Liebe, Glaube, Angst

Interview für „chrismon“ Juli 2004, evangelisches Monats-Magazin

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Meine. Ich bin immer noch in meinen Mann verliebt. Es ist schön, immer wieder erwartet zu werden. Und es ist schön, außerhalb der Reihe mit bestimmten Dingen überrascht zu werden. Mehr werden Sie von mir darüber nicht hören, das ist was ganz Eigenes.

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn mich der Bundestagspräsident ans Rednerpult ruft, dann fühle ich mich ausgesprochen lebendig und angriffslustig. Das ist wie ein Energiestoß: Der beginnt am kleinen Zeh und endet sozusagen im Igel. Denn in diesen drei Minuten Redezeit kommt's darauf an, mich verständlich zu machen, danach kriege ich die meisten Rückmeldungen von Fernsehzuschauern. Ansonsten fühle ich mich sehr lebendig in den wenigen Momenten, die ich in der Natur verbringe. Ich fahre gern ins Allgäu, und am liebsten gehe ich allein los. Im ersten Teil der Wanderung verarbeite ich eine ganze Menge von dem, was ich so im Kopf herumwälze. Aber irgendwann bin ich frei davon und nehme einfach die vielen Eindrücke in mich auf.

Muss man den Tod fürchten?

Wenn er früh durch Krankheit oder anderes eintritt, fürchte ich, dass ich was verpasse. Mit Anfang zwanzig bekam ich Rheuma. Heute habe ich's im Griff, aber damals konnte ich von einem Tag auf den anderen nicht mehr laufen. Da überlegt man: Was fängst du mit deinem Leben an? Was möchtest du gerne noch erfahren, erreichen?

An welchen Gott glauben Sie?

Vor einigen Jahren, als ich gesundheitliche Probleme hatte, tauchte in mir das Bedürfnis auf, in meine Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg zu gehen, in der ich konfirmiert worden bin. Hinterher habe ich mich gefragt: Warum hat dir das geholfen, mit deiner Situation klarzukommen? Ich habe als Kind in dieser alten Kirche offensichtlich eine Geborgenheit erfahren, zu der ich mich zurücksehnte. Ich habe meinen ganz eigenen Glauben, den ich gar nicht präzise beschreiben kann. Ich weiß nur, dass es mir damit gut geht. Und dass ich noch etwas habe, worauf ich zurückgreifen kann. Der eine Gott - das ist für mich nicht umreißbar. Aber ich glaube schon, dass etwas da ist, was uns hoffentlich immer wieder mal Vernunft eingibt. Mein Mann ist Mathematiker, er findet: „Da gibt es nichts.“ Mit 16 konnte ich mit der Kirche so, wie sie mir damals begegnete, nicht viel anfangen, da bin ich ausgetreten. Zudem wurde das erwartet, als ich studieren wollte, aber das allein wär's nicht gewesen. Später an der Parteihochschule, wo einem jeder Glaube an irgendwas anderes ausgetrieben werden sollte, hatte ich manchmal das Bedürfnis, den Glauben und Gläubige zu verteidigen, auch in der Bibel zu lesen, aber dafür musste ich nicht in die Kirche gehen. In der Ausbildung zur Kunsterzieherin war ich erschrocken, dass sich meine Mitstudenten Kunstwerke inhaltlich nicht erschließen konnten, weil sie die christliche Symbolik nicht kannten. Da fühlte ich mich ein Stückchen reicher. Deshalb finde ich es wichtig, dass Kinder etwas über unsere christlichen Wurzeln und die Einflüsse anderer Religionen auf unsere Kultur lernen. Es sollte ihnen aber kein Bekenntnis abgefordert werden, deshalb plädiere ich für eine Religionskunde.

Was Können Erwachsene von Kindern lernen?

Kinder finden sich nicht damit ab, wenn jemand sagt: Das war schon immer so. Sie stellen die als unumstößlich geltenden Wahrheiten in Frage. Warum meinst du, dass das nur so funktioniert? Ich selbst war eine nervende Warum-Fragerin, das ist überliefert.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich will unbedingt Englisch nicht nur verstehen, sondern auch ordentlich sprechen lernen. Ich hätte auch zu gern mal Zeit zu lesen. Bei mir zu Hause steht sehr vieles an Weltliteratur, Shakespeare und Heine zum Beispiel. Ich würde gerne einfach nur für mich lesen, ohne den Druck zu verspüren, das morgen verwerten zu müssen für eine mehr oder weniger geschliffene politische Rede.

Was ist Freiheit?

1989/90 bin ich, wenn's irgendwie ging, in die Amerika-Gedenk-Bibliothek und hab Sachen gelesen, die mir vorher vorenthalten wurden. Das empfand ich als Befreiung. Im Moment fühle ich mich durch die Erwartungen, von denen ich viele überhaupt nicht erfüllen kann, ein Stückchen eingeschränkt. Ich habe mir jetzt eine gute Portion Humor zugelegt und ein dickeres Fell, wenn Partei oder Wähler fragen: Warum habt ihr dieses oder jenes noch nicht gemacht? Wenn wir schon bei den Zwängen sind: Als Politikerin ist man ja immer eine öffentliche Person. Mein Mann weigert sich, mit mir einzukaufen, weil mich oft Menschen ansprechen und mir erzählen, was sie schon immer mal loswerden wollten. Selbst im Urlaub bleibt man nicht unerkannt. Als ich mal in Süddeutschland, in Oberstaufen, eine Kur machte, meinte der Arzt: In der Kirche debattieren sie, ob es schadet, wenn jetzt auch die Kommunisten hierher kommen. Mittlerweile schickt mir der Kurdirektor regelmäßig Prospekte und freut sich, dass die PDS im Bundestag auch diese Ecke kennt.

Petra Pau
Geboren1963 in Berlin. 1983 Abschluss des Fachschulstudiums als Pionierleiterin und Unterstufenlehrerin für Deutsch und Kunst, bis 1985 erste Berufserfahrungen. Zweites Studium an der Parteihochschule „Karl Marx“, 1988 Diplom-Gesellschaftswissenschaftlerin. Mitarbeiterin beim Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (FDJ). 1992 bis 2001 Vorsitzende der Berliner PDS, 1998 und 2002 Direktmandate für den Bundestag. Derzeit sitzen von der PDS nur Petra Pau und Gesine Lötzsch im Bundestag. Als Einzelabgeordnete dürfen sie weder Gesetzentwürfe noch Anträge einbringen und statt fünf oft nur drei Minuten reden. Petra Pau lebt in Berlin-Hellersdorf.

Die Fragen stellte Dirk von Nayhass
07/04 chrismon

 

 

18.7.2004
www.petra-pau.de

 

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