DIE LINKE mit Widerstand und Visionen

Neujahrsempfang der Fraktion DIE LINKE in Bonn, 20. Januar 2014
Rede von Petra Pau

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Ich werde drei Geschichten erzählen
und dazu eine persönliche Vision.
 

Die erste Geschichte führt von Schwaben über Brandenburg in die EU.
Hans Wall ist Schwabe und Unternehmer. Seine Firma produziert in Brandenburg und ist mit ihren Produkten weltweit präsent. Es geht um moderne Straßenmöbel: Haltestellen, Toiletten, Internetsäulen.
Man kann sie in Berlin überall sehen.
 

Vor Geraumen führte mich Hans Wall durch seine Werkstätten. Und er erzählte mir dabei seine Philosophie. Eine Gesellschaft mit Zusammenhalt und Zukunft müsse zwei Berufe fürstlich privilegieren, sagte er: Pädagogen und Polizisten.
 

Nun glaube ich zwar: So einfach ist die Geschichte nicht. Aber sie fiel mir wieder ein, als die Troika, also die Europäische Union, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds, Griechenland die Daumenschrauben anlegte.

Daraufhin mussten in Griechenland Tausende Lehrer, Tausende Polizisten und obendrein Tausende Mediziner entlassen werden. Auf Geheiß von Finanzspekulanten und zum Wohle maroder Banken wird der Zusammenhalt und die Zukunft Griechenlands geopfert.
 

Bei alledem spielt die deutsche Regierung eine treibende Rolle und BILD titelte: „Nehmt den Griechen endlich unseren Euro weg.“ So wird Elend gemehrt und Hass geschürt, so werden Nationalismen bedient und die EU gefährdet.
Das darf DIE LINKE weder dulden, noch mitmachen.
Ich sage das auch mit Blick auf die bevorstehenden EU-Wahlen.
Wir müssen jeden EU-feindlichen Populismus meiden.
 

Wir führen keinen Anti-EU-Wahlkampf gegen die AfD,
wir streiten für ein soziales, demokratisches und ökologisches Europa.
Das sind jedenfalls meine Ansicht und meine Absicht.
 

Meine zweite Geschichte führt von den USA via Internet nach Deutschland.
Ich meine die weltweite Spähaffäre der NSA und weiterer Geheimdienste.
Das Agieren der Bundesregierung ist übersichtlich:
 

• Sie tut so, als wären US-Geheimdienste aus dem Ruder gelaufen.
Kanzlerin Merkel: „Das tut man nicht unter Freunden.“
• Sie versucht den Skandal klein zu reden.
Kanzleramtschef Pofalla: „Das Problem ist gelöst.“
• Sie betont die deutsch-amerikanische Wertegemeinschaft.
Innenminister Friedrich: „Anti-Amerikanismus geht mir auf den Senkel.“
Das waren Zitate vom Sommer 2013. Inzwischen klingt es etwas anders.
Aber die Stoßrichtung bleibt dieselbe. Betont wird die westliche Wertegemeinschaft, die Deutschland und die USA verbinde und die über allem throne.
 

Gregor Gysi hatte zur Wertegemeinschaft bereits linken Dissens angemerkt.
Er hat an den Vietnam-Krieg erinnert, an den Putsch gegen Allende und aktuell an das völkerrechtswidrige US-Lager auf Guantanamo. Ich wiederhole: Mit diesen „Werten“ haben wir nichts gemein! Anhand des NSA-Skandals will ich das noch deutlicher machen.
 

Fakt ist: Die Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern - auch in Deutschland - wird millionenfach überwacht und ausgespäht. Dabei ist es aus bürgerrechtlicher Sicht Wurscht, ob es sich um das Handy von Frau Merkel oder um die E-Mails von Frau Müller handelt. Beides ist nicht hinnehmbar.
 

• Erstens ist das ein massiver Verstoß gegen Artikel 10 Grundgesetz, dem verbrieften Recht auf das Post- und Fernmeldegeheimnis.
• Zweitens ist das ein Einbruch in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und daraus abgeleitet den Datenschutz.
 

Zu diesem Punkt eine Anmerkung mehr: 1983 hatte das Bundesverfassungsgericht ein weitreichendes Urteil verkündet. Es ging als „Volkszählungsurteil“ in die bundesdeutsche Rechtssprechung ein. Sinngemäß befanden die obersten Richter:
Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän. Wer als Mensch nicht mehr souverän ist, kann als Bürger kein Souverän sein. Eine Demokratie ohne politische Souveräne aber ist undenkbar.
 

• Wir haben es also Drittens mit einem Angriff auf die Demokratie zu tun.
Aber auch das ist noch nicht alles. Da offenbar jede und jeder ausgespäht wird, werden es auch Anwälte, Journalisten, Ärzte und Geistliche. Alle vier Berufe sind aus guten demokratischen Gründen privilegiert: Anwälte zugunsten ihrer Klientel, Journalisten zugunsten ihrer Informanten, Ärzte zugunsten ihrer Patienten, Geistliche zugunsten der Beichte.
• Also Punkt Vier: Es geht um Angriffe auf den Rechtsstaat, gegen die Pressefreiheit, auf Persönlichkeitsrechte.
• Zudem Punkt fünf: Unwidersprochen ist, dass US-Geheimdienste von deutschem Boden aus Kriege vorbereiten und völkerrechtswidrig führen.
Sie nehmen wie selbstverständlich Deutschland in Geiselhaft. Und Haft ist bekanntlich das Gegenteil von Freiheit.
 

Und deshalb frage ich: Über welche Wertegemeinschaft reden wir,
• wenn Bürger- und Persönlichkeitsrechte,
• wenn der Rechtsstaat und die Pressefreiheit,
• wenn die Demokratie, die Selbstbestimmung und die Freiheit systematisch unterlaufen und ausgehöhlt werden?
 

Die alte und offenbar auch die aktuelle Bundesregierung buchen das alles noch immer unter „dumm gelaufen“ ab. Ich sage: Das ist vorsätzlicher Meineid wider das Grundgesetz. Und da haben wir über die Rolle deutscher Geheimdienste noch gar nicht geredet. Ein weiteres Thema, das die Bundesregierung tunlichst meidet. Und zugleich zeigt sich die bundesdeutsche Doppelmoral: Bürgerrechtler in der DDR wurden gelobt und unterstützt. Bürgerrechtler aus den USA werden geblockt und ignoriert.
 

Ich finde: Die Haltung zu Edward Snowden ist ein aktueller Lackmus-Test für die Haltung zu Bürgerrechten und zur Demokratie. Und da meine ich, die Position der LINKEN ist klar: Ja zu Bürgerrechten! Ja zur Demokratie! Ja zu Edward Snowden!
 

Meine dritte Geschichte betrifft ebenfalls die USA und die EU, und damit auch Deutschland. Ich meine das geplante Freihandelsabkommen. Es gibt verschiedene Gründe, dagegen zu sein. Gleichwohl wird es offiziell als ein Wohl und Segen globaler Partnerschaft gepriesen. Und die Wort-Kombination von „frei“, „Handel“ und „Abkommen“ suggeriert ja auch Gutes. Es steckt nur nicht drin, was drauf steht.
 

Im Gegenteil: Denn im Kern würde mit einem solchen Abkommen der Einfluss der Politik auf wirtschaftliche Vorhaben gen Null getrieben. Im Zweifel könnten Konzerne die Politik verklagen und sie bekämen - so in den USA und Kanada bereits geschehen - auch noch Recht.
 

Übersetzt: Die Politik muss soziale, ökologische und ethische Standards setzen können, an die sich Konzerne zu halten haben. Als klassisches Beispiel wird immer auf Gen-manipulierte Produkte verwiesen, die in Europa weitgehend verboten, in den USA aber erlaubt sind. Auch die Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen könnte so obsolet werden, weil sie als Eingriff in die absolute Freiheit der Wirtschaft auslegbar wäre.
 

Aber der Teufelskreis ist viel weiter. Im Kern ist das Freihandelsabkommen ein neoliberales Projekt, nach dem der Markt alles und die Politik nichts darf. Angela Merkel hat gemeint: „Wir brauchen eine marktkonforme Demokratie!“ Ich sage: Wir brauchen eine demokratiekonforme Wirtschaft.
 

Resümee:
Alle drei Geschichten haben eine Klammer: Sie attackieren die Demokratie.
• Gelder für Griechenland waren übrigens an die Auflage gebunden, dass alle Parlamentsparteien sich den Troika-Bedingungen unterwerfen, alle.
Damit wurde das Parlament quasi „Schach matt“ gesetzt.
• Der NSA-Skandal ist eine Kapitulation der Politik vor Geheimdiensten.
Die wiederum sind ihrem Wesen nach nicht kontrollierbar und mithin Fremdkörper einer lebendigen Demokratie.
• Schließlich wirkt das TTIP, so das Kürzel des Freihandelsabkommens, in dieselbe Richtung. Es ist schlicht anti-demokratisch und nicht ohne Grund werden die laufenden Verhandlungen dazu auch weitgehend geheim gehalten.
 

Darüber und dagegen müssen wir aufklären.
 

Ich habe im Sommer 2013 übrigens mit Missmut aus der LINKEN die Forderung vernommen, die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen sollten ausgesetzt werden, bis der NSA-Skandal aufgeklärt sei. Frei nach dem Motto: „Tust du mir Böses, gönne ich dir nichts Gutes.“ Es ist aber nichts Gutes im Spiel. Beides ist böse: die geheime Macht der Geheimdienste und die unheimliche Macht des Kapitals.
Gegen alle drei Geschichten regt sich übrigens Widerstand, zunehmender und international. DIE LINKE tut gut daran, ihn als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei zu unterstützen.
 

Nun zu meiner persönlichen Vision:

Stellen wir uns vor, die Revolution leuchtet am Horizont und wir übersehen die Signale. Das wäre peinlich und schade. In einem Strategiepapier der LINKEN heißt es sinngemäß: Es bleibe richtig, wenn DIE LINKE als Anti-Hartz- oder als Pro-Ost-Partei wahrgenommen wird. Aber das reiche nicht. DIE LINKE müsse künftig stärker mit einer Zukunfts-Option verbunden werden - erkennbar, glaubhaft, positiv. Das teile ich und will euch deshalb abschließend auf eine gedankliche Reise mitnehmen. Übrigens durchaus im Sinne von Karl Marx.
 

Marx wurde ja überraschend geadelt. Sein „Kommunistisches Manifest“ und „Das Kapital“ wurden von der UNESCO zum Welt-Kulturerbe erhoben. Aus seiner Sicht hatte jede große gesellschaftliche Umwälzung, zum Beispiel vom Feudalismus zum Kapitalismus, stets materielle Grundlagen. Dabei ging es immer um zwei Komponenten: die Nutzung qualitativ neuer Energien und bis dato nicht bekannte Kommunikations-Möglichkeiten.
 

Ich nenne als Stichworte nur Dampfmaschine und Telegrafie. Sie waren Voraussetzung und Beschleuniger des Kapitalismus. Und so frage ich: Könnte es nicht sein, dass die Solar-Energie und das Internet materielle Voraussetzungen für eine sozialistische Gesellschaft bergen? Ich will das jetzt inhaltlich gar nicht aufdröseln. Und natürlich bleiben gesellschaftliche Umbrüche immer Ergebnisse politischer Kämpfe. Und wir erleben es ja aktuell: Die Energie-Wende ist genau so umkämpft, wie das Internet. Es geht um Macht und Profit kontra Demokratie und Freiheit.
 

Wenn nun an meiner Vision etwas ernsthaft dran sein sollte - und ich bin mit dieser These nicht allein - dann fordert sie Konsequenzen für DIE LINKE. Noch gelten Ökologie und Netzpolitik bei uns als Nischen- oder Hobby-Themen.
Sie müssten dann aber künftig linke Markenzeichen werden. Meine zentralen Themen sind Bürgerrechte und Demokratie. Ich bin keine ausgewiesene Ökologin und auch keine Netz-Expertin. Aber die soziale Frage, die Friedensfrage, der Kampf um Bürgerrechte und Demokratie führen mich genau dorthin. Damit will ich euch anregen und Mut machen.
DIE LINKE hat, davon bin ich überzeugt, eine Zukunft, wenn sie Solidarität vorlebt und Zukunft verheißt - mit Widerstand und mit Visionen.
 
 

 

 

20.1.2014
www.petra-pau.de

 

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