Auf, dass der Zug nicht rückwärts fährt


„100 Jahre Frauenrechte“ 2019 - Veranstaltung der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte zum Internationalen Frauentag
Festrede Petra Pau
Heidelberg, 8. März 2019

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Im Land Berlin ist der 8. März, also der Internationale Frauentag, auf Beschluss von SPD, LINKE und Bündnis 90/Die Grünen seit kurzem ein offizieller Feiertag.
Soviel ich weiß, ist er das nur in Berlin. Das Gros der deutschen Feiertage ist ohnehin religiös geprägt, genauer christlich.

Als spruchreif wurde, dass Berlin, das Land mit den bundesweit wenigsten Feiertagen, sich einen weiteren gönne, waren verschiedene Daten im Gespräch. Meine Partei hatte lange den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Faschismus, favorisiert. Ich hingegen war für den 18 März.

Damit wäre alljährlich eine Erinnerung an die Revolution anno 1848 verbunden gewesen und ebenso eine an die erste und letzte freie, geheime und gleiche Wahl in der finalen DDR möglich geworden. Gut, es kam anders. Das ist kein Drama. Ich finde es nur schade und den 18. März spannender.

Nun haben wir es aktuell mit zahlreichen 100-jährigen Jubiläen zu tun.
1918/1919 war eine höchst bewegte Zeit: Novemberrevolution, Abdankung des Kaisers, Gründung der Weimarer Republik, Einführung des Wahlrechtes für Frauen, Annahme einer Verfassung …

Der Kampf um gleiche Rechte für Frauen hatte damals übrigens auch viel mit Clara Zetkin zu tun. Das weiß nicht jeder und die Erinnerung an sie ist offenbar nicht immer gewollt. Ich lese Ihnen dazu eine Episode aus meinem Buch „Gottlose Type - meine unfrisierten Erinnerungen“ vor.
 

„Ironie der Geschichte

Ab Mai 1990, also zu DDR-Endzeiten, wurden landauf, landab Straßen umbenannt. Allemal solche, die Namen von Kommunisten trugen, kamen in den Blick kritischer Kommissionen. Ich war gerade frisch in die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Hellersdorf gewählt worden und plötzlich Schriftführerin eines solchen Gremiums. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber es war eine spannende Zeit, die viel mit Geschichte zu tun hatte. Die nahende deutsche Einheit war überhaupt eine überraschende Chance, sich in Ost und West mit der eigenen und der gemeinsamen Historie auseinander zu setzen. Aber der Westen wähnte sich als Sieger und hatte folglich wenig Lust, an seinen Straßennamen herumzumäkeln, auch in Berlin nicht. Und so tragen noch heute etliche Straßen rund um das Tempelhofer Feld Namen von Offizieren der deutschen Wehrmacht, die 1941 nach dem Überfall auf die Sowjetunion diese besonders heldenhaft für Volk und Führer bombten. Und trotz wiederholter Initiativen, zum Beispiel der SPD-Steglitz, heißt auch die „Spanische Allee“ noch immer „Spanische Allee“. Nicht, weil es auf Mallorca so schön sein soll. Auf dieser langen, breiten Straße wurde 1936 die faschistische „Legion Condor“ gefeiert, nachdem diese siegreich aus dem Spanischen Bürgerkrieg heimkehrt war.

Später, 1995, kam überraschend eine Order aus Bonn. Noch einmal sollte in Berlin-Mitte eine Straße umbenannt werden. Der Umzug des Bundestages vom Rhein an die Spree war beschlossene Sache. Das historische Reichstagsgebäude wurde längst äußerlich saniert und im Inneren für einen modernen Parlamentsbetrieb umgebaut. Da fiel eifrigen Tugendwächtern ein eklatanter Makel auf. Die Straße, die aus Richtung Osten kommend in das künftige Parlamentsviertel führt, war nach Clara Zetkin benannt. Clara Zetkin war Sächsin, sie war Frauenrechtlerin, sie war Antifaschistin, sie war sogar die letzte Alterspräsidentin des Reichstages, bevor dieses Parlament von Hitler liquidiert wurde. Das alles hätte man Clara Zetkin vielleicht noch durchgehen lassen. Aber sie war auch Mitglied der KPD und nach einer Kommunistin durfte diese Straße auf keinen Fall benannt bleiben.

Dagegen regte sich Protest aus Frauenbewegungen, aus der SPD, aus der PDS, von Bündnis 90/Die Grünen. Ein Foto belegt, wie Renate Künast, seinerzeit Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, und ich, damals Landesvorsitzende der Berlin PDS, auf einer Leiter standen und das Clara-Zetkin-Schild festhielten. Vergebens. Sie wurde „Dorotheenstraße“ genannt und soll so wieder an Dorothea Sophie von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, auch als Kurfürstin Dorothea von Brandenburg bekannt, erinnern. Es geht voran.

Zehn Jahre später, 2005, gab es eine vorgezogene Wahl zum Deutschen Bundestag. Mit ihr endete auch meine Zeit als „Einzelabgeordnete“. DIE LINKE, damals ein Bündnis aus Linkspartei.PDS, WASG und linken Parteilosen, wurde erstmals ins Hohe Haus gewählt. Allen Fraktionen steht im Reichstagsgebäude ein angemessener Beratungsraum zu, direkt unter der Kuppel. Und es ist Brauch, diesem einen Namen zu geben: „Konrad-Adenauer-Saal“ (CDU/CSU), „Willi-Brandt-Saal“ (SPD), und so weiter. Wie aber könnte der Fraktionsraum der Linken heißen? Oskar Lafontaine schlug Rosa Luxemburg als Namens-Patronin vor, naheliegend. Gesine Lötzsch, ich und andere plädierten hingegen für Clara Zetkin und so kam es dann auch. Ironie der Geschichte: Vor dem Bundestag wurde die Erinnerung an Clara Zetkin getilgt. Nun ist sie drin.“
 

Wenn Sie mehr über Clara Zetkin und ihr Engagement auch als Sozialdemokratin - im Kampf für Frauenrechte und gegen den Krieg - wissen wollen, dann empfehle ich Ihnen die Broschüre „Her mit dem allgemeinen, gleichen Wahlrecht für Mann und Frau“. Autorin ist Gisela Notz, Herausgeber die Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ein weiterer 100. Jahrestag war übrigens am 19. Februar. An diesem Datum 1919 sprach erstmals eine Frau in einem deutschen Parlament. Es war die Reichstagsabgeordnete Marie Juchacz (SPD).

Sie begann mit „Meine Herren und Damen! <
„Heiterkeit“, wurde darob im Protokoll vermerkt.

Später sagte sie: „Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Sie meinte das Frauenwahlrecht.

Zur Geschichte gehört aber auch, dass es lange, lange gedauert hatte, bis das Frauenwahlrecht in der SPD mehrheitsfähig wurde. Insbesondere die Männer waren viele Jahre dagegen, von Ausnahmen - wie August Bebel - abgesehen.

Erst Anfang des 20. Jahrhundert gewann die Forderung nach einem Frauenwahlrecht in der Sozialdemokratie die Oberhand, übrigens länderübergreifend, beschleunigt durch die Einführung eines Internationalen Frauentags und durch internationale Frauenbünde. Gleichwohl prallten einschlägige SPD-Anträge stets an der bürgerlichen Mehrheit ab - bis 1919.

Übrigens: Die Wahlbeteiligung war im Januar 1919 außerordentlich hoch, 82,4% bei den Männern und 82,3% bei den Frauen. Wobei das Gros der Frauen seinerzeit nicht die SPD wählte, sondern jene Parteien, die eigentlich gegen das Frauenwahlrecht waren. Übertroffen wurde diese Wahlbeteiligung erstmals am 18. März 1990 in der DDR. Und wieder wählte das Gros nicht die Bürgerbewegten, die den demokratischen Aufbruch bewirkt hatten.
Aber das nur als Episoden nebenbei.

Marie Juchacz sagte in ihrer Premierenrede auch:
„Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Es wird anstrengendster und zielbewußtester Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt.“

Sie sollte Recht haben, viel mehr, als sie damals wohl geahnt hatte. Ihre letzte Rede im Reichstag hielt sie am 26. Februar 1932. Die Nacht des Faschismus dämmerte bereits finster. Marie Juchacz rief die Frauen auf, den Kampf für Frieden und Freiheit aufzunehmen, „gegen den Todfeind, den Faschismus!“

Heute wissen wir: Es kam anders. Dazu gehörte auch: Von einer Gleichberechtigung der Frauen war keine Rede mehr. Frauen sollten dem „Führer Kinder schenken“ und mussten vielfach in Rüstungsbetrieben für den Krieg zwangsarbeiten, weil die Männer an die Front geschickt wurden.

Wie sah es mit der Gleichberechtigung in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg aus? Besser! Für die Bundesrepublik Deutschland (alt) setzten die wenigen Mütter des Grundgesetzes Artikel 3 (2) durch: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ In der DDR-Verfassung hieß es: „Mann und Frau sind gleichberechtigt.“ Das waren gute Absichtserklärungen, von Staats wegen.

Doch waren sie wirklich gleichberechtigt?

Am 17. Januar gedachte der Deutsche Bundestag der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren. Festrednerin war Dr. Christine Bergmann. <<
Sie war die letzte Präsidentin der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung, später Senatorin im vereinigten Berlin, von 1998 bis 2002 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und, das wissen nur wenige, Mitbegründerin der ÜPFI, der überparteilichen Fraueninitiative beim Abgeordnetenhaus, dem Berliner Landesparlament.

Um Missverständnissen vorzubeugen, füge ich ein: Ich bin in der DDR groß geworden und ich bin als LINKE der Meinung, dass die DDR vor allem an ihren eigenen Defiziten gescheitert ist. Mit Ostalgie habe ich also nichts zu tun.

Nach diesem Einschub zurück zu Christine Bergmann:
Eine zentrale Thesen ihrer Rede war: In der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frau und Mann war die DDR bedeutend weiter als die BRD - in der gesellschaftlichen Stellung, in der Förderung, im Arbeitsleben und überhaupt.

Zur Erinnerung:
Bis 1958 hatten in der Bundesrepublik-alt Männer in allen Familien-Angelegenheiten das Entscheidungsrecht und mithin auch über Frauen.
Bis 1977 brauchte in der Bundesrepublik-alt die Ehefrau zum Abschluss eines Arbeitsvertrages die Zustimmung ihres Ehemannes. Ich könnte noch weitere Diskriminierungen von Frauen in der Bundesrepublik-alt anführen, die es so in der DDR nicht gab.

Bei der Vereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 wurde das Thema Gleichberechtigung und die gesellschaftlichen Bedingungen dazu allerdings komplett ausgeblendet. Zumal es keine Vereinigung gab, sondern einen Beitritt der DDR zu den Bedingungen der BRD. Das wirkt negativ nach, so sinngemäß Christine Bergmann.

Viele DDR-Frauen sind davon besonders betroffen. Hierzulande werden auch 2019 erwerbstätige Frauen in aller Regel noch immer schlechter bezahlt als Männer. Hinzu kommt: Ossis müssen für weniger Geld noch immer länger arbeiten als Wessis. Für Frauen in den so genannten neuen Bundesländern ist das doppelt erniedrigend. Und für Frauen im Westen ist das wenig ermutigend.

Insofern lächele ich immer sehr finster, wenn Jahr für Jahr zum Jahrestag der Wiedervereinigung regierungsamtlich dieselbe Botschaft gestanzt wird: „Wir haben schon viel erreicht, aber noch nicht alles.“ Hohler geht es kaum.

Christine Bergmann mahnte schließlich mit Blick auf aktuelle Entwicklungen: „Wir müssen aufpassen, dass der Zug nicht rückwärtsfährt und mühsam errungenes Terrain nicht verloren geht. Nichts ist für immer errungen!“

Recht hat sie. Zumal im Deutschen Bundestag inzwischen wieder eine Partei agiert, die meint: Männer sollen die Familie ernähren und Frauen Kinder gebären. Diese Diskriminierung von Frauen wollte Clara Zetkin nicht, das wollte Marie Juchacz nicht, und das will ich - 100 Jahre später - auch nicht.
 
 

 

 

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