Eine linke Geschichte

„Die 4. Revolution“ – ausgerechnet in Bayern?

Beitrag von Petra Pau im „Prager Frühling“ - Magazin für Freiheit und Sozialismus
17. Dezember 2010

Im Sommer war ich wieder in Bayern, konkret im Allgäu, auch in der „Hut-Stadt“ Lindenberg. DIE LINKE hatte auf dem Marktplatz einen Stand aufgebaut. Ich kam ein Stündchen dazu. Am Rande gab es die üblichen Schaukästen: der Feuerwehr, des Heimatvereins, der örtlichen Parteien. „Wir laden Sie zu einer Filmvorführung mit anschließender Diskussion ein!“, stand in einem. Der Film, für den geworben wurde, heißt: „Die 4. Revolution!“

Ich kenne ihn. Ein Mitarbeiter meines Bundestagsbüros hatte gesagt: „Kommt alle mit. Den müsst ihr sehen. Dann werdet ihr merken, welche Seele dem Programm-Entwurf der Linken fehlt!“ Also fuhren wir in ein Berliner Szene-Kino. In den großen „Cinema-Centern“ lief er nicht. In Neukölln aber wurde uns die „Revolution“ exklusiv geboten. Ein Dokumentarfilm, der in den USA, in Europa, in Afrika und in Asien spielt.

Schnitt: Ein Dörfchen im tief-schwarzen Afrika, ärmlichste Verhältnisse, finster im Wortsinne und dann ein Lichtfest. Erstmals seit Menschengedenken erhellte dort eine Glühlampe den Alltag. Schnitt: Eine mittelgroße Stadt in Skandinavien. Sie ist inzwischen autonom. Alle Elektro-Energie, die sie braucht, produziert sie selbst. Schnitt: Ein US-Millionär führt den Prototyp eines Alternativ-Automobils vor. Der verbindende Schlüssel: Solar-Energie!

Schnitt: Der zuständige EU-Energie-Beamte erklärt eisern, warum Atom-Energie unverzichtbar sei. Stopp! Nachdenk-Pause! Wir haben nach dem Film zusammen gesessen, überlegt und diskutiert: Was wollte er uns nahebringen? Was davon ist realistisch? Die Kernbotschaft war: Die Ablösung der fossilen und atomaren Energie-Träger durch solare ist binnen drei, vier Jahrzehnten möglich, komplett und weltweit. Was für eine Vision!

Kann so eine Revolution aussehen? Windräder und Solardächer statt Generalstreik und Barrikaden? Womöglich Ja! Womöglich Nein! Im Programm-Entwurf der Linken wird eine „sozial-ökologische Wende“ gefordert. Lothar Bisky mahnte auf dem Programm-Konvent der Linkspartei in Hannover, selbige sei zu abstrakt formuliert, zu wenig mitnehmend. Das finde ich auch, das ist ein Grundmanko des Programm-Entwurfs.

Überhaupt erinnert manches an die programmatische Debatte der PDS anno 2002/2003. Die Partei stritt über Formulierungen. Zur selben Zeit hatte die „taz“ zu einem Kongress „Wie wollen wir morgen leben?“ geladen. Rund zweitausend Interessierte strömten damals ins Berliner „Haus am Köllnischen Park“. Viele hatten vordem (1998) auf Rot-Grün gesetzt und suchten nun nach einer Alternative, nach einer neuen Idee für neue Mehrheiten.

Eine (!) von rund 50 Diskussionsrunden war dem Programm-Entwurf der PDS gewidmet. Der Saal war überfüllt. Nicht von PDS-Mitgliedern, die ließen sich an zwei Händen abzählen. Prof. Michael Brie erläuterte seinerzeit die zentrale Idee des Programm-Entwurfs: Freiheit für alle! Und er schilderte, was er und die PDS-Programmatiker unter „Freiheitsgütern“ verstehen. 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer applaudierten.

Was aber überrascht heute am Programm-Entwurf der Linkspartei? Was fasziniert? Was könnte Hunderte, Tausende, Millionen anziehen? Was ist DIE linke Idee, die BILD empört und Massen ergreift? Mich langweilen die wehrhaften Gralshüter linker Texte. Mich bewegen die Halt suchende Bürgerinnen und Bürger, die fragen: „Wie können wir heute und morgen leben?“ Die gibt es überall. Und zunehmend werden sie ungeduldig.

Sie protestieren: in Stuttgart, im Wendland, in Berlin. Sie fordern mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung. Sie alle wurden übrigens jüngst im Bundestag abgerammt. DIE LINKE hatte erneut einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Volksabstimmungen auch auf Bundesebene vorsah. Die CSU, die CDU, die SPD und die FDP stimmten dagegen. Die Grünen enthielten sich einem klaren Ja oder Nein. Alles wie gehabt und wie gewesen.

Das tiefere Problem ist: Reformen im Politischen und im Parlamentarischen – DIE LINKE fordert sie – greifen zu kurz, wenn es um mehr Demokratie geht. Oskar Lafontaine ruft die Eigentumsfrage in Erinnerung. Sie sei der „archimedische Punkt“ im Programm-Entwurf der LINKEN, meinte er in einem „Rot-Fuchs“-Interview. Damit ist er bei Karl Marx. Das gefällt. Zu recht! Aber es wird eng, wenn damit der Staat als Eigentümer geheiligt wird.

Prof. Wolfgang F. Haug, ein profunder und international anerkannter Marx-Kenner, zog in seinem 1999 erschienen Buch „Politisch richtig oder Richtig politisch“ aus dem Debakel des sowjetischen Sozialismus-Versuches den Schluss: „Links ist alles Handeln, das Welt aus dem Reich des Privateigentums zurückgewinnt, ohne sie dem Reich des Staatsapparats auszuliefern.“ Wo, in der programmatischen Debatte der LINKEN kommt diese Idee vor?

Unstrittig dürfte sein: Der Kapitalismus hat den Feudalismus auch deshalb überwunden, weil er Energien entwickelt hat, die eine neue Welt ermöglichten: Kohle-Energien, Öl-Energien, Gas-Energien, Atom-Energien. Wer sie – ersatzlos – ausschalten wollte, knipste im weitesten Sinne das Licht aus. Ein modernes Leben ohne Energie ist unvorstellbar. Alles würde zusammenbrechen - oder gar nicht erst erblühen.

Das bedeutet auch: Wer die „Energien“ besitzt, herrscht über alles und kann alle beherrschen. Auch die Politik, wie jüngst demonstriert wurde. Ob die schwarz-gelbe Bundesregierung willig war oder erpresst wurde ist zweitrangig. Entscheidend ist: Sie hat die Monopol-Stellung der vier großen Energie-Konzerne hierzulande auf Jahre hinweg zementiert. Das war kein Atom-Deal, das war eine „Konterrevolution“, ein Verrat an der Zukunft.

Prof. Dr. Dieter Klein mahnte auf dem Rostocker Programm-Konvent im September 2010 sinngemäß: Die LINKE wird die soziale Frage langfristig nicht erfolgreich adoptieren können, wenn sie zugleich die Produktivkraft-Entwicklung rechts liegen lässt. Womit wir schon wieder bei Karl Marx wären. Und bei der Frage: Was ist konkret gemeint, wenn DIE LINKE einen „sozial-ökologischen Umbau“ fordert?

Wer mich kennt, weiß: Ich bin kein Öko-Freak, auch keine Öko-Freakin. Meine politischen Vorrang-Themen sind Bürgerrechte und Demokratie. Aber genau deswegen werbe ich für die „4. Revolution“. Eine radikale Energie-Wende, hin zu solaren Quellen, könnte allen kapitalen Kriegs-Gelüsten um die weltweit abnehmenden Gas-, Öl- oder Kohle-Vorräte den Boden entziehen. Sie wäre eine progressive Friedenspolitik im besten Sinne.

Eine radikale Energie-Wende, hin zu solaren Quellen, würde eine regionale und kommunale Selbstversorgung ermöglichen. Die Energie-Verbraucher wären ihre eigenen Energie-Produzenten. Kein kapitales Monopol-Interesse stände mehr zwischen ihnen. Sie könnten sich fremden Mächten entziehen und im eigenen Interesse entscheiden. Das wiederum wäre ein unglaublicher Zugewinn an direkter Demokratie, an Freiheit.

Und auch das schlüge zu Buche: „Die Sonne schickt keine Rechnung!“, heißt es. Stimmt. Die zunehmenden Erschließungs-Kosten für neue Öl- oder Kohle-Reste entfielen ebenso, wie die unkalkulierbaren Folge-Kosten für atomare oder CO2-Abfälle. Natürlich ist Solar-Energie nicht zum Nulltarif zu haben. Aber sie wäre ein gravierender Gewinn an gesellschaftlicher Effektivität. „Solar und solidarisch“, das wäre ein wahrlich „archimedischer Punkt“.

„Die 4. Revolution“ illustriert ein strikt antikapitalistisches Programm. Sie birgt Züge eines Demokratischen Sozialismus. Initiiert und kommentiert wurde der Dok-Film von Hermann Scheer, dem jüngst verstorbenen Träger des Alternativen Nobelpreises, Mitglied der SPD. Und die Einladung zum Kino-Abend mit Diskussion im Bayerischen wurde nicht etwa von den Grünen oder von der Linkspartei ausgehängt, sondern von der örtlichen CSU!
 

 

 

18.12.2010
www.petra-pau.de

 

Seitenanfang

 

 

Lesbares

 

Startseite