Gibt es einen neuen Terror von rechts, Frau Pau?

Linkspolitikerin im Interview
„BZ“ vom 16. April 2016

Das Thema Rechtsextremismus treibt Petra Pau um. In der B.Z. spricht sie über Neonazis, den Fall „Elena“, die AfD und ihre Freundschaft mit einem CSU-Politiker.

Die Berlinerin Petra Pau (52, Linkspartei) wurde seit 1998 fünf Mal als Direktkandidatin in den Bundestag gewählt. Sie Vizepräsidentin des Parlaments (seit 2006) und Obfrau der Linken im 2. NSU-Untersuchungsausschuss.

Die angebliche Vergewaltigung der Russlanddeutschen „Elena“ (14, Name geändert) durch Flüchtlinge in ihrem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf wurde von rechten Gruppen und russischen Staatsmedien für Propaganda missbraucht. B.Z.-Redakteurin Ulrike Ruppel traf Petra Pau zum Interview

Warum brauchen wir einen 2. NSU-Untersuchungsausschuss?

Weil noch viel zu viele Fragen offen sind. Insbesondere wollen wir klären, was nach der Entdeckung des NSU im November 2011 getan wurde, um das Unterstützernetzwerk auszuhebeln. Denn eines ist klar: Das Trio muss Helfer gehabt haben, an allen Tatorten. Deshalb untersuchen wir nicht nur die Vergangenheit, sondern auch, welche Strukturen weiter wirken und wo es gefährliche Entwicklungen gibt. Zu unserem Auftrag gehört, auch auf die heutigen Verhältnisse zu schauen.

Entwickelt sich ein neuer Rechtsterrorismus?

Meines Erachtens ist er längst da. Vieles erinnert heute an die 90er Jahre, in denen der NSU entstand. Auch damals gab es Übergriffe auf Asylunterkünfte und so genannte Bürgerwehren. Rassistischen Gruppen gelingt es damals wie heute, junge Menschen zu aktivieren. Und damals wie heute wird vieles ignoriert. In Nauen gab es ein Jahr lang Rechtsterror, bevor wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde. Auch in Freital und anderswo gibt es offenbar terroristische Strukturen. Es ist nicht fünf vor, sondern längst fünf nach zwölf.

Sind sich da alle Parteienvertreter im Ausschuss einig?

Da erlebe ich eine große Einigkeit. Zum Abschluss des ersten Runde hatte der Ausschuss 47 Vorschläge vorgelegt. Dazu gehörte, bei Straftaten genau hinzusehen, ob sie rassistisch motiviert sind. Trotzdem wird vieles mit dem alten Rechts-Links-Schema oder als Alkohol-Entgleisung abgetan. Das greift zu kurz, da sind wir uns einig, von den Unionsvertretern bis zur Linkspartei.

Wie erklären Sie sich die Häufung solcher Vorfälle im Osten der Republik?

Richtig ist, dass hier offenbar ein höheres Mobilisierungspotenzial da ist. Das ist aus meiner Sicht nicht nur mit der Ost-Sozialisation oder Frust zu erklären. Studien belegen, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die Akzeptanz von Gewalt zur Problemlösung bundesweit zunimmt.

Nach Ansicht vieler Experten spielt die DDR-Prägung sehr wohl eine Rolle spielt – das Nicht-Einüben von Demokratie, der Mangel an Vielfalt, Ohnmachtsgefühle. Wie gewichten Sie das?

Das ist sicher auch ein Muster. Richtig ist, dass man in der DDR nicht unbedingt in einer multikulturellen Gesellschaft gelebt hat und der Umgang mit den vietnamesischen oder mosambikanischen Gastarbeitern weder respektvoll war, noch auf Integration abzielte. Aber wir sind im Jahr 2016, und deshalb rede ich auch über die politischen Versäumnisse der letzten 26 Jahre. Dazu gehört, dass die Verantwortlichen nicht in die Auseinandersetzung mit diesen rassistischen Strukturen gegangen sind. Erst als der Tourismus und der Wirtschaftsstandort gefährdet waren, hat man auf rechte Gewalt geschaut.

Auch die AfD legt im Osten zu, auf Kosten der Linken. Wie gehen Sie damit um?

Die AfD erstarkt genauso im Westen und auf Kosten der anderen Parteien. Als Direktkandidatin in Marzahn-Hellersdorf wurde ich von einigen Menschen wegen, von anderen trotz meiner antirassistischen Positionen gewählt, weil es offensichtlich viele weitere Punkte gab, die wahlentscheidend waren. Deshalb sage ich: Die Linke darf auf gar keinen Fall Grundpositionen aufgeben, um der AfD das Wasser abzugraben.

Genau das werfen einige Politiker der Linkspartei Sahra Wagenknecht vor, die vor einer Überforderung Deutschlands durch die Flüchtlinge warnte.

Diese Diskussion wurde vor sechs Wochen ausgetragen und ist für mich abgeschlossen.

Wie wollen Sie der AfD begegnen?

Wir müssen den Wählerinnen und Wählern sehr deutlich machen, dass wir es mit einer rechtskonservativen rassistischen Partei zu tun haben. Ansonsten kann es helfen, mit Sympathisanten das AfD-Programm durchzugehen: Frauen sollen drei Kinder kriegen, Atomkraft-Comeback, Mindestlohn weg – das wollen viele dann doch nicht. Die Ausgrenzung der AfD und ihrer Wähler hilft nicht weiter. Wir müssen uns mit den Positionen auseinandersetzen, das wirkt entlarvend.

Wie ist die Stimmung im Wahlkreis nach dem Fall „Elena“?

Unter den Aussiedlern aus der früheren Sowjetunion hatte es seinerzeit tatsächlich Beunruhigung gegeben. Was dann bei den Demonstrationen an rechten und rassistischen Kräften zusammenkam, hat mich erschreckt und erstaunt. Inzwischen ist den meisten wohl klar, dass an der Sache nichts dran war. Die Ereignisse haben aber deutlich gemacht, dass wir der russlanddeutschen Community noch mehr zeigen müssen, dass sie zu uns gehört und die demokratischen Institutionen auch für sie da sind.

Gärt da gar nichts mehr?

Etwas gärt garantiert noch und wird von rechten Mini-Gruppierungen und der NPD benutzt. Ich habe aber den Eindruck, da zieht eine Trennschärfe ein, und einige waren sehr erschrocken, als sie erkannten, mit wem sie sich da gemein gemacht haben.

Wie sehr beunruhigt Sie die russische Propaganda durch gefälschte Nachrichten?

Die Kreml-Agitation gegen Flüchtlinge ist ekelhaft. Gerade gab es im Internet wieder einen angeblichen Vor-Ort-Bericht aus einem angeblich von Muslimen übernommenen Stadtteil in Berlin. Diese Propaganda zielt in erster Linie innenpolitisch nach Russland, um von den Problemen dort abzulenken. Aber sie will auch die Leute hier ansprechen, klar.

Ist die Linke zu unkritisch gegenüber Russland?

Ich bin weder Anwältin von Herrn Putin noch von seiner Politik.

Sie unterhalten persönliche Freundschaften über die Parteigrenzen hinweg. Aber was verbindet Sie mit dem CSU-Abgeordneten Eduard Oswald?

Im Mai 2010 versagte meine Stimme. Ich war erkrankt, und keiner konnte mir helfen. Nach zwei Jahren Ärzte-Odyssee ging es langsam aufwärts und ich konnte wieder den Bundestag leiten. Und immer wenn es schwierig wurde, stand da Ede Oswald hinter mir, der ebenfalls Vizepräsident war, und sagte: ‚Ich lös‘ Dich jetzt mal ab. Du wirst noch gebraucht.‘ So hat unsere Freundschaft begonnen.

Interview: Ulrike Ruppel

 

 

16.4.2016
www.petra-pau.de

 

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