Empfang anlässlich 30 Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Rede von Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin
Berlin, 17. März 2022

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Sehr geehrter Herr Dr. Thierse,
sehr geehrter Herr Eppelmann,
sehr geehrte Mitglieder der Enquete-Kommission,
liebe Gäste!

Wir sind im 21. Jahrhundert. In Europa ist Krieg. Der Präsident Russlands, Putin, hat sein Militär gegen die Ukraine gehetzt. Es gibt unendliches Leid, und es herrscht große Angst auch angesichts der Tatsache, dass Russland eine Atommacht ist.

In Russland wird (Zitat) „das Weiße schwarz und das Schwarze weiß“, sagte Irina Scherbakowa dieser Tage und weiter: Es ist „unglaublich, dass man dazu nicht in der Vergangenheit forscht, sondern es täglich selbst erlebt.“

Irina Scherbakowa ist Russin und Historikerin. Als solche ist sie auch in Deutschland unterwegs und engagiert. In Russland arbeitet sie für die Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die den Opfern des Stalinismus eine Stimme gibt. Gegründet wurde „Memorial“ in der sowjetischen Endzeit mit Glasnost und Perestroika. Seit einigen Monaten ist „Memorial“ verboten. Kürzlich konfiszierten Putins Elitetruppen in ihren Räumen Materialien, Zeitzeugnisse, die nicht in sein Weltbild passen.

Ich habe die friedliche Revolution, andere nannten es Wende, 1989/90 als DDR-Bürgerin erlebt. Wobei ich das Wort Wende nicht mag. Es ging um einen historischen Neuanfang, einen historischen Aufbruch. Ein Neuanfang setzt die Anerkennung vergangenen Unrechts voraus. Demokratie braucht die kritische Beschäftigung mit der Geschichte. Ich habe das schmerzhaft selbst erlebt, aber es war unabdingbar und bitter nötig.

Bei der Aufarbeitung leistete die Enquete-Kommission vor 30 Jahren einen unverzichtbaren Beitrag. Und das Urteil ist klar: Die DDR war politisch eine Diktatur, so wie der Sozialismus sowjetischer Prägung generell. Dabei hatten die Kommission und ihre Ergebnisse auch eine Bedeutung für viele, die an die DDR geglaubt hatten, wie ich.

In meinem Aufsatz „Links sein im 21. Jahrhundert“ schrieb ich 2014:

„Rückblickend sehe ich drei Gründe für das Scheitern des real existierenden Sozialismus:
 

Erstens war er wirtschaftlich nicht in der Lage, mit den führenden kapitalistischen Unternehmen Schritt zu halten, geschweige denn, eine höhere Produktivität zu entwickeln. Das aber wäre nach einer zentralen Prämisse von Karl Marx unabdingbar gewesen.

Zweitens wurden verbriefte Bürgerrechte sowie Grundregeln der Demokratie einer vermeintlich besseren Sache wegen zurück- oder ausgesetzt. Das war letztlich ein Rückfall hinter Forderungen der Französischen Revolution von 1789.

Drittens lief das Konzept der 'führenden Rolle einer Partei' und der 'Einheit und Geschlossenheit' seiner Mitglieder gesellschaftlich auf Überwachung und Maßregelungen hinaus. Dies wiederum blockierte Vielfalt und mithin lebendige Entwicklungen.“
 

Die SED-These, die DDR sei der BRD um eine historische Epoche voraus, stürzte in sich zusammen, erwies sich als pure Propaganda.

Aber auch die Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kennen kein letztes Wort, sie muss weitergehen.
Ich bin dankbar, dass wir die Stiftung Aufarbeitung haben.

Was heißt: Die „Stiftung Aufarbeitung“ wird weiterhin gebraucht, sehr geehrte Frau Kaminsky. Übrigens auch, weil nachwachsende Generationen meist viel zu wenig über die Geschichte wissen. Hinreichend Kenntnis bleibt aber eine Voraussetzung für eine lebendige Demokratie, die stets verteidigt und gestärkt werden muss.

Doch es geht um Mehr als Wissen, Es geht auch um ein würdiges Andenken, um das Erinnern an die Opfer.
 

Der Bundestag hat vergangenes Jahr das Amt der SED-Opferbeauftragten neu geschaffen. Liebe Frau Zupke, Sie werden gleich zu uns sprechen.

In diesem Sinne der Erinnerung und einer demokratischen Zukunft danke ich Ihnen allen im Namen des Präsidiums des Deutschen Bundestags für das nicht nur in der Enquete-Kommission Geleistete. Bleiben Sie, bleiben wir eine mahnende Stütze für eine lebendige Demokratie. Russland zeigt aktuell, wohin es führt, wenn Aufklärung ausbleibt oder gar verhindert wird.
Das darf nicht geschehen.

Danke!
 
 

 

 

17.3.2022
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