Die Herausforderung ist größer

Niedersachsen, „Heideruh“, 06.11.2004, Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Rechtsextremismus in Deutschland. Neue Anforderungen, neue Erfahrungen“
Impulsbeitrag von Petra Pau, MdB, Mitglied im Innenausschuss:

Ich beginne mit einer Episode. Sie ist Ihnen sicher noch in Erinnerung. Kurz vor den jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen hatte sich Bundes-Innenminister Schily zu Wort gemeldet. „Hätte das Bundesverfassungsgericht die NPD verboten", meinte er, "dann könnte sie auch nicht gewählt werden!“

Sein Zitat machte Furore. Die FDP im Bundestag beantragte extra eine aktuelle Stunde. Ich sprach für die PDS. Die Rede ist auf meiner Web-Seite nachlesbar. Deshalb wiederhole ich jetzt nur zwei Aspekte.

Punkt eins: Dass eine Partei, die verboten wurde, nicht gewählt werden kann, ist eine Binsenweisheit. Um zu so banalen Schlüssen zu kommen, sagte ich Schily, muss man nicht extra Bundesminister werden. Punkt zwei ist gravierender: Denn die Hauptschuld daran, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD gescheitert ist, trug Otto Schily.

Erinnern wir uns: Der Bundesinnenminister und seine Amtskollegen in den Ländern hatten das Bundesverfassungsgericht vor eine - rechtsstaatlich - kaum lösbare Aufgabe gestellt. Weil: Zahlreiche Belege, die im Verbotsantrag gegen die NPD vorgebracht wurden, stammten von V-Leuten des Verfassungsschutzes.

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“, sprach von „belasteten Beweisen“. Ich habe damals erklärt: „Das Verfahren ist verfahren!“ Und ich habe die V-Leute-Praxis kritisiert. Denn V-Leute sind vom Staat gekaufte Informanten und bezahlte Täter zugleich.

Auch deshalb sprach das eingangs von mir gewählte Zitat Otto Schilys nicht nur für eine gehörige Portion Alters-Starrsinn. Seine Gerichtsschelte ist auch sachlich falsch. Dieselbe Kritik am Bundesverfassungsgericht begegnete mir allerdings auch in der PDS, zuletzt auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende. Ich teile sie nicht.

Ich verstehe die Position der qualifizierten Minderheit im Bundesverfassungsgericht, die zur Einstellung des Verbotsverfahrens gegen die NPD führte. Denn ein nicht-rechtsstaatliches Verfahren gegen die NPD würde auch nicht-rechtsstaatliche Verfahren gegen andere präjudizieren. Außerdem hege ich Zweifel, ob ein Verbot der NPD überhaupt ein angemessenes Mittel gegen den Rechtsextremismus ist. Auf keinen Fall wäre es ein hinreichendes.

Womit ich bei meinem zweiten Diskussions-Punkt wäre. Und PDS-typisch unterstreiche ich vorab, was mir ansonsten vorgehalten werden könnte: Ja - die NPD ist eine faschistische Partei. Ja - sie ist gefährlich. Ja - sie ist verfassungsfeindlich. Und Ja - ich war für ein Verbot und habe das Verfahren gemeinsam für die PDS-Fraktion mit Ulla Jelpke begleitet.

Denn so lange die NPD als Partei gilt, so lange ist sie wie alle Parteien privilegiert, so lange wird sie mit Steuern hofiert, so lange genießt sie den Schutz desselben Grundgesetzes, das sie nach Kräften bekämpft. Das ist in der Tat schwer erträglich.

Die Absurdität wird noch deutlicher, wenn wir bedenken, welchen Auftrag Parteien laut Grundgesetz haben. Sie sollen an der politischen Willensbildung der Gesellschaft teilhaben. Dass alte und neue Nazis dazu privilegiert werden, widerspricht natürlich dem Grundgesetz, allemal Artikel 1, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Es ist auch ein Hohn auf die Geschichte.

Doch nun kommt mein Aber. Verkürzt heißt es: Das Verbot der NPD beseitigt keinen Rechtsextremismus, es verhindert keinen Antisemitismus und es tilgt keinen Rassismus. Alle drei kommen aus der Mitte der Gesellschaft und sie werden durch die aktuelle Politik genährt - mit der NPD mehr und gewalttätiger, aber ohne sie auch. Das ist das Problem.

Meine These ist sogar noch böser. Ich behaupte: Die rot-grüne "Agenda 2010" befördert den rechtsextremen Auftrieb. Dabei werfe ich weder der SPD noch Bündnis 90/Die Grünen vor, dass sie das wollen. Ich kritisiere aber, dass sie das nicht bedenken oder dass sie es billigend in Kauf nehmen.

Die Wissenschaftlerin Birgitt Rommelspacher hat schon vor Jahren untersucht, welche Bevölkerungsgruppen für rassistische, nationalistische und rechtsextreme Einstellungen besonders anfällig sind. Ihr Befund: All jene, die was werden und gelten wollen und zugleich permanent um ihren besseren Status fürchten.

Das aber sind nicht die ungebildeten Dumpfbacken, die bei NPD-Aufmärschen Stiefel zeigen. Es ist die so genannte Mitte der Gesellschaft. Genau diese Schicht aber gerät mit der "Agenda 2010" in zunehmende Verunsicherung. Sie wird vom Sozialabbau ebenso erfasst, wie jene, die ohnehin schon arbeitslos sind oder von Sozialhilfe leben.

Daher meine These: Das gescheiterte NPD-Verbot war ein schlimmes Signal. Die Nebenwirkungen der „Agenda 2010“ sind schlimmer oder anders gesagt: Die „Agenda 2010“ ist der Gegenentwurf zu einem demokratischen Sozialstaat. Ich füge hinzu: Sie ist zu weiten Teilen einen Plagiat, abgeschrieben aus dem „Zukunftsbericht der Freistaaten Bayern und Sachsen“, also von der CDU/CSU.

Mein dritter Gedanke: Die NPD wurde in Sachsen mit über 9,2 Prozent in den Landtag gewählt. In absoluten Zahlen votierten 191.000 Bürgerinnen und Bürgern für diese rechtsextreme Partei. Seither wird im Kaffeesatz gelesen, wie das passieren konnte und wie man mit dem Ergebnis umgeht. Auch ich habe dazu Empfehlungen gegeben.

Aber jetzt spitze ich zu und ich frage provokanter: Haben wird es mit einer „sächsischen Anomalie 2004“ zu tun oder hat sich im Freistaat ganz demokratisch der bundesdeutsche Normalgeist offenbart? Für letzteres spricht einiges, allemal verschiedene soziologische Untersuchungen.

So kam Wilhelm Heitmeyer (Uni Bielefeld) 2002 zu dem Schluss: 19,6 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands sind rechtspopulistisch eingestellt (West: 18,3 % / Ost: 24,8 %). Wobei sich Zwei Drittel dieser Gruppe, laut Heitmeyer, selbst der „Mitte der Gesellschaft“ zu ordnen. Was in Sachsen übrigens sichtbar wurde, wo der Arzt, der Fahrschullehrer, der Ingenieur pro NPD warb.

Richard Stöss & Oscar Niemeyer (FU) warnten schon 1998: 13 Prozent der Bevölkerung neigen rechtsextremen Positionen zu. Auch diese Zahlen belegen: Ein Verbot der NPD ist nicht die zentrale Frage, wenn es darum geht, Rechtsextremismus einzudämmen, Demokratie und Toleranz zu stärken. Es gibt keinen Grund, die NPD zu verharmlosen. Aber das Problem ist viel größer. Das ist mein Punkt.

Und so richtig und gut gemeint die Forderungen nach einem NPD-Verbot auch sind, sie haben auch etwas Widersinniges in sich, gerade wenn sie von Links kommen. Denn sie sagen: „Wir haben ein gesellschaftliches Problem, also Staat, sei stark und schaff es uns vom Hals.“ Diese Staatsfixierung ist wenig demokratisch und wenig emanzipatorisch. Es ist mit umgekehrten Vorzeichen der gleiche Ruf nach einem starken Mann und nach übergeordneten Autoritäten, der von rechts erschallt.

Deshalb kann ich auch nicht folgen, wenn gesagt wird: Geheimdienste sind schlecht, aber gegen Rechts sollen sie mal durchgreifen. Oder: Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht, aber gegen Rechts muss es weg. Oder: Der Sonder-Paragraf 129a gegen vermeintliche Terroristen ist teuflisch, weil es gegen Linke ist, aber gegen Rechts ist er gut.

Aus all diesen Gründen bin ich auch gegen die vereinfachende Losung: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ Denn mit Verbrechern kann man kurzen Prozess machen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus aber hat größere Dimensionen. Er ist eine gesellschaftliche, eine zivilgesellschaftliche Herausforderung.
 

 

 

6.11.2004
www.petra-pau.de

 

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