immer.
Für diejenigen können wir auch eine Art Schutzraum sein, denn viele werden sonst in etlichen sektiererisch dominierten Kreisverbänden zumindest im Westen schlicht kaputt gespielt. Die Reformlinke kann neben ihren Beiträgen zu programmatischen und strategischen Erneuerung der PDS auch ein Forum sein, in dem sich Menschen politisch aufbauen können. Unsere Personaldecke ist nicht die allerdickste, egal ob für die Opposition oder für was anderes.

„Neue PDS-Menschen“ braucht das Land, die den Menschen nicht oder jedenfalls nicht nur die Revolution erklären, sondern sie ansprechen können, sie für unsere Ideen begeistern können, um Sympathie werben. Denn - und damit schließt sich der Kreis meiner langen Ausführungen: demokratischer Sozialismus ist heute nötiger denn je.
 

Information über das Gründungstreffen des „Netzwerkes Reformlinke“

 

 

16.2.2003
www.petra-pau.de

 

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