Man kann der Verantwortung nicht entrinnen

Gedenken an die „Fabrik-Aktion“, Berlin, Rosenstraße, 27. Februar 2018
Rede von Petra Pau

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1. 

Wir gedenken heute der Rosenstraßen-Proteste, die vielfach auch „Fabrik-Aktion“ genannt werden.
Engagierte und mutige Frauen hatten 1943 gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer protestiert - mit Erfolg.
 
Dieses Gedenken gehört hierzulande zu einer vielfältigen Erinnerungskultur an die Nazi-Barbarei - zu Recht und so muss es auch bleiben.

2. 

Doch diese Erinnerungskultur wird neuerdings attackiert - nicht nur vom extrem-rechten Rand, sondern aus der Mitte der Gesellschaft.
Und das von einer Partei, die im Bundestag Sitz und Stimme hat.
 
Etliche von ihnen haben die Plenardebatte am vergangenen Freitag sicher verfolgt. Sie lässt sich nachlesen oder nachsehen.
Deshalb will ich sie hier gar nicht wiederholen.
 
Aber klar wurde: Große Teile der AfD relativieren die Verbrechen der Nazis und kultivieren deutsch-nationales Gedankengut.
Das darf nicht unwidersprochen bleiben!

3. 

Mein Hauptproblem sind allerdings nicht die rund 90 Ewiggestrigen im Bundestag, sondern die Millionen Bürgerinnen und Bürger, die sie stützen.
 
Sie belegen: Es ist nicht sprichwörtlich 5 vor 12, es ist später!
Und deshalb will ich auch hier an Erich Kästner erinnern:
 
Auch seine Bücher wurden von den Nazis verbrannt.
1956 meinte der Schriftsteller rückblickend:
 
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät.
Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird.
Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.
Man muss den rollenden Schneeball zertreten.
Die Lawine hält keiner mehr auf ...“

 
So gesehen, könnte 2018 mit 1928 vergleichbar sein.
Nur, dass wir diesmal gewarnt sind.

4. 

In meiner Rede zur Erinnerungskultur habe ich den Holocaust und die sechs Millionen ermordeten europäischen Jüdinnen und Juden aufgerufen.
Eine Zahl, die bekanntlich schwer fassbar ist.
 
Vielleicht so etwas besser:
Wollten wir jede und jeder der ermordeten Jüdinnen und Juden eine Gedenkminute gönnen, so würde elf Jahre lang Stille herrschen -
Toten-Stille.
 
Und ich habe daran erinnert, dass am Holocaust rund 500.000 Menschen unmittelbar beteiligt waren, von der Deportation, über den Völkermord bis hin zur Beseitigung ausgeraubter Leichen. Der Holocaust lässt sich nicht auf einige Nazi-Größen reduzieren. Er war Made in Großdeutschland.

5. 

Umso mehr müssten aktuell alle Alarmglocken schrillen. Die Zahl jener, die antisemitisch eingestellt sind, hat zwar nicht zugenommen.
Aber antisemitische Vorbehalte werden immer unverhohlener und häufiger auch gewalttätig geäußert.
 
Überhaupt grassieren Hass und Gewalt, nicht nur im Internet und nicht nur gegen Jüdinnen und Juden.
 
Gelingt es uns nicht, diesen Trend gemeinsam umzukehren, so droht unsere gesamte Gesellschaft zu kippen, dann stürzen Demokratie, Solidarität und Menschlichkeit ab.
 
Und deshalb sind wir nicht nur hier, um mutiger Frauen zu gedenken.
Sondern aus Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft.
Man darf ihr nicht entrinnen - man kann es ohnehin nicht.
 
 

 

 

27.2.2018
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