Aktuelle Notiz: gefährlicher Ostalgie-Virus?

von Petra Pau
Berlin, 27. August 2003

Was ist plötzlich los? Das ZDF bietet eine „Ostalgie-Show“. Andere Sender ziehen gleich. Episoden und Persönlichkeiten aus der DDR werden bundesweit zum medialen Kult erhoben. Nicht mehr „alles Stasi, außer Mutti“, nein, „weißt-du-noch“-Gefühle werden aufgerufen und beklatscht.

Dagegen musste sich Widerstand finden. Dummerweise berief sich ausgerechnet Walter Momper dazu, die Streitkräfte gegen den vermeintlichen Rollback ostdeutscher Gefahren anzuführen. Ob als Historiker, als Parlamentspräsident oder einfach als Sozialdemokrat, ich weiß es nicht. Jedenfalls stellte er das Tragen von DDR-T-Shirts und den Film „Good-Bye-Lenin“ in Acht und Bann.

Mein Gott, Walter! Jede Umfrage wird dir bestätigen: Das alles hat nichts mit einer Heiligsprechung des realen Sozialismus zu tun. Der Anteil der „Ossis“, die sich die DDR zurück wünschen, liegt ganz weit unter zehn Prozent. Allerdings: Die Zahl jener, die sich in den neuen Bundesländern von der Wessi-Politik abgehängt, bevormundet und entwürdigt fühlen, ist deutlich höher. Warum das so ist, darüber lohnte sich wirklich der Streit.

Im Übrigen: Was die bundesweiten Medien derzeit unter dem Signum „Ostalgie“ treiben ist eine schlichte Kopie, geklaut vom mdr. Dort sind DDR-Emotionen seit langem der Gefühls-Kitt für die konservativsten Politik-Angebote. Die tonangebende CDU gewinnt damit über anheimelnde Stimmungen politische Stimmen. Sage niemand, das sei blöd.

Bleiben noch ein paar ‚harte' Fragen, ebenfalls jenseits aller Ostalgie: Warum finden Schulpolitiker das deutsche Bildungssystem schlecht und das finnische spannend, wohl verschweigend, das es im „Osten“ einst Ähnliches wie im gelobten Norden gab? Oder: Warum gilt das Schweizer Krankenkassen-Modell als denkwürdige Alternative, während Parallelen zum DDR-System streng verschwiegen werden?

Millionen haben „Good-Bye-Lenin“ gesehen. Es muss also etwas dran und drin sein im Film, was es anderswo so nicht gibt - vor allem nicht in der vorherrschenden Politik. Filme, Theater, Rocksongs waren zu DDR-Zeiten wichtige Botschafter zwischen den Zeilen. Wenn es so was, wie Ostalgie, wirklich geben sollte, dann sicher nicht als Verharmlosung von Gestern, sondern als Fragen ans Heute.
 

 

 

27.8.2003
www.petra-pau.de

 

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