Verbraucherschutz

Bundestag, 10. Juni 2021 Debatte zur Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften
Rede von Petra Pau

(zu Protokoll gegeben)

Wir verabschieden heute zwei Gesetze, die den Verbraucherschutz in Deutschland stärken sollen. Es ist wieder einmal die Europäische Union, die einen besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher von den Nati¬onalstaaten fordert. Der europäische Gesetzgeber gibt vor, dass Verbraucherinnen und Verbraucher einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens haben, wenn sie durch unlautere Methoden von Unternehmen abgezockt werden. Wenn zum Beispiel Schlüs¬seldienste die Notsituationen von Menschen vor verschlossenen Türen ausnutzen und auf fast kriminelle Weise das Dreifache des marktüblichen Preises von ihnen verlangen, bevor sie sie wieder in ihre Wohnung lassen. Dieser Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Verbot unlauteren Wettbewerbs ist lange überfällig. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum die Koalition weitere Hindernisse eingebaut hat, indem der Anspruch schon nach einem Jahr verjährt, statt, wie sonst üblich, nach drei Jahren.

Gleichwohl stellt sich die Frage, wie der normale Bürger/die normale Bürgerin das in ihrer Not ge-zahlte Geld wieder zurückbekommt. Das Verbot der Sofortzahlung hilft nicht weiter, wenn der Schlüsseldienst oder der Rohrreiniger schon über alle Berge ist. Bei unseriösen Firmen ist dies eher an der Tagesordnung. Was ist mit Menschen, die an der Haustür durch Drückerkolonnen gezielt zum Kauf überteuerter Weine überredet wurden oder einer überteuerten Reise bei einer „Kaffeefahrt“ zugestimmt haben? Die Linke will, dass man auch in Haustürgeschäfte einwilligen muss und für solche Geschäfte die Widerspruchsfrist von 14 auf 30 Tage verlängert wird. Die EU-Richtlinie ermöglicht das. Aber die Koalition greift diesen minimalen Schutz für besonders verletzliche Verbrauchergruppen nicht auf.

Für einen überzeugenden Verbraucherschutz braucht es aus Sicht der Linken mehr als einen individuellen Schadensersatzanspruch. Wir sprechen uns dafür aus, dass die Gewerbeordnung geschärft wird, damit die Gewerbeaufsicht gegen solche Unternehmer vorgehen kann, die systematisch gesetzlich geschützte Verbraucherinteressen missachten. Erheblichen Schaden verursachen immer wieder Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf eine „Abzocke“ von Verbraucherinnen und Verbrauchern ausgerichtet ist. Unterlassungsklagen durch Verbraucherbände können in diesen Fällen nicht wirk¬lich weiterhelfen, da solche Unternehmer oft ihr Geschäftsmodell minimal ändern und dann weitermachen; die erstrittenen Unterlassungstitel laufen faktisch weitgehend ins Leere. Abhilfe könnten hier Gewerbeuntersagungsverfügungen leisten. Leider schreiten die zuständigen Gewerbebehörden nicht ein, weil sie – wie in der Anhörung im Bun-destag deutlich wurde – die Belange des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes aus ihrem Aufgabengebiet ausblenden und die unteren Gewerbebehörden zu¬dem strukturelle Probleme haben; sie sind hinsichtlich der häufig sehr komplexen rechtlichen Fragen, die auch eines Verständnisses des Verbraucher- und Lauterkeitsrechts bedürfen, nur unzureichend geeignet. Auch dürften Gewerbesteuereinnahmen und andere lokale Faktoren zu einer gewissen „Beißhemmung“, wie ein Sachverständiger in der Anhörung formulierte, seitens der örtlichen Behörden führen.

Um Verbesserungen zu erzielen, müsste der Begriff „Unzuverlässigkeit“ in § 35 der Gewerbeordnung definiert werden. Diese könnte „:bei einer systematischen Missachtung der gesetzlich geschützten Verbraucherinteressen“ vorliegen. Verbraucherbände müssten außerdem ein Recht haben, die Behörden zum Eingreifen gegen unzuverlässige Unternehmerinnen oder Unternehmer aufzufordern, wenn sie im Rahmen ihrer Beratung oder Marktbeobachtung systematische Verletzungen feststellen.

Die Probleme bei der Rechtsdurchsetzung zeigen auch, wie wichtig eine Weiterentwicklung des Bundesamtes für Justiz zu einer echten Bundes-Verbraucherschutzbehörde ist, wie es Die Linke seit Jahren fordert. Diese Behörde könnte mithilfe von Allgemeinverfügungen die Verwendung festgestellter rechtswidriger Vertragsklauseln oder bestimmte unlautere Handlungsweisen allgemein untersagen. Damit könnte das Problem beseitigt werden, dass die Ver-braucherverbände gegen jedes Unternehmen, das eine rechtswidrige Klausel wort- und/oder inhaltsgleich verwendet, einzeln klagen müssen. Das reduziert Aufwand, Kosten und Zeit bei der Justiz wie auch bei den Verbänden und hätte unmittelbar positive Wirkung auf die Einhaltung der Verbraucherrechtsvorschriften. Diese Allgemeinverfügungen könnten mit einer Folgenbeseitigungsanordnung verbunden werden. Dadurch würde man erreichen, dass bereits rechtswidrig vereinnahmte Kundengelder – beispielsweise aufgrund von Preiserhöhungsklauseln in den AGB, wie sie etwa im Banken-, Telekommunikations- und Luftverkehrssektor vorkommen, automatisch durch das Unternehmen an die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgezahlt werden müssten.

Das Gesetz sieht nunmehr hohe Bußgelder gegen Unternehmen vor, die EU-weit systematisch Ver-braucherinteressen verletzen. Leider hatte die Koalition nicht den Mumm, diese Bußgeldmöglichkeit auf Verletzungen auszuweiten, durch die zwar ebenso systematisch eine große Anzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern geschädigt wer-den, die aber innerstaatlich sind, also auf den deutschen Markt beschränkt bleiben.

Alles in allem sind die Regelungen enttäuschend.
 
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

10.6.2021
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