Aktuelle Notiz: Pro Reli kontra Pro Ethik

von Petra Pau
Berlin, 29. September 2008

1. 

In Berlin gibt es einen weiteren Volksentscheid. Überhaupt wird das Land Berlin zunehmend zur Hauptstadt der Volksbegehren. Die Initiative „Mehr Demokratie e. V.“ hatte Berlin noch vor Jahren am Ende ihrer Ländervergleiche platziert. Inzwischen rangiert Berlin auf Platz eins. Das geht eindeutig auf das Konto der Linkspartei im Bündnis mit der SPD.

2. 

Nun also „Pro Reli“: Die Initiative will, dass Religionsunterricht an Berliner Schulen obligatorisch eingeführt wird und alternativ zum Pflichtfach „Ethik“ gewählt werden kann. Dafür aktiviert die „Pro-Reli“-Kampagne das werbende Stichwort: „Wahlfreiheit“. „Wahl“ und „Freiheit“ sind Positiv-Slogans, die ihre Wirkung kaum verfehlen dürften.

3. 

So suggeriert „Pro Reli“, Religionsunterricht sei seit 1949 in allen deutschen Landen Schulpflicht. Das ist falsch. In Bremen und in West-Berlin, zum Beispiel, gab es immer abweichende Regelungen. Die Berliner Freiwilligkeit ist obendrein durch das Grundgesetz gedeckt. Das sei den Russen geschuldet, legt „Pro Reli“ nahe. Die Russen im Westen?

4. 

Worum geht es also sachlich? 2006 einigten sich die SPD und DIE LINKE in Berlin auf ein Pflichtfach „Ethik“ ab der siebten Klasse. Kurzgefasst geht es darum: In einer multikulturellen Stadt, mit Bürgerinnen und Bürgern aus 120 Nationen, sollten sich Schülerinnen und Schülern mit dieser kulturellen und religiösen Vielfalt auseinandersetzen.

5. 

Sie sollen das nicht nebeneinander, schon gar nicht gegeneinander, sondern miteinander tun. Das ist der tiefere Sinn des Unterrichtsfachs „LER“ oder „Ethik“ oder wie immer auch das Pflichtfach in den jeweiligen Ländern genannt wird. Dieses Miteinander kann kein Religions-Unterricht ersetzen, der letztlich zum Glauben anhalten will.

6. 

Seitdem laufen einige Kirchen-Vertreter dagegen Sturm. Sie wähnen sich in Moral-Fragen privilegiert und fühlen sich daher von Rot-Rot benachteiligt. Sie drängen in Berliner Schulen, wo sie ohnehin ein verbrieftes Gastrecht genießen. Und sie attackieren humanistische Alternativen als undemokratisch, unfrei und inkompetent.

7. 

Die Berliner CDU unterstützt dies nach Kräften, so, wie die Unionsparteien generell eine deutsche Leitkultur hofieren, die christlich fundiert sein müsse. Der Grat zum nationalistischen Patriotismus und zu deutscher Überheblichkeit ist schmal. Und über allem schwebt die Parole: Assimilation statt Integration. Ist nur ein Christ ist ein guter Deutscher?

8. 

Zurück zu Pro-Reli: Würde sich diese Initiative per Volksentscheid durchsetzen, dann wäre die praktische Konsequenz übersichtlich. Schüler, die sich welcher Religion auch immer zugehörig fühlen, würden in den jeweiligen Konfessionsunterricht gesogen oder gedrängt. Übrig bliebe ein atheistischer Rest für den interkulturellen Dialog - ein einsamer Dialog.

9. 

Pro-Reli ist somit keine Bewegung für „Wahl“ und „Freiheit“, nicht für interkulturelles Lernen und auch nicht für ein Miteinander der Religionen. Pro-Reli ist überhaupt kein Aufbruch, sondern der bekannte Versuch, ein Land zu missionieren. Das ist zwar ein anerkanntes Anliegen der christlichen und anderer Kirchen, aber mitnichten Aufgabe der Schulen.

10. 

Gern zitiere ich daher Henning v. Wedel, Pfarrer i. R. Er schreibt: „Liebe Mitchristen, wissen Sie, was ‚Pro Reli' bedeutet? Wissen Sie, was Sie unterschreiben? Wissen Sie, dass Sie da auch Gutes bekämpfen? Ich fürchte: Nein! Denn ich sehe Sie sehr einseitig informiert. Das bekämpfte Gute ist das Fach ‚Ethik', es steht unsern Wünschen n i c h t im Wege.“

11. 

„Bitte bedenken Sie“, schriebt Henning v. Wedel weiter: „,Prüft alles und das Gute behaltet! Ich sehe das Fach ‚Ethik' als etwas sehr Gutes an: Es verbindet, was getrennt ist, Völker, Kulturen, Religionen, Konfessionen; Schüler sprechen dort nicht über- oder gegeneinander, sondern miteinander.“ So weit der Pfarrer, ein kluger Rufer in der Wüste.

12. 

Der Konflikt „Pro Reli“ kontra „Pro Ethik“ droht zu einem ideologischen Glaubenskampf zu verkommen. Und er kann für eine aufgewärmte Ost-West-Kontroverse missbraucht werden - ein beliebtes Spielfeld der westgeprägten Berliner CDU. Das aber ginge erneut am eigentlichen Problem weit vorbei - raffiniert inszeniert, aber wenig demokratisch.
 

 

 

29.9.2008
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

 

Lesbares

 

Startseite